Milchbrüder, beide. Bernt Spiegel

Milchbrüder, beide - Bernt Spiegel


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er mit Gaski fast jeden Tag, oft viele Stunden lang.

      „Aber bittschön, nur hier in der Nähe“, ermahnte ihn Eugen, „damit ich euch nicht lange suchen muss, wenn ihr plötzlich gerufen werdet!“

      Herkommer hatte in Eugens endlosen Unterlagen eine gut bebilderte Dienstvorschrift für das Training von Polizeihunden ausfindig gemacht, mit der aber noch kein Mensch gearbeitet hatte, denn er musste erst mühsam die Seiten mit dem Messer aufschneiden. Obwohl er seinerzeit die gesamte ‚kynologische Bibliothek‘, wie Dr. Strauss seine einschlägige Hundeliteratur scherzhaft nannte, durchgeackert hatte, fand sich in der Dienstvorschrift doch so manches, was Herkommer bis dahin noch nicht gekannt und Gaski noch nicht gekonnt hatte. So trainierten Herkommer und Gaski unermüdlich, und auch der gelehrige Gaski, der immer besser wurde, schien an Herkommers Umtriebigkeit Gefallen zu finden, obwohl er hart herangenommen wurde.

      Abends kam Ludwig meistens erst spät nach Hause, wusch sich und fiel todmüde ins Bett. Und obwohl Frau Bohner zeitig aufstand, war er am Morgen, kaum dass sie in die Küche trat, schon wieder im Aufbruch. Ein kurzes ‚Guten Morgen, Frau Bohner!‘, vielleicht auch noch ein ‚Und vielen Dank für den Kuchen, den sie mir hingestellt haben!‘ und schon war er, von Gaski fast lautlos begleitet, wieder verschwunden, nur Gaskis Krallen hörte man noch auf den hölzernen Stufen im Treppenhaus. Sie war betrübt, dass sie Herkommer so wenig sah. Zu gern hätte sie sich mehr um ihn gekümmert, er ist ja noch so jung, so gern hätte sie ihm etwas Gutes getan, aber sie wusste nicht, was ihm fehlte oder fehlen könnte – vielleicht ein Pullover? Da kam sie auf die Idee, ihn für nächsten Sonntag zum Frühstück einzuladen, zu einem schönen Frühstück – sonntags hat er sicherlich Zeit. Ich muss natürlich achtgeben, dass ich nicht aufdringlich wirke. Die jungen Leute haben da wieder ganz andere Vorstellungen heute. Obwohl, so alt bin ich auch noch nicht. Aber vielleicht geht es ihm um nichts anderes als um ein möbliertes Zimmer, und im Übrigen will er so weit wie möglich in Ruhe gelassen werden. Auf der anderen Seite ist er doch immer so freundlich zu mir. Wenn ich nur daran denke, wie ausführlich er mir seinen Hund vorgeführt hat.

      Bis Sonntag waren es noch fünf Tage, und Frau Bohner hoffte, dass sie dann schon den richtigen Ton finden würde. Sie hatte eben so gar keine Erfahrungen, wie man sich in solchen Situationen richtig verhält, man konnte ruhig sagen – das war es nämlich –, wie man mit Männern richtig umgeht, auch mit so ganz jungen. Als sie geheiratet hat, war sie fast noch ein Backfisch gewesen, ihr guter Mann hatte sie fast immer väterlich umsorgt und ihr alles abgenommen. Nach dem Krieg, inzwischen zu einer sportlich-eleganten Frau geworden, hatte sie sich dann ganz auf das Alleinsein eingestellt und sich nur noch ihrer Fotografie gewidmet. Zudringliche Redakteure oder Grafiker, mit denen sie zu tun hatte, konnte sie mit Freundlichkeit und überlegenem Lachen bequem auf Distanz halten. Aber das war jetzt eine ganz andere Aufgabe. –

      Ende der Woche hatte Herkommer mit Gaski noch einen äußerst erfolgreichen Einsatz, bei dem die ganze Nacht über nach einem verloren gegangenen kleinen Mädchen gesucht werden musste. Erst gegen Morgen schließlich war dank Gaskis besonderer Fähigkeiten als Fährtenhund das Kind schlafend am Ufer der Regnitz gefunden worden. Über hundert Polizisten sollen im Einsatz gewesen sein, und es war eine gespenstische Szene, als die alle im ersten Morgengrauen zu klatschen anfingen, ohne sonst einen Laut von sich zu geben, als schließlich auch Gaski, den bremsenden Herkommer hinter sich herziehend, im Hof des Polizeipräsidiums eintraf. Soviel Beachtung und Anerkennung hatte Ludwig in seinem ganzen Leben noch nicht gefunden. Sogar die berühmte NZ, die Nürnberger Zeitung, hatte am Tag darauf über diesen Einsatz und den glücklichen Ausgang ausführlich berichtet. Herkommer erhielt ein besonderes Lob durch einen Polizeidirektor, und Eugen Saller meinte, dass der ein ganz hohes Tier gleich unter dem Polizeipräsidenten sei, und erst unter Ludwig Herkommer habe Gaski seine volle Leistungsfähigkeit entfaltet, und man erwäge, die Hundestaffel doch wieder im alten Umfang aufleben zu lassen. Vor allem Eugen war erleichtert, es hätte wegen Herkommers irregulärer Anstellung ziemlich geknistert im Amt, er habe nur nichts gesagt, um ihn nicht zu beunruhigen, aber nun wolle man ihn als zivilen Hilfshundeführer, einen Posten, den es sonst gar nicht gebe, bis zur Genesung des eigentlichen Diensthundeführers stillschweigend weiterbeschäftigen.

      „Ha“, lästerte Eugen, „das war eine Anstellung auf dem ‚geheimen Verwaltungsweg‘, wie man so etwas nennt. Ist ja nochmal gut gegangen. Das sollten wir feiern! Machst du mit? Ich lade dich ein, Ludwig, am Sonntag habe ich Geburtstag, und da machen wir zusammen einen Ausflug in den Veldensteiner Forst, das Bier dort erinnert mich an unser Elsässer Bier, und den Gaski nehmen wir mit!“

      „Oh, ausgerechnet! Ich bin für Sonntag von meiner Zimmerwirtin zum Frühstück eingeladen“, winkte Herkommer ab.

      Eugen pfiff durch die Zähne. „So, so“, meinte er nur, „aha.“

      Und dann noch einmal: „Aha!“

      „Ach Quatsch, Öschänn, was du wieder denkst! Vielleicht wenn sie zehn, fünfzehn Jahre jünger wäre. Madam hat einen solchen Hintern!“, wobei er mit den Händen eine beträchtliche Breite andeutete.

      Es ist nicht schön, wie ich von Frau Bohner spreche, dachte Ludwig, aber Eugens frecher Verdacht musste sofort zerstört werden. Auch im Interesse des Rufes von Frau Bohner. Und wie zur Entschuldigung fügt er noch hinzu:

      „Ich kann da unmöglich absagen, Eugen! Die Frau reißt sich ein Bein für mich aus und versorgt mich, wo sie nur kann.“

      „Eben, eben, ich hab’s doch gleich gewusst. So fängt so etwas immer an.“ –

      Am Sonntag dann, Herkommer hatte auf Eugen Sallers Empfehlung hin ein kleines Sträußchen mitgebracht, war anfangs auf beiden Seiten doch eine leise Befangenheit zu spüren, die Frau Bohner zwar mühelos überspielte, Ludwig aber Unbehagen bereitete. Ich wäre doch besser mit Eugen in den Veldensteiner Forst gefahren, dachte er. Aber dann kam das Gespräch unerwartet rasch in Gang, als Herkommer über Einzelheiten bei der Rettung des kleinen Mädchens Karla berichtete, die nicht in der Zeitung standen, und Frau Bohner von ihrer Fotoreise zur Via Mala erzählte, mit der sie vor ein paar Jahren ihren Ruf als unerschrockene Bildgestalterin durch eine Anzahl verwegener Einstellungen begründet hatte. Herkommer fesselten diese großformatigen Fotografien, die ihm Frau Bohner zeigte, vor allem auch die Porträts der Einheimischen, solche Fotos hatte er noch nie gesehen. Das hätte er Frau Bohner nicht zugetraut. Sie imponierte ihm sichtlich, und vielleicht würde er selbst eines Tages eine solche Reise unternehmen in dieses unerhörte Gebiet. Sie sah übrigens gar nicht so uneben aus, fand er, und der breite Hintern, das war gar nicht so schlimm, wie er bei Eugen getan hatte. Aber um die Augen herum hatte sie doch schon kleine Fältchen.

      Frau Bohner bewunderte aber auch Ludwig Herkommer. Wie er es denn schaffe, mit Gaski ohne Leine durch die Stadt zu gehen, von hier zu seinem Büro und von dort zum Polizeipräsidium oder sonst wohin, und immer sei der Hund ganz dicht neben ihm.

      „Und ich neben ihm! Das ist es nämlich, wir sind Partner, kann man sagen, nicht Herr und Knecht, sondern Chef und engster Mitarbeiter mit dem gleichen Ziel, drum brauche ich in den meisten Fällen gar keine Leine. Natürlich ist im Dienst für bestimmte Situationen die Leine zwingend vorgeschrieben und auch notwendig, aber Gaski ist trotzdem nicht mein Sklave. Gleich nachdem wir uns kennengelernt hatten, hat er plötzlich und ganz unvermittelt seinen Hals an meinen Oberschenkel gepresst, aber da hat er sich nicht mir unterworfen, sondern mich eingeladen ‚Komm, wir arbeiten zusammen!‘ Der Gaski hat schneller noch als ich gesehen, dass wir beide ein selten gutes Paar abgeben würden.“

      Herkommer wollte noch weiter erzählen, aber Gaski, der immerhin schon bald zwei Stunden still dagelegen war, wurde zunehmend unruhig, vielleicht, weil er gemerkt hatte, dass man über ihn sprach? Ludwig schimpfte mit ihm, aber in einem milden Ton: „Willst du denn tatsächlich schon gehen? Ich wäre so gern noch ein bisschen bei Frau Bohner geblieben.“

      Und es war nicht einmal gelogen.

      „Du bist mir vielleicht ein ungeduldiger Kerl!“

      Gaski schaute Herkommer kurz an, dann senkte er den Blick und drehte den Kopf ein wenig, und es sah aus, als ob er verlegen zur Seite blicken würde. Frau Bohner war entzückt. –

      „Na,


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