Die großen Western Staffel 4. Diverse Autoren
Das Mädchen schrie jetzt nicht mehr, weil man ihm ein schmutziges Tuch in den Mund gezwängt und es danach an die beiden Haken in der Wand jener Kammer gebunden hatte, in der Bloomefields Bäckereimehl lagerte.
Bei Tagesanbruch hatten die beiden Bravados plötzlich die Tür aufgerissen und sie sofort gepackt. Dabei war dann zuerst das Kleid zerrissen. Danach hatte sie vor Zorn und Hilflosigkeit geweint. Der Fußboden des Zimmers war staubig gewesen, und der Staub war während ihres vergeblichen Kampfes gegen zwei Männer aufgewirbelt worden. Er klebte jetzt wieder auf ihrer Haut, und die Tränen hatten Furchen in ihn gegraben. Der mit Perlen besetzte Schildpattkamm, mit dem sie ihr Haar hochgesteckt hatte, damit Shannon sie nach dem Erwachen so sehen konnte, wie er ihr auf der Fiesta begegnet war, war zerbrochen. Das Haar hatte sich aufgelöst, die kunstvolle Hochsteckfrisur war dahin. Nur etwas war geblieben: Inez’ Zorn, der langsam zum Hass anstieg.
Ich bringe ihn um, dachte sie voller Hass, als sie wieder einmal vergebens die Fesseln zu zerreißen versuchte, ich bringe ihn um, wenn ich nur eine Gelegenheit bekomme. Er ist ein Teufel, dieser schurkische Vetter meines Vaters, der sich Don Carlos nennt. Zorastrón – Canalla – Cochino!
Mehr Schimpfnamen fielen ihr für Don Carlos nicht ein. Sie blieb mit gesenktem Kopf an der kahlen Wand sitzen, starrte vor sich nieder und dachte an das höhnische Gelächter von Don Carlos – an Rual Sastres gemeines, viehisches Grinsen, als der Schurke die Macheta gehoben und sie über dem hilflos im Bett liegenden Shannon geschwungen hatte.
»Nicht doch, Rual, mein Freund«, hatte Carlos gelacht. »Halt, Amigo, halt! Warte, mein Freund, denke erst nach, ehe du ihn umbringst, den Hund von Gringo. Du kannst ihn nur einmal umbringen. Tot ist tot, verstehst du? Zudem weiß er nicht mal, dass wir ihn doch gefunden haben, den schlauen Teufel, diesen Hund, der es gewagt hat, mein Mündel zu entführen – deine Braut, Rual, versteh doch! Na, wer wird ihn denn totmachen, wenn er nichts davon merken kann? Du bist doch kein Dummkopf, Rual, du wirst ihm doch etwas Freude an seinem Sterben gönnen wollen, oder?«
Rual hatte Don Carlos verstört angestarrt, die Macheta zaudernd sinken lassen.
»Etwas Freude – wie meinst du das, mein General?«
»Wie ich das meine, eh? Lass ihn leben, gut ausschlafen, angenehme Träume haben, bis er erwacht und die Wirklichkeit begreift, Amigo. Und dann lassen wir ihn zu Kräften kommen, damit er schreien kann, wenn wir uns mit ihm beschäftigen. Und die da – die darf zusehen, damit ihr in Zukunft die Lust vergeht, sich jemals wieder nicht meinem Willen zu beugen. Du wirst zusehen, wie er stirbt, Chiquita mia, verstanden? Was hast du mit ihm getrieben, du Hure, was habt ihr gemacht, he? Wo ist deine Unschuld, du Dirne, du schmutzige?«
»Die hat er mir nicht genommen«, hatte Inez geschrien, nachdem sie das Entsetzen über Carlos’ viehische Gemeinheit überwunden hatte. »Er hat gesagt, er würde mich nicht anfassen, bis wir Mann und Frau wären, damit du es weißt, du Teufel aller Teufel!«
»Was bin ich, was?«
Carlos tobte und schlug sie. Und dann, als sie schrie, hatte er sie binden und knebeln lassen.
Umbringen, dachte Inez, ich werde ihn töten, sobald ich kann. Mein Gott, er ist ein Satan, er hat kaltblütig gewartet, bis es hell wurde, obgleich er gleich in die Stadt hätte eindringen können. Bei Tagesanbruch hat er sich die ersten Leute aus Wagon Creek gegriffen, ihre Kinder genommen und ihnen gedroht, er würde sie umbringen, wenn sie ihm nicht alles über den Verwundeten erzählten. So hat der Lump alles erfahren und sich mit ein paar seiner Bravados hergeschlichen. Jetzt hat er alle Kinder hier in einen Raum gesperrt, er hat Jericho und den Doctor, er hat die ganze Stadt in seine Gewalt gebracht. Den Leuten hat dieser Teufel erzählt, er würde ihnen kein Haar krümmen, wenn sie täten, was er anordne. Er verließe Wagon Creek wieder, sobald der Verwundete transportfähig wäre.
Einen Augenblick wurde Inez schlecht vor Angst. Die Leute hier kannten Carlos noch nicht, hatten keine Ahnung von seiner bösartigen Grausamkeit, seiner viehischen Gemeinheit, dieser Verschlagenheit. Irgendetwas brütet sein teuflisches Gehirn sicherlich aus – hat es vielleicht längst ausgebrütet. Die armen Leute, der arme Doctor, an dem er bestimmt seine Wut auslassen wird, weil der Mikel die Kugel herausgeholt hat. Man hilft keinem Feind von Don Carlos, oder man ist auch sein Feind …
Inez hob den Kopf, lauschte, glaubte durch zwei Türen und den Gang, der zu dieser Mehlkammer führte, die wütende, laute Stimme von Carlos zu hören. Jetzt vernahm sie es deutlich. Don Carlos tobte.
*
Das bärtige Gesicht vor Alexander George Sheppard verzerrte sich, wurde zur Fratze. Der Mund öffnete sich, sodass Bart und Lippen zuckten. Und dann brüllte der stiernackige, schwergebaute Don Carlos los, dass die Fensterscheiben klirrten: »Was hast du gesagt, du Hund, was bin ich, was darf ich nicht tun?«
Gleich, dachte der Doc, gleich habe ich dich so weit, du Satan.
»Wiederhole es!«, brüllte Carlos Ramirez ihn an. »Los, sage es, – was darf ich nicht, was bin ich?«
Der Doc sah ihn an und grinste dünn.
»Du darfst dich nicht an Kindern vergreifen – nicht in diesem Land«, erwiderte Doc Alex Sheppard. »Wer das hier macht, ist in unseren Augen ein Schweinehund, den verfolgt man, bis man ihn hat, und hängt ihn dann auf, verstehst du, Hombre?«
»Was bin ich?«, tobte er. »Das wagst du – das sagst du mir ins Gesicht, du …, du Säufer-Doctor, du verkommenes Stück Dreck, du stinkendes? Ich bin ein Schweinehund, hast du gesagt, ich bin ein Schweinehund, ja?«
»Du bist einer«, antwortete Alec Sheppard ganz gemütlich und grinste Don Carlos dabei so frech ins Gesicht, dass der Dreckskerl einfach etwas tun musste. »Du bist sogar der größte Schweinehund, der mir jemals begegnet ist, wenn du schon die ganze Wahrheit hören willst.«
Er schrie nicht, dieser selbsternannte General und Don, er schnappte nur nach Luft.
»So«, zischte er, indem er die schweren Lider zusammenkniff und den Doc aus funkelnden und jäh klein gewordenen schwarzen Augen anstarrte. »Du nennst mich einen Schweinehund – du mich? Du denkst, du bist der Doctor – einem Doctor tut man nichts, weil man ihn vielleicht noch braucht – denkst du – ja? Pepe – Felipe!«
Jetzt schrie er doch, brüllte die beiden Männer an, die links und rechts neben dem Doc und der Bank standen, auf der Alec Sheppard hockte. Der eine Kerl blockierte die Tür zum Flur des Hotels, der andere, Pepe, hatte am Tresen gelehnt. Sie kamen jetzt, sahen den Wink von Don Carlos, der sie zu Doc Sheppard jagte.
»Dein Gewehr, Pepe!«, fauchte Don Carlos. »Wirf es mir zu! Und dann stellt ihn hin – haltet ihn fest, verstanden?«
Sie sagten nichts, sie glotzten den Doc nur hähmisch an. Dann flog Pepes Winchester durch die Luft und wurde von Don Caros aufgefangen. Es war die gleiche Winchester, die der Beifahrer der Stagecoach von Ajo nach Lukeville einmal neben sich gehabt hatte, ehe er nach Pepes Schuss vom Bock gefallen war. Danach hatte der Fahrer nie mehr ein Gewehr gebraucht.
»Doc«, sagte jemand drüben an der Wand, wohin man ihn, nachdem man seinen Revolver entdeckt hatte, an den Beinen geschleift und liegen gelassen hatte, bis er dort aufwachte und in seinem armen Kopf ein ganzes Posaunenorchester spielen gehört hatte. »Doc, du musst verrückt sein. Das bezahlst du jetzt, Mann. Er wird dir …«
»Du!«, fauchte Don Carlos und fuhr herum, das Gewehr jäh schwenkend, die Mündung auf Jericho richtend.
»Du still Maul gehalten, verstanden? Du nicht reden – du still, oder du tot!«
»Er ist ein alter Mann«, sagte Jericho ganz ruhig. »Don Carlos, er ist ein alter Mann, der ein bisschen verrückt im Kopf geworden ist. Er ist nicht ganz normal, Don Carlos, das sieht man schon daran, dass er in dieser Stadt geblieben ist – nur wegen der beiden Gräber dort oben, obgleich er Doctor ist und woanders viel besser hätte leben können. Er weiß nicht, was er sagt – zu wem er es sagt, Don Carlos – mi General!«
Don Carlos, der General von eigenen Gnaden, sperrte die Augen und den Mund auf.
»Por