Chefarzt Dr. Norden 1164 – Arztroman. Patricia Vandenberg

Chefarzt Dr. Norden 1164 – Arztroman - Patricia Vandenberg


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Lift. »Momentan ist er verliebt. Wenn er Trost brauchen sollte, wird er dir das bestimmt sagen. Meinst du nicht?«

      Der Lift hielt auf der Pädiatrie, Fee seufzte. »Du hast vermutlich recht«, gab sie widerwillig zu.

      »Habe ich«, versicherte er ihr entspannt. »Bis heute Mittag, mein Schatz.« Er küsste sie zart und ­lächelte ihr aufmunternd zu. »Wir sehen uns.«

      *

      »Wir sind spät dran.« Aische Celik erhob sich vom Frühstückstisch und warf ihrem Verlobten einen mahnenden Blick zu. Matthias hatte mal wieder seine Nase in einer medizinischen Fachzeitschrift vergraben. Die hübsche OP-Schwester räumte rasch das Geschirr zusammen, dann griff sie auch nach der Zeitschrift, denn sie wusste, dass dies die einzige Methode war, um Matthias’ Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Der junge Chirurg stutzte kurz, lächelte und zog Aische auf seinen Schoß. Sie verdrehte die Augen, kam aber zu keinem Protest, denn Matthias küsste sie erst einmal ausgiebig.

      »Wir müssen zur Arbeit«, mahnte sie ihn, wobei der weiche Glanz in ihren klaren, obsidianfarbenen Augen für sich sprach.

      »Wollen wir nicht mal schwänzen?«, schlug ihr Verlobter mit einem viel sagenden Lächeln vor.

      »Warum nicht?«, ging sie scheinbar auf seinen Vorschlag ein. Denn sie wusste, dass er viel zu pflichtbewusst war, um es wirklich ernst zu meinen.

      »Hm, und was machen wir mit Herrn Balders Gallenblase? Ganz zu schweigen von dem Magenband für Frau …«

      »Sie werden eben alle auf deine Kunst verzichten müssen. Ein Kollege wird dich vertreten. Oder hältst du dich etwa für unersetzlich, mein Schatz?«

      In seinen tiefblauen Augen blitzte es schelmisch auf. Als er sich vor gut­ einem Jahr in die rassige OP-Schwester mit den seelenvollen Augen verliebt hatte, war es nicht nur Aisches Schönheit gewesen, die sein Herz erobert hatte. Es war vor allem ihr trockener Humor. Und ihre Art, ihn sehr gefühlvoll auf den Arm zu nehmen. Er lachte und küsste sie noch einmal, bevor er sie auf die Füße stellte und zugab: »Ich bilde mir zwar ein, bei dir unersetzlich zu sein, mein Herz, aber in der Klinik ist das tatsächlich niemand. Deshalb möchte ich den Chef gar nicht erst auf Ideen bringen. Also, nichts wie auf zur Arbeit!«

      Wenig später hatte das junge Paar die Behnisch-Klinik erreicht. Als Aische aus dem Wagen ihres Verlobten stieg, meldete sich ihr Handy. Es war Leila, ihre jüngere Schwester.

      »Geh schon mal vor, ich komme gleich«, bat sie Matthias.

      Der nickte und verschwand im Klinikeingang. Er wusste, dass ein Telefonat zwischen den Schwestern durchaus länger dauern konnte. Und dabei ging es nicht um die üblichen Themen wie Liebeskummer oder die neuesten Modetrends.

      Aische stammte aus einer Familie, die bereits in zweiter Generation in Deutschland lebte und integriert war. Ihr Vater war Abteilungsleiter auf der Sparkasse, er spielte einmal in der Woche Skat mit seinen Freunden und ging zum Kegeln. Abgesehen von reinen Äußerlichkeiten gingen die Celiks durchaus als waschechte Münchner durch und wurden auch so angesehen. Doch es gab einen Unterschied zwischen dem sozialen Leben und dem Leben innerhalb der eigenen vier Wände. Da zeigte sich dann oft, dass Mehmet Celik eben noch sehr verwurzelt im traditionellen Denken war. Als Aische sich seinerzeit entschlossen hatte, Krankenschwester zu werden und während ihrer Ausbildung im Schwesternheim zu wohnen, hatte sie dieser Schritt eine ganze Menge Diskussionen gekostet. Der Vater hatte sie nicht gehen lassen wollen, obwohl sie bereits volljährig gewesen war. Aische hatte sich durchgesetzt, unterstützt von ihrer Mutter, die einen stillen aber nachhaltigen Einfluss auf ihren Mann ausübte.

      Und nun stand Leila vor einem ganz ähnlichen Problem. Aisches Schwester hatte das Abitur in der Tasche und wollte gern Jura studieren. Per se hatte ihr Vater nichts dagegen. Er war im Gegenteil stolz auf seine kluge Tochter.

      Aber dass Leila daheim ausziehen, im Studentenwohnheim leben und ganz selbstständig werden wollte, das lehnte er rundweg ab.

      Aische, ihre Mutter und auch Matthias Sommer hatten bereits auf Mehmet eingewirkt, jeder auf seine Art. Und da der Familienvater seinen Schwiegersohn in spe respektierte, lehnte er dessen liberale Haltung auch nicht grundsätzlich ab. Doch es kostete ihn eben sehr viel Überwindung, sich aus dem traditionellen Rollenbild zu lösen, das er bei Eltern und Großeltern erlebt und stets für richtig gehalten hatte.

      »Leila, wie geht es? Alles in Ordnung?«, fragte Aische.

      »Es geht. Ich wollte dich bitten, heute Abend noch mal mit Papa zu reden. Ihr kommt doch zum Abendessen, oder?«

      »So ist es abgemacht. War wieder was?«

      »Na ja, gestern war eine Freundin von mir da. Stefanie Seegers, ihr Vater ist Anwalt, hat eine eigene Kanzlei. Sie will auch Jura studieren. Wir haben überlegt, ob wir vielleicht zusammen ziehen. Keine Ahnung, wie ich das Papa verklickern soll. Da könnte ich ein bisschen Unterstützung brauchen.«

      »Klar, du weißt doch, dass du auf uns zählen kannst«, versicherte ­Aische. »Außerdem ist das eine gute Idee, spart Miete. Damit sammelst du bei Papa bestimmt Pluspunkte.«

      Leila lachte. »In dem Fall zählt für ihn eher, dass da zwei Mädels ohne Aufsicht zusammen wohnen. Und das wird ihm ganz bestimmt nicht behagen.«

      »Ich nehme an, Stefanie ist ein vernünftiges Mädchen.«

      »Und ob. Außerdem hat sie einen festen Freund und ist nicht unbedingt das, was man als Partymaus bezeichnen würde.«

      »Na also, wenn das kein Argument ist.«

      Die Schwester seufzte. »Du kennst Papa …«

      »Wir schaffen das schon. Ich muss jetzt aber zum Dienst. Wir sehen uns heute Abend. Ich werde noch mit Matthias reden, damit er dich ebenfalls unterstützen kann, okay?«

      »Ich finde es super, dass er so viel Verständnis hat. Du kriegst einen richtig guten Ehemann, weißt du das?«

      »Und ob.« Aische lachte. »Ich gebe ihn auch nicht mehr her.«

      »Kann ich verstehen, dann bis heute Abend.«

      Die junge Krankenschwester steckte ihr Handy weg und lief zum Eingang der Behnisch-Klinik. Nun musste sie sich beeilen, denn sie war wirklich spät dran, und die Oberschwester konnte keine Unpünktlichkeit leiden. Während sie in ihren Schwesternkittel schlüpfte, dachte sie darüber nach, wie sie Leila am besten helfen konnte. Diplomatie war in diesem Fall gefragt. Obwohl Aische sonst immer offen und ehrlich zu ihrem Vater war, musste sie nun doch ein wenig taktieren, damit Leila ihre Pläne in die Tat umsetzen konnte. Ganz einfach würde das wohl nicht. Aber Aische hatte ja Erfahrung auf dem Gebiet. Es war nicht ihr erster Kampf um Freiheit und das Recht, selbst über ihr Leben und ihre Zukunft zu entscheiden. Sie wusste, wie wichtig das war, und wollte es deshalb auch Leila ermöglichen.

      *

      Dr. Matthias Sommer hatte an diesem Tag mehrere Operationen, bei denen seine Verlobte ihm als OP-Schwester zur Hand ging. Die beiden waren auch beruflich ein eingespieltes Team und verstanden sich meist ohne viele Worte.

      Als der junge Chirurg kurz vor Feierabend noch nach einem Patienten sehen wollte, traf er an dessen Bett den Chefarzt an.

      Dr. Norden hatte sich gerade mit dem Patienten unterhalten und dessen Werte kontrolliert, nun bat er den jungen Kollegen, ihm auf den Klinikflur zu folgen. Während Matthias schon überlegte, ob er vielleicht etwas falsch gemacht hatte, hörte er Dr. Norden sagen: »Ich bin sehr zufrieden mit Ihren Leistungen. Die große OP gestern hat mich wirklich beeindruckt. Man sieht selten einen Facharzt, der schon in so jungen Jahren dermaßen viel Können und Geschick an den Tag legt. Ich muss zugeben, dass ich Kollegen erlebt habe, die solche Fähigkeiten auch nach mehreren Jahrzehnten ­Berufserfahrung nicht entwickeln konnten.«

      Matthias war einen Moment lang sprachlos, dann aber sagte er bescheiden: »Das war doch nicht der Rede wert.«

      »O doch, das war es.« Der Chefarzt klopfte dem jungen Kollegen auf die Schulter und mahnte ihn: »Sie müssen lernen, ein berechtigtes Lob anzunehmen. Das gehört dazu. Stellen Sie Ihr Licht nicht unter den Scheffel.«


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