Milchbrüder, beide. Bernt Spiegel

Milchbrüder, beide - Bernt Spiegel


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darauf und den Worten POL.HUNDESTFL.NBG. und dazu noch ein paar Zahlen. Das war ja rätselhaft.

      Danach konnte der Hund nicht genug kriegen, immer wieder an Ludwigs Schuhen zu schnuppern. Es waren dieselben, die er immer angehabt hatte, wenn er mit Dr. Straussens Hunden gearbeitet hatte oder mit ihnen über Stock und Stein getobt war. Ob das sein kann nach so langer Zeit?

      Ludwig war ratlos. Er konnte das Tier, das vielleicht schon viele Stunden hier saß, nicht sich selbst überlassen, es würde sich nach diesem freundlichen Auftakt im Stich gelassen fühlen, aber einfach mitnehmen konnte er es auch nicht. Oder ob man dem Kaufhaus Bescheid sagen sollte? Aber nein, das gäbe eine Katastrophe, wenn die versuchten, den Hund in Verwahrung zu nehmen.

      Bis Ladenschluss war es noch eine dreiviertel Stunde, und Ludwig beschloss, noch so lange zu warten, dann aber den Hund mitzunehmen und sich bei der Polizei durchzufragen, wohin er ihn bringen solle, denn ihn einfach auf der nächsten Polizeiwache abzuliefern, das ging genauso wenig, wie ihn dem Kaufhaus zu übergeben. Ludwig stellte seinen Rucksack direkt neben dem Hund ab – als Pfand könnte man sagen, und nachdem der Hund wie zur Empfangsbestätigung kurz daran geschnuppert hatte, war er sich völlig sicher, dass kein Spitzbub die geringste Chance haben würde, den Rucksack dort wegzunehmen. Er schlenderte im Eingangsbereich auf und ab, mal drinnen, mal draußen, zwischen den Leuten hindurch, die es eilig hatten, in das Kaufhaus hinein- oder herauszukommen, oder hinter verhärmten Arbeitslosen, die ungleich langsamer gingen. Ab und zu blickte der Hund, wenn er in seine Nähe kam, kurz zu ihm her, als wolle er sich vergewissern, aber er blickte keineswegs bettelnd und auch nicht beunruhigt, als ob er befürchte, dass ihn Ludwig vielleicht zurücklassen könnte; nicht einmal fragend blickte er drein, sondern er vertraute sichtlich Ludwigs weiteren Plänen, auch wenn er sie noch nicht kannte.

      Als das Rollgitter heruntergelassen wurde, ging Ludwig entschlossen auf ihn zu, band ihn los und führte ihn an kurzer Leine davon. Der Hund lief dabei so selbstverständlich neben ihm her, als ob er nichts anderes erwartet hätte. In einer Telefonzelle im nahen Postamt musste er mehrere Groschen opfern, um sich bis zur Polizeihundestaffel, die es aber gar nicht mehr gab, durchzufragen. Der Hund stand die ganze Zeit unbewegt neben ihm, als höre er zu, und während Ludwig redete, drückte er plötzlich seinen Hals kraftvoll gegen Ludwigs Oberschenkel; der verhaspelte sich ob dieser überraschenden Zuwendung gleich mehrmals hintereinander, und als er auch noch die Körperwärme des Hundes durch den Stoff der Hose spürte, war er für einen Augenblick so glücklich wie schon seit Wochen nicht mehr. Schließlich hatte er die zuständige Polizeistelle gefunden.

      „Nix Hundestaffel! Wir ham hier in Nämbäach momentan überhaupt nur noch einen Diensthund“, hörte er, „und der ist mit seinem Diensthundeführer nach Haus, und das Büro in der Hunoldstraße 5 ist fei erst morgn früh ab 8 Uhr wieder b’setzt.“

      ‚Der ist nicht nach Haus‘, wollte Ludwig noch sagen, aber da war bereits aufgelegt. Ludwig ging schon einmal zu der angegebenen Adresse, den größten Teil der Strecke in einem leichten Laufschritt, weil er spürte, wie sehr dem Hund Bewegung fehlte, und später nächtigte er dann dort im Treppenhaus hinten in einer abgelegenen Ecke, da, wo es hinunterging in den Hof und in den Keller. Ein dicker Packen alter Zeitungen, den er im Keller fand, machte, sauber ausgebreitet, das Lager zwar nicht viel weicher, aber schön warm, wenn man eine Weile darauf gelegen hat. So war die Nacht komfortabler als die meisten bis jetzt auf seiner Reise, jedenfalls trocken und ohne Störungen und mit einer durchaus angenehmen leichten Anwärmung durch Anschmiegen seines Rückens an den Rücken des Hundes, der dieses gemütliche Zusammensein zu genießen schien.

      Am nächsten Morgen traf dann Ludwig auf einen freundlichen jungen Beamten, der den Hund zu kennen schien, denn er begrüßte ihn, wenn auch ziemlich freudlos, mit ‚Gaski‘, und auch der verhielt sich eher mürrisch.

      „Hast du Zeit? Wir sind da bös in der Bredouille!“, sagte der Beamte in einem seltsamen Deutsch, wie es Ludwig noch nie gehört hatte.

      „Ich habe immer Zeit“, sagte Ludwig, „ich bin froh, wenn ich was zu tun kriege!“

      „Der Gaski muss Punkt neun Uhr beim Veterinär im Präsidium sein – das ist heut wieder ein Gfrett! Ich glaube, er soll geimpft werden oder was, und ich habe keinen Diensthundeführer. Kannst du ihn vielleicht hinbringen? Du kommst ja prima mit ihm zu Streich! Bei dir geht er wenigstens mit. Aber beeil’ dich! – Wenn du zurückkommst, gehen wir zusammen zum Essen und ich erkläre dir alles. Wer weiß, vielleicht können wir etwas zusammen machen!“

      „Komm, Gaski, los!“ rief Ludwig und schon rannte er in einem leichten Laufschritt davon, den nicht angeleinten Gaski nah neben sich. Wenn er einmal stehen blieb, um in dem Stadtplan, der ihm mitgegeben worden war, nach dem Weg zu sehen, behagte das Gaski gar nicht; er zeigte alle Anzeichen von Ungeduld, blieb nur unruhig stehen, blickte immer wieder an Ludwig hoch und unterdrückte mühsam sein Bellen, weil er wusste, dass ihm Bellen ohne besonderen äußeren Anlass verboten war. –

      Als sie gegen Mittag zurückkamen, streckte der Polizist Ludwig seine Hand entgegen und nannte seinen Namen.

      „Eugen Saller“, sagte er und dazu noch irgendeinen Polizeidienstgrad, den Ludwig nicht verstand.

      „Herkommer, Ludwig Herkommer“, antwortete Ludwig.

      Auf dem Weg in die Kantine, auf dem Gaski Ludwig wie selbstverständlich streng bei Fuß begleitete, plauderten sie über Belangloses, doch der Polizist hörte genau hin, um ein Bild von diesem Ludwig Herkommer zu gewinnen. An der Essenausgabe reichte der Polizist seine Essensmarke mit der Bemerkung hin:

      „– und ein Gast.“

      Für diesen bekam er einen Laufzettel, auf dem er, bevor er ihn zurückreichte, ‚Bewerber‘ angekreuzte, das sah Ludwig, der direkt neben ihm stand, ganz genau. Dann fragte der Polizeibeamte noch, ob sie vielleicht für den Hund noch irgendetwas hätten und die Küchenfee rief vergnügt:

      „Komm, Gaski“, und ging mit ihm nach hinten.

      Als sie dann saßen, erfuhr Ludwig mehr über die Polizeihundestaffel, die früher größer gewesen sei, aber jetzt nur noch aus einem einzigen lächerlichen Hund bestehe, eben Gaski, der ein Spitzenhund sei, dessen Diensthundeführer, der Horlacher Karl, aber gestern Mittag plötzlich von der Straße weg ins Krankenhaus hätte gebracht werden müssen, wie er vorhin erst erfahren habe. Aha, daher also der festgebundene Gaski vor dem Kaufhaus, dachte Ludwig. Der Horlacher Karl komme nicht so schnell wieder. Wahrscheinlich wolle er auch gar nicht so schnell zurückkommen, denn diesem Gaski sei er absolut nicht gewachsen gewesen. Umgekehrt habe Gaski seinen Diensthundeführer wahrscheinlich auch nicht recht gemocht. Wenn von den beiden überhaupt einer der Führer gewesen sei, dann der Gaski. Und er selbst habe nun einmal nicht die entsprechende Ausbildung und verwalte die Hundestaffel nur nebenher, und mit dem eigensinnigen Gaski komme er schon gar nicht klar.

      „Ich weiß nicht, wie das weitergehen soll!“

      Und dann fragte er unvermittelt:

      „Wie alt bist du, Herkommer?“

      „Siebzehn!“, log Ludwig, ohne auch nur einen Augenblick zu zögern.

      „Achtzehn solltest du schon sein, obwohl du ja nicht als Beamtenanwärter eingestellt werden würdest, sondern nur befristet angestellt als Aushilfe-Diensthundeführer, befristete Anstellung ist neuerdings bei bestimmten Spezialisten möglich. Viel gibt’s freilich nicht.“

      „Das macht nichts. Ich bin momentan ziemlich abgebrannt. Eigentlich total abgebrannt. Hauptsache ich habe erst einmal was. Und das wäre doch ein feiner Posten, mal für eine Weile!“

      „Ich habe gleich gesehen, dass du auf der Walz bist. Da ist es immer gut, wenn man irgendwo erst mal wieder ein bisschen ankern kann.“

      „Sie können voll auf mich rechnen!“, sagte Herkommer und wunderte sich selbst, wie feierlich er das herausgebracht hatte.

      „Geh, lass uns ruhig ‚du‘ zunander sagen!“, schlug Eugen vor, der bestrebt war, sich mit Ludwig Herkommer, diesem offensichtlich doch recht tüchtigen Kerl, der ihm imponierte und der Schutz und Förderung verdiente, näher zu verbünden und ihn bei sich festzuhalten.


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