Flucht. Benjamin Withmer

Flucht - Benjamin Withmer


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News dreht die Garotte auf. Der Wärter fällt nach vorn und keucht. Er kotzt auf den Teppich. Bad News lockert auch die zwei anderen Garotten, beide Wärter zucken, wenn sie seine Hand am Holzgriff spüren. Er sagt: »Es wird dir noch leidtun, dass wir diese Arschlöcher nicht umgebracht haben.«

      »Mir wird gar nichts leidtun«, sagt Howard. »Schau mal, ob du für uns was zum Essen findest.«

      »Komm mit, Warrington«, sagt Bad News. Sie gehen um Howard herum und verlassen das Wohnzimmer.

      Howard schaut die alte Frau auf dem Sofa an. »Wie heißt du?«

      Die alte Frau starrt ins Nichts, als würde sie das alles nichts angehen. Sie sieht Howard mit ihren grauen Augen an. »Pearl«, sagt sie.

      »Bist du verheiratet, Pearl?«

      Sie zieht eine selbstgedrehte Zigarette und Zündhölzer aus ihrer Schürze, gibt sich Feuer. Sie wedelt mit dem Streichholz, bis es ausgeht, wirft es auf den roten Teppich, so als sei es nicht ihrer.

      Howard tritt mit einem Uniformstiefel darauf. »Ich krieg dich schon noch zum Antworten.«

      »Wenn ich einen Mann hätte, hätte ich das gesagt.«

      »Schnalle, du bist ja eine Marke. Wie steht’s mit einem Sohn?«

      Sie bläst den Rauch an die blechverkleidete Decke.

      »Es gibt also keine Klamotten, die einem von uns passen könnten?«

      Sie sieht ihn mit einem Blick an, als ob er Hundescheiße auf dem Teppich ist. »Der Kleine könnte in meine Sachen passen.«

      »Da haben wir ja eine echte Klugscheißerin«, sagt Howard. »Wenn du hier alleine wohnst, warum stehen dann da draußen drei Autos?«

      »Ich habe nicht gesagt, dass ich allein bin.«

      Howard massiert sich zwischen den Augen. »Okay«, sagt er, »fangen wir noch einmal neu an. Wer außer dir lebt hier noch?«

      »Ich hab Pensionsgäste«, sagt sie. »Zwei von ihnen haben Autos.«

      »Und wo verdammt sind die gerade?«

      Bad News kommt zurück ins Wohnzimmer, Warrington im Gefolge. Bad News hält eine Umhängetasche. Er grinst ein wenig, als er sie Howard gibt.

      Howard öffnet die Ledertasche. Macht sie wieder zu. »Pensionsgäste?«

      Pearls Augen verändern sich nicht. Nicht die Spur.

      »Ich nehme an, es überrascht euch nicht sonderlich, was für Gäste Pearl hier empfängt«, sagt Howard zu den Wärtern. Er öffnet die Tasche noch einmal. »Sie kommen von überall her, um dich zu sehen, Pearl? Deine Gäste?«

      »Ich hab meinen Mann neunundvierzig verloren.« Sie sagt es, als ob ein Tier hinter ihrem Gesicht leben würde und sie alle Willenskraft aufwenden muss, um es zurückzuhalten. »Damals beim Ausbruch. Jemand von euch hat ihn umgebracht.«

      »Neunundvierzig war ich nicht im Gefängnis«, sagt Howard. »Da war ich ganze zehn Jahre alt.«

      »Ich muss nur die Straße runtergehen und mir diese Mauern anschauen«, sagt sie. »Das reicht, um mir in Erinnerung zu rufen, warum ich tue, was ich tue.«

      »Ich wette, hier gibt es auch noch einen Haufen Geld, der dich daran erinnert«, sagt Howard. »Einen großen Haufen Bargeld.«

      »Die Frauen, die zu mir kommen, haben nichts mit Kindern am Hut«, entgegnet Pearl. »Die Frauen, die zu mir kommen, können nichts dafür, dass sie von den Frauen geboren worden sind, die ihre Mütter sind. Wenn ihr daran zweifelt, dass sie dieses Gefühl weitervererben, braucht ihr euch nur umzuschauen, wenn sie euch zurück ins Old Lonesome stecken.«

      »Du bist eine verbitterte Frau«, sagt Howard. »Böse auf die Welt. Das ist dein Problem.«

      »Nein. Ihr seid mein Problem. Ihr alle.« Und sie meint nicht nur alle im Raum. Sie meint auch alle da draußen.

      »Böse und ausgetrocknet. Du hast einen Hass auf die Welt, weil sie dich nie feucht gemacht hat.« Howard öffnet die Tasche und zieht etwas aus Metall heraus, es sieht lang und ungemütlich aus. »Wie wäre es, wenn du mir sagst, wo ich das Geld finde? Entweder sagst du es mir, oder wir stecken das mal in dich rein und schauen, ob noch etwas übrig ist, was klappert.«

      Sie verströmt Verachtung aus jeder Pore, ihrem Gesicht aber kann man ansehen, dass Howard falsch liegt. Sie ist nicht verbittert. Nur das Leben und all die, die mit ihren eigenen gebrochenen Herzen zu ihr kommen und es loswerden wollen, haben ihr das Herz gebrochen. Mopar fragt sich, ob es je ganz war.

      »Unter meinem Bett fehlt eine Diele«, sagt sie. »Da liegt es.«

      Howard nickt Bad News und Warrington zu. »Holt es«, sagt er.

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      Mopar wischt sich die Hände an seinen dreckigen Hosen ab. Sie sehen aus, als wäre er mit ihnen in eine Schlammschlacht geraten. Als er und die anderen aus dem Gefängnis ausbrachen, hatte es gerade zu schneien begonnen. Alles war voller Schlamm. »Wir müssen aufhören, unsere Zeit zu vertrödeln«, sagt Mopar.

      »Zeit vertrödeln?«, sagt Howard.

      »Die werden draufkommen, dass wir in einem der Häuser sind«, sagt Mopar. »Ich kann mich nicht entsinnen, in diesen Plan eingeweiht worden zu sein.«

      »Wie weit kommen wir ohne Geld?«, fragt Howard.

      »Geld wird euch nicht weiterhelfen«, sagt einer der Wärter. Der fette Kopf quillt ihm aus dem Hemdkragen.

      »Woher verdammt willst du das wissen?«, fragt Howard.

      »Das ist die Stadt von Direktor Jugg. Auch wenn ihr es aus dem Gefängnistor herausgeschafft habt, über die Stadtgrenze kommt ihr nicht.«

      »Ist das wahr?« Howard stellt die selbstgemachte Schrotflinte an die Wand und zieht ein zwanzig Zentimeter langes Rohr aus seiner Jacke. Es ist eines der Eisenstücke, mit denen sie die Knastwärter niedergeschlagen haben, von denen sie die Uniformen haben.

      Im Gesicht des dicken Wärters arbeiten die Muskeln. »Stellt euch«, sagt er. »Ihr kriegt ein wenig Einzelhaft, aber das war’s dann. Noch hast du keine Mordanklage am Hals, Howard. Noch nicht.«

      Howard schwingt das Eisenrohr. Der Wärter krümmt sich, um ihm auszuweichen, aber es erwischt ihn am Ohr und er fällt zur Seite, gegen Pearls Beine. Howard holt noch einmal aus. Die Kopfhaut platzt auf, wie bei einem Orangenschnitz. Der Wärter sackt auf Pearls Schuhe, sie stößt ihn weg und er klatscht zu Boden.

      »Du bist ein warmherziges Miststück«, sagt Howard zu ihr. »Das hätte dein Mann sein können.«

       2

       – Der Fährtenleser –

      Jim Cavey wartete ab und betrat den Umkleideraum des Gefängnisses erst, als er sich sicher war, dass alle anderen weg waren. Aber Checkers war noch da, ein Gesicht wie die Innenseite eines Schmalzkübels. »Komm rein, Jim«, sagte er. »Niemand hier, außer uns zwei Säcken.« Bis auf Schuhe und Socken war er schon umgezogen, die Füße weiß, mit roten Adern.

      »Ich schätze, sie sind alle schnell nach Hause«, sagte Jim.

      »Es ist Silvester. Sie sind heiß darauf, zu saufen und ihre Frauen zu vögeln.«

      »Ich hab gedacht, sie wollen alle schnell nach Hause, bevor der Sturm kommt«, sagte Jim.

      »Der Sturm?«

      »Diesen Morgen ist ein kleiner Schneegimpel so niedrig geflogen, dass er mir beinahe den Kopf rasiert hätte.«

      Checkers keuchte ein Lachen heraus, das die Adern auf seinem Kopf anschwellen ließ. »Jim, Jim, Jim. Darum freue ich mich immer, dich zu sehen.« Er schlug mit der Hand auf die Bank.

      Jim


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