Finnische Träume | Roman. Joona Lund
starrte auf ihre Schenkel, schaute kurz zu den von einem Krimi gefesselten Eltern. Inku ließ das Buch sinken und lächelte, drehte sich und hob das Knie an, der Rock spannte sich, er sah bis zum Zwickel. Sekunden verharrte sie in der Stellung, er war wie hypnotisiert, bis sie das Bein sinken ließ und gemächlich den Rock glatt strich, ihren Roman nahm und lachte, als hätte sie eine witzige Stelle gefunden. Aus den Augenwinkeln beobachtete sie, wie die Spannung in seinem Gesicht nachließ.
Seine schlechte Laune am nächsten Tag schob sie auf sein Unvermögen, mit der Situation fertig zu werden sowie auf seine Unsicherheit, wie er sich verhalten sollte. Das stimmte sie übermütig. Sie schlenderte in sein Zimmer, schoss mit dem Gummiband zu kleinen Haken gefaltetes Papier auf ihn. Mürrisch herrschte er sie an, ihn in Ruhe zu lassen, sie sähe doch, er arbeitete. Kichernd schoss sie weiter, bis er aufstand, sie am Arm packte. Auf ihren Ausruf hin, er tue ihr weh, ließ er los. Kaum dem Griff entkommen, nahm sie das Plastiklineal und ließ es auf seine Hand sausen.
»Du spinnst wohl«, schrie er, »das tut weh!«
Er packte sie und zog sie an sich. Früher hatte sie sich gewehrt und jedes Mal den Kürzeren gezogen, nun lachte sie herausfordernd. Er presste sie fest an sich und beim Versuch, sich zu befreien, rieben sich ihre Brüste an ihm, sie fühlte sein Hemd durch den dünnen Pullover und plötzlich spürte sie etwas Hartes und Pochendes in seiner Hose, ein unbekannter Sinnesreiz durchzuckte sie wie ein Stromschlag. Unvermutet ließ er sie los, beinahe wäre sie gestürzt.
Still verließ sie das Zimmer, stand vor dem Spiegel und murmelte: »Oh la la, ganz schön durchtrieben für dein Alter!«
Die Erfahrung war interessant, sie wollte mehr erfahren, versuchte, ihn aus der Reserve zu locken, um ihm zu beweisen, dass es endgültig vorbei war mit dem Ignorieren ihrer Weiblichkeit. Und wenn er ab und zu an die alte Tour anzuknüpfen suchte, zeigte sie ihm jenes Lächeln mit den gespitzten Lippen, das er mochte und gleichzeitig hasste. Und sie wusste warum.
Als sie der Freundin andeutete, dass ihr Jan gefiel und sie es schade fand, dass er ihr Bruder war, griente die Ältere. »Kein Wunder, du hast ja keine Gelegenheit, andere Jungen kennenzulernen.« Dann legte sie den Kopf schief, guckte Inku prüfend an und erkundigte sich, ob etwa was passiert sei.
Auf Inkus empörten Ausruf, was ihr einfiele, er wäre doch ihr Bruder, lachte die Freundin und meinte, es wäre schließlich nicht das erste Mal. Inku wollte das Thema wechseln, als ihr einfiel, sie könnte Eila fragen, was das für Flecken wären, die sie auf Jans Laken entdeckt hatte. Wieder lachte Eila hellauf, wollte sich schier nicht mehr einkriegen vor Lachen, erklärte schließlich, das wäre ein eindeutiges Zeichen dafür, dass Jan dringend eine Freundin bräuchte. Als Inku nicht verstand, erklärte Eila, wie Männer ihre Lust befriedigten, wenn sie keine Frau hätten und sie fragte, ob Inku denn in Sexualkunde nicht aufgepasst hatte.
»Wäre die kostbare Flüssigkeit zur rechten Zeit ins richtige Gefäß gelangt, hätte ein Kind daraus entstehen können«, sagte Eila grinsend. »So gesehen sind die Flecken nichts anderes als nicht zustande gekommene Kinder.« Sie schlug Inku vor, Jan bei Gelegenheit einmal heimlich zuzusehen oder, das könnte sie sich durchaus vorstellen, vielleicht hätte er nichts dagegen, wenn sie zuschaute. Inku schaute die Freundin entsetzt an. Ihr war das alles überaus peinlich, dennoch nahm sie jedes Wort auf.
»Mein Gott, so tu doch nicht so, als wäre dir das alles völlig neu! So naiv kann man doch gar nicht sein!«, sagte Eila.
Als sie sich trennten, riet ihr Eila feixend, sich einen Freund zu suchen, Praxis wäre die beste Lehrmeisterin.
Inku nahm sich vor, nie wieder jemandem etwas über Jan anzuvertrauen. Aus der Anhänglichkeit und Zuneigung hatte sich ein Gefühl entwickelt, das ihr gesamtes Denken bestimmte, sie wagte aber nicht, es zu benennen und versuchte, es vor ihm zu verbergen.
Aus ihren schlauen Büchern hatte sie entnommen, dass Jungen länger brauchten, um zu verstehen, welche Folgen die körperliche Reifung nach sich zogen. Anfangs jagte ihr die Erkenntnis, dass sich seine Anziehungskraft nicht auf die Gefühlsebene beschränkte, sondern auch auf das Körperliche erstreckte, Schrecken ein. Doch als sie zunehmend von ihm träumte und im Schlaf spürte, wie etwas mit ihr geschah, wenn sie ihrer Sehnsucht nachgab und ihn zärtlich erlebte, ließ sie es gern zu, solange er nichts davon merkte. Verwirrend fand sie, dass die Bilder der Traumwelt auch tagsüber präsent blieben, doch nach kurzer Zeit wehrte sie sich nicht mehr gegen die verführerische Bilderwelt. War er in der Nähe und sie schaute ihn an, wurde ihr warm. Jan ahnte nichts davon und sie hütete sich, ihm gegenüber eine Andeutung zu machen. Sie nutzte jede Gelegenheit, mit ihm zusammenzusein und, obwohl sie das Bruchrechnen längst beherrschte, ließ sie es sich erneut erklären, machte Fehler, damit er mit ihr übte. Der Blick, mit dem er auf ihre Brust starrte, entging ihr nicht, sie hatte den BH ausgezogen, ihr Busen zeichnete sich deutlich unter der dünnen Bluse ab. Mit einem Lächeln zog sie die Bluse straff, wusste, der dünne Stoff betonte mehr als er verbarg. Jäh stand er auf, lief mit rotem Kopf in die Küche, verpasste den triumphierenden Ausdruck in ihren Augen. Auch wenn sie vier Jahre jünger war, hatte sie längst begriffen, dass es keine Kunst war, ihn zu reizen und zu manipulieren. Sie hängte sich die Strickjacke über, ließ gerade so viel sehen, dass sich der Fisch nicht vom Haken riss. Ihre dunkelblauen Augen musterten ihn verstohlen und als er den Kopf neigte zum Zeichen, ihren Sieg zu akzeptieren, lächelte sie stolz. Er hatte immer gepredigt, Radio hören störe beim Rechnen, nun drehte sie die Musik auf und summte mit. Er verließ ihr Zimmer, sie folgte und fragte, ob er böse sei.
»Nein, warum?«
»Nur so.«
Sie beugte sich zu ihm, als wollte sie sehen, was er las. Da rutschte ihm der Satz heraus: »Du riechst so gut.« Kaum ausgesprochen, schoss ihm das Blut in die Wangen.
Inku lachte auf und sagte: »Was du bloß für Unsinn im Kopf hast!«, und tänzelte hinaus. Sie war leichtblütiger als Jan, geriet dennoch bisweilen über ihr Verhältnis ins Grübeln, vor allem, als er begann, Fragen zu stellen, bei denen sie zunächst nicht erriet, auf was er hinauswollte. Er sprach Dinge an, über die sie noch nie geredet hatten, interessierte sich für ihre Kleidung und Körperpflege, fragte nach Gewohnheiten, tastete sich an Zonen heran, die sie nicht einmal mit der Freundin besprochen hätte, stellte oft mehrdeutige Fragen, die überraschende Reize auslösen konnten. Ihr gefiel es, wenn er gewagte Szenen, ob Fantasie oder Wirklichkeit, mit wenigen Worten andeutete. Sie liebte dieses Spiel, war gelehrig und verstand gleich, was er meinte, es war eine Sprache in der Sprache.
Einmal beim Frühstück ließ Mutter einen Satz fallen, der Inku nicht mehr aus dem Kopf ging: Sie hätte Jan am liebsten schlafen lassen, er habe entspannt gelächelt wie ein Baby. Am Nachmittag fragte Inku ihn, doch er wimmelte sie ab, war mit der Zeitung beschäftigt. Als er später kam und wissen wollte, was denn so wichtig gewesen sei, tat sie, als wäre sie ins Buch vertieft und hätte nichts gehört.
»Na, dann eben nicht.« Er ging zur Tür.
Sie lenkte ein. »Ich wollte nur etwas fragen.«
Schweigend wartete er und als er sich achselzuckend umdrehte, weil nichts kam, fragte sie, ob er, als Mutter sein zufriedenes Lächeln im Schlaf erwähnt hatte, von ihr geträumt hatte.
»Habe ich.« Er grinste. »Und das neugierige Mädchen will nun wissen was?«
Eifrig nickte sie.
»Na gut.« Einen Augenblick zögerte er. »Ich habe im Bett gelegen, nicht einschlafen können und plötzlich ist die Tür gegangen, du bist hereingeschlichen, hast geflüstert, dir sei kalt und bist zu mir gekrochen.«
Ob das alles gewesen sei, wollte sie wissen.
»Natürlich nicht, aber es wäre nicht klug, mehr zu erzählen.«
»Feigling!«
»Na schön, wenn du unbedingt willst ... Aber du darfst nie mit jemandem darüber reden, hörst du, nie!«
»Bin doch nicht blöd ...«
»Und nicht eingeschnappt sein wie letztes Mal.«
Sie sah auf, schüttelte den Kopf.
»Nun, ich