Flucht. Benjamin Withmer
auf, als Bad News ins Zimmer kommt. Er gibt Warrington ein Gewehr und lässt die Munition auf den Couchtisch fallen. »Lad es, und steck dir so viel in die Taschen, wie du tragen kannst«, sagt er.
»Die Nationalgarde wird sicher gleich hier sein«, sagt Mrs. Bowman. »Mit denen legt ihr euch besser nicht an.«
»Wie viele Autos gibt es?«, sagt Bad News.
»Zwei.«
»Welches hat den volleren Tank?«
Sie denkt einen Moment nach. »Der Ford. Wir sind diesen Morgen damit in der Stadt gewesen und haben vollgetankt.«
»Geben Sie mir die Schlüssel, und ich lasse Sie in Ruhe«, sagt Bad News.
»Die Schlüssel.« Sie steht auf und geht zur Haustür, zu einem kleinen Tisch. »Schlüssel, Schlüssel, Schlüssel.« Sie geht in die Küche und streift Anrichte und Tisch mit einem Blick. »Oh«, sagt sie. »Sie waren in seinem Mantel, in dem, den er in der Stadt angehabt hat. Er hat seine Arbeitsjacke angezogen, als er zurückgekommen ist.«
»Ich brauch nicht eure verdammte Lebensgeschichte«, sagt Bad News. »Nur die Schlüssel.«
»Ja, ja«, sagt sie. »Ich versuche nur, mich zu erinnern, junger Mann. Geben Sie mir einen Moment.« Sie legt die Finger auf die Lippen. »Oben. Er hat sich ganz umgezogen.« Sie führt sie an die Treppe. »Er hat wahrscheinlich alles aufs Bett geschleudert. Männer, Sie wissen schon.«
Bad News macht sich nicht die Mühe einer Antwort, nur in seinem Kopf. Sie lautet, dass er ihr am liebsten in ihr Maul schießen würde.
»Verflixt und zugenäht«, sagt sie im Schlafzimmer. Es ist ein großes Bett mit Holzrahmen, aber kein Mantel liegt darauf. Wieder legt sie sich die Finger an die Lippen. »Der Schrank«, sagt sie. »Sie werden im Schrank sein. Er muss den Mantel aufgehängt haben. Ist das möglich?«
Bad News ist es absolut egal. Er sieht ihr zu, wie sie den Schrank öffnet.
Und dann, wie sich ihre Schultern senken, als sie nach rechts taucht.
Bad News schiebt Warrington zur Seite. Mit einem M1 Gewehr in der Hand dreht die alte Frau sich um und feuert. Knapp an Warrington vorbei. Bad News hechtet sie an.
Sie sieht aus, als ob sie ihn erschießen will, aber sie kann nicht auf ihn zielen. Sie fuchtelt nur herum.
Bad News greift den heißen Gewehrlauf. Seine Hand wirft Blasen, die Haut schält sich. Er haut ihr voll auf die Nase, bricht sie ihr. Reißt ihr das Gewehr so heftig aus der Hand, dass sie umfällt. Er kniet sich auf sie, schlägt immer noch auf sie ein. Hat seinen Gürtel schon halb offen, als Warrington ihn wegzieht. Er schüttelt ihn ab und geht wieder auf die Frau los. Schlägt ihr den Gürtel ins Gesicht, bis das Blut an die Wände spritzt.
»Hör auf«, sagt Warrington. »Das reicht.«
Und dann ist da noch etwas.
Eine Männerstimme, die ins Haus hineinruft. Worte wie aus einem Drehbuch. »Hier spricht Inspektor Bowman. Wir haben das Haus umstellt. Kommen Sie mit erhobenen Händen heraus und niemand geschieht etwas.«
Nach einer Pause kommt der nächste Abschnitt aus dem Skript dran. »Und wenn Sie meiner Frau nur ein Haar krümmen, schieße ich Ihnen in den Bauch und verfüttere Sie dann an meine Schweine.«
Die Frau macht etwas mit ihrem Gesicht, was vermutlich ein Lächeln sein soll. Mit all dem Blut und der geplatzten Haut ist das schwer zu sagen.
»Gibt es etwas, was du sagen willst, du Schnalle?«, schnarrt Bad News zu ihr hinunter. »Sollen wir wetten, dass du das verfickte Radio das nächste Mal anmachst?«
14
– Der Fährtenleser –
Sie schleudern die Auffahrt zum Hauptgebäude der Gefängnisfarm hoch, und das Erste, was sie sehen, sind die Lichtstrahlen der Taschenlampen an der Hauswand. Dann die zwei Männer, die mit ihren Lampen hinter einem alten Pritschenwagen kauern.
»Das da drüben ist Inspektor Bowman.« Bellingham ist aufgeregt. »Sie sind im Haus.« Er lässt den Wagen ausrollen und hält direkt neben dem alten Arbeitsfahrzeug. Jims Seite ist vom Haus abgewandt, und er springt aus der Tür. Bellingham rutscht über die Sitzbank und folgt ihm.
Sie krabbeln zu Inspektor Bowman. Er ist gut sechzig und schwabbelig, hat einen dünnen schwarzen Schnurrbart und trägt einen braunen Stetson. Der Mann bei ihm kann keine Zwanzig sein, aber auch er hat einen braunen Stetson auf dem Kopf und einen leichten Flaum über der Oberlippe, eine schlechte Imitation von Bowmans Schnurrbart.
»Wie viele sind da drin?«, fragt Bellingham.
»Mindestens zwei«, antwortet Bowman. »Kann sein, dass ich Warrington gehört habe. Verdammt sicher habe ich Terry Dixon gehört.«
»Bad News?«, sagt Jim.
»Genau.«
Das ist nicht gut. Jim hat keine Zweifel, dass sie Warrington zum Aufgeben bringen können. Überhaupt keine. Er weiß sehr wohl, dass man nicht einfach auf jemand schießen darf, selbst wenn der sich an deiner Schwester vergriffen hat, aber der Kerl scheint es überlebt zu haben. Und soweit Jim richtig informiert ist, konnte sogar ein Großteil seines Unterkiefers wiederhergestellt werden. Mit Bad News ist es etwas anderes. Jim hat schon viele Geschichten über ihn gehört. Einmal soll Bad News wegen einer Blödelei unter der Dusche komplett ausgerastet sein. Ein Zwei-Meter-Kerl aus Georgia hatte wohl irgendeinen blöden Spruch gemacht. Bad News war daraufhin zwischen seine Beine gerutscht, hatte ihn von unten an den Eiern gepackt und so lange daran gedreht und gezerrt, bis er das Gemächt fast ganz abgerissen hatte.
»Haben Sie es Direktor Jugg durchgegeben?«, fragt Bellingham.
Bowman sieht ihn an. »Das Telefon ist im Haus.«
»Gibt es keins in der Scheune? Oder in der Schlafbaracke?«
Bowman starrt ihn immer noch an.
»In Ordnung«, sagt Bellingham. »In Ordnung.«
»Ich war bei den Texas Rangers«, sagt Bowman. »Kann sein, dass Ihnen das niemand gesagt hat.«
»Hab’s kapiert«, sagt Bellingham. »Sind welche von Ihnen da drin?«
Bowmans Gesichtsausdruck verändert sich nicht, aber die Luft scheint zum Zerreißen gespannt. Dazu dieser Geruch. Erst kann Jim ihn nicht einordnen, dann aber weiß er es. Es ist dieser Fischgeruch, den eine Katze ausströmt, wenn sie erschreckt wird. »Meine Frau«, sagt Bowman.
»Gibt’s eine Hintertür?«, fragt Jim.
»Gibt es«, sagt Bowman. »Aber sie haben gesagt, was sie tun, wenn wir uns dort hinbewegen. Und Bad News hält sicher Wort. Diese Missgeburt wartet schon lange drauf, dass er eine Frau in die Finger kriegt.«
Bellingham senkt den Blick, schaut zu Boden. Jim hustet in seine Handschuhe. Schon möglich, dass es in der Stadt eine noch hässlichere Frau gibt, aber bisher ist niemand einer solchen begegnet.
»Wollen wir wirklich einfach untätig hier herumsitzen?«, fragt Bellingham.
»Wenn sie ihr wehtun, fessle ich sie mit Stacheldraht und schlage sie mit einer Abschleppkette tot«, sagt Bowman. »Wir warten hier, bis sie rauskommen und ich ihnen das Licht auspusten kann.«
»Das klingt nicht so, als würden Sie ihnen eine Wahl lassen«, sagt Bellingham.
Bowman will etwas sagen, aber hält inne. Denn die Tür geht auf, und da steht sie. Seine Frau. Oder das, was von ihr übrig ist. Eine grobe Zeichnung in Kreide und Blutgeschmier. Sie taumelt die Haustürstufen hinunter, als ob ihr das Rückgrat gebrochen worden wäre und nur noch Teile ihres Körpers funktionieren.
Bowman ist sogar in seinen Cowboystiefeln schneller. Er ist Jim und Bellingham um Längen voraus, lässt sich in den Schnee sinken und legt ihren Kopf in seinen Schoß. »Mrs. Bowman«, sagt er zu seiner