Sarah Penrose. Priska M. Thomas Braun

Sarah Penrose - Priska M. Thomas Braun


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dem für den Nachwuchs der Hotelgäste eingerichteten Baumhaus, spielen. Sie gab dem Zwängen des Kleinen für gewöhnlich nach und lieferte ihn bei der Kindergärtnerin ab. In der dadurch gewonnenen Freizeit studierte sie die deutsche Grammatik oder las ein deutsches Buch.

      Überhaupt war der Hotelbetrieb mit seinen vielen Angestellten ein Glück, das sie erst seitdem sie den Job inne hatte, richtig einzuordnen vermochte. Sie und die Kinder assen mittags am Stammtisch in der alten Gaststube, wo sich die Kleinen für gewöhnlich vorbildlich benahmen. Gäste gab es dort zu dieser Zeit nur wenige. Das Frühstück und Abendessen der Kinder wurden in die Wohnung hochgebracht, die auf der obersten Etage im Hauptgebäude lag und von der Putzequipe des Hotels aufgeräumt und sauber gehalten wurde. Mit einem Online-Lehrgang und dank ihrer Schützlinge, die einzig mit ihrer Mutter Englisch sprachen, lernte sie schnell Deutsch. Schon nach wenigen Wochen las sie den Kleinen Grimms Märchen und Legenden aus dem Schwarzwald vor und überwachte Jessicas Hausaufgaben. Nach dem abendlichen Baderitual folgten Gutenachtgeschichten, ein kurzes Gebet, und dann war Schlafenszeit und Sarah konnte tun und lassen, was sie wollte. Meist las sie oder schrieb begeisterte Mails nach Cornwall.

      «Mmmhhh», machte Hannes, der mit Sarah auf der Terrasse des Café Frey sass und plötzlich Izzy und die Kinder erblickte. Es war ein heisser Samstagnachmittag im Juli und der auffallend leicht gekleideten Mutter war der Rocksaum hochgerutscht, als sie aus ihrem SUV stieg.

      «Schön, dass sie sich heute um die Kleinen kümmert», stichelte Sarah. «Ich habe nicht den Dunst einer Idee, was sie sonst mit ihrer vielen Zeit anstellt.»

      «Mmmhhh, was wohlhabende Frauen halt so tun. Sie spielt regelmässig Golf. Sie hat ein respektables Handicap, habe ich gehört …»

      «Stimmt, und sie fährt zum Friseur und zum Shoppen nach Baden-Baden», unterbrach Sarah und provozierte Hannes schon wieder: «Du musst nicht ‘mmmhhhen’. Vielleicht weisst du ja, wen sie ausser ihren Freundinnen dort noch so trifft. Du scheinst gut informiert zu sein.»

      «Och, komm schon. Möchtest du noch etwas trinken?»

      «Danke, ich habe noch. Jetzt lenke mal nicht vom Thema ab. Die Heinzelmännchen vom Hotel, auf die sie sich blind verlassen kann, meinen, die liebe Izzy dürfte sich öfter um ihre Familie kümmern. Einige munkeln: Nicht bloss um die Kinder. Auch um ihren Ehemann.»

      «Aber das tut sie doch! Rudi beklagt sich jedenfalls nicht.»

      «Nun. Er turtelt ganz flott mit seiner Assistentin, legt ihr den Arm um die Schultern, wenn er sich unbeobachtet fühlt. Ich habe die beiden auch nach Dienstschluss öfter die Köpfe zusammenstecken sehen.»

      «Er turtelt mit Susanne? Dieser Bohnenstange im Dirndl?»

      «Ja, genau mit ihr», präzisierte Sarah und fühlte sich gemein dabei. Rudi war stets freundlich. Sie hatte keinen Grund, schlecht über ihn zu reden.

      «Eigentlich geht es uns ja nichts an», lenkte sie ein.

      «Richtig. Mein Vater lässt fragen, ob wir ihm morgen bei der Vorbereitung des Frühstückbuffets helfen könnten. Ich habe zugesagt, für mich jedenfalls. Machst du mit?»

      Sarah nickte. Hannes Eltern, Gustav und Emma Frey, führten eine Bäckerei mit einem florierenden kleinen Café, wo sich Sarah gerne mit Hannes traf. Anders als in ihrem Edelhotel begegnete sie im Café Frey neben Touristen auch Einheimischen.

      «Übernachtest du hier?», fragte er. «Morgen sollten wir um sechs aus den Federn.»

      «Warum nicht? Wenn das Frühaufstehen nicht der einzige Grund ist», witzelte sie.

      «Ist es nicht», sagte Hannes und fragte, ob sie am Nachmittag Zeit und Lust habe, mit ihm auf den Kniebis zu radeln.

      «Machen wir. Ich habe immer Lust», feixte sie und freute sich auf das freie Wochenende, das sonnig und trocken vor ihnen lag.

      Sarah und Hannes hatten ihre Räder an einen Baum gelehnt und ruhten sich an einem der grossartigsten Aussichtpunkte aus. Sie dachte über Izzy und Rudi Rothfuss nach.

      «Weisst du, wie eine perfekte Ehe funktioniert?», fragte sie, als Hannes und sie auf den verlandenden Ellbachsee hinunter und über die endlosen Tannenwälder blickten. «Ich habe nämlich keine Ahnung. Nach dem Unglück meines Vaters, damals, als er von einem Tag auf den anderen aus unserem Leben verschwand, hat Mum niemanden mehr kennengelernt. Sie und meine Schwester, und natürlich auch Onkel Finlay und Tante Claire, waren meine Familie», sagte sie, und da Hannes sich nicht dazu äusserte, doppelte sie nach: «Ich spüre, dass in der Beziehung von Izzy und Rudi etwas nicht stimmt. Die beiden sind mir ein Rätsel. Ich frage mich, ob sie zusammen schlafen. Obwohl. Sie haben vier Kinder.»

      «Sie sieht jedenfalls sehr sexy aus», schwärmte Hannes. «Um fit zu bleiben, rennt sie in enger pinker oder mintfarbener Jogginghose, und bei Regen mit farblich passender Badekappe, durch den Wald.»

      «Woher weisst du das?», fragte Sarah, bevor Hannes noch mehr Details aufzählen konnte. Er zog seine Schultern hoch. «Ach, ich hab’ es halt so gehört. Rudi sei vergleichsweise träge und bieder, sagt man.»

      «Im Gegensatz zu Izzy gehe ich im Schlabberlook joggen», sagte sie.

      «Jetzt schnapp nicht gleich ein. Es geht nichts über den Kontrast deiner dunklen Löckchen zu deinen hellen, wachen Augen», antwortete Hannes. Besänftigend verstrubbelte er ihr vom Radeln verschwitztes kurzes Haar und drückte ihr einen Kuss auf die feuchte Stirn. Er war einen guten Kopf grösser als sie und vermittelte Sarah stets ein Gefühl von Geborgenheit.

      «Danke. Doch im Moment mache ich mir Gedanken über meine Chefin», sagte Sarah. Sie fragte sich, warum Izzy nicht nur nach Baden-Baden, sondern oft auch nach Frankfurt fuhr. Einmal, als Sarah gelauscht hatte, wie Izzy mit ihrer Oma telefonierte, erkundigte sie sich, nachdem Izzy das Gespräch mit einem tiefen Seufzer beendet hatte, vorsichtig nach dem Befinden der alten Frau.

      «Wie viele alte Menschen lebt sie in der Vergangenheit», antworte Izzy. «Doch für meine Oma ist dies schrecklich. Sie wurde in Frankfurt als Kind jüdischer Eltern geboren und verliess Deutschland 1939 mit einem der letzten Kindertransporte. Ihre Erinnerungen holen sie jetzt, im hohen Alter, ein.»

      «Oh Gott», entfuhr es Sarah.

      «Ja. Während des Nazi-Terrors hat sie ihre Eltern und die gesamte Verwandtschaft verloren. Ihr einziges Glück war die englische Familie, von der sie aufgenommen wurde, und dass sie schliesslich mit ihrer Entschädigung für erlittenes Leid in die USA auswandern konnte.»

      «Und wurde sie dort wenigstens glücklich?», hatte Sarah scheu gefragt.

      «Nun, sie hat zum Christentum konvertiert und geheiratet.»

      Sarah hatte geschwiegen. Sie wusste nur wenig über das Dritte Reich. Im Geschichtsunterricht hatte sie geschlafen, und sie wollte sich vor Izzy nicht blamieren. Nun berichtete sie Hannes von diesem Gespräch.

      «Dass sie dir das alles so erzählt hat», staunte er.

      «Hat sie aber. Wenn sie Englisch spricht, ist sie immer sehr offen. Wie Amerikaner so sind», nickte Sarah. «Sie muss sich hier oft sehr einsam fühlen.»

      Hannes zog die Augenbrauen hoch.

      In der Hotelhalle lag die «Frankfurter Allgemeine» auf. Sarah warf einen Blick in die Zeitung. Es war beinahe einundzwanzig Uhr. Sie wartete auf ihre Freundin Brigitte, die als Rezeptionistin im Tannwald arbeitete und jeden Moment ihren Dienst beenden, eine Wolljacke über das spitzenbesetzte Dekolleté ihres grünen Dirndls ziehen und die Schuhe wechseln würde.

      Sarah hatte Brigitte zum ersten Mal beim winterlichen Joggen getroffen. Die grossgewachsene Deutsche hatte mit einem übertretenen Fuss im Schnee am Wegesrand gesessen, und wie sie ihr später erzählte, festgestellt, dass sie ohne ihr Telefon unterwegs war. Als Sarah grüssend vorbeilaufen wollte, hatte die Frau laut aufgestöhnt. Sarah erkannte, dass sie helfen musste, stellte sich vor, beugte sich über die Verunfallte, und nachdem sie das Problem erkannt hatte, stopfte sie kurzerhand Schnee in Brigittes Socken. Schliesslich half sie ihr aufzustehen und, gemeinsam humpelnd schafften die Frauen die zwei Kilometer


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