Finnische Träume | Roman. Joona Lund

Finnische Träume | Roman - Joona Lund


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deine Arme um mich gelegt.«

      Er legte die Hand auf ihren Kopf, strich sanft über die Haare. Inku spürte Röte ins Gesicht steigen, bestand darauf, auch das Ende zu erfahren. Mit dem Handrücken streichelte er ihre Wange.

      »Deine Hand tastete sich nach unten und hat mein bestes Stück berührt. Du bist zurückgezuckt, als wäre es glühendes Eisen, aber die Hand ist wiedergekommen, hat es umklammert. Ich habe deine Hand geführt und es war wunderbar, bis du gerufen hast, du seiest auf einmal ganz nass. Da bin ich aufgewacht, das muss gewesen sein, als mich Mutter weckte.« Er lachte. »Jetzt bist du bis zu den Haarwurzeln rot geworden!«

      Nicht immer verstand sie alle Details, zumal er manches absichtlich im Unklaren ließ, versäumte es aber nie, ihn nach seinen Träumen zu fragen. Er schmückte sie aus, ihr gefielen die Fantasien und Situationen aus der Scheinwelt, die er mit ein wenig Realität mischte. Manchmal rutschte sie unruhig auf dem Stuhl hin und her, wenn er einen Traum erzählte, selten unterbrach sie ihn mit einem: »Nun ist’s aber genug!«, oder mit: »Halt, nicht weiter!« Aber das nächste Mal wollte sie unbedingt hören, was er letztes Mal nicht fertig erzählt hatte.

      Je tiefer er sie in seine Traumwelt führte und in der Fantasie Tabus verletzte, desto mehr genoss sie es. Er schilderte die Methode, die er sich angeeignet hatte, um Träume zu lenken, aber Inku wollte eigentlich nur hören, dass sie darin die Hauptrolle spielte.

      An warmen Abenden radelten sie öfter zum kleinen See, um zu schwimmen. Die Badesachen hatten sie unter den Kleidern an. Jan stellte grinsend fest, ihr wäre der Badeanzug wohl schon zu eng. Inku lachte übermütig und meinte, es hätte ihn sonst nie gestört, wenn er mehr zu sehen bekäme als gut für ihn wäre. Er könnte es gern Mutter sagen, dann bekäme sie eher einen neuen.

      »Es stört mich nicht, das weißt du. Aber wenn du ins Schwimmbad gehst ... Ich meine«, stotterte er, »du musst anderen nicht so viel zeigen.«

      »Oh«, lachte sie auf, »daher weht der Wind! Du wirst doch nicht eifersüchtig sein?«

      Jan schaute sie an, schwieg. Sie machte einen flachen Kopfsprung, ein Träger rutschte runter, eine Brust guckte frech in die Luft, als sie auf dem Rücken schwamm. Im seichten Gewässer stehend holte sie mit der Hand aus, wollte ihn nass spritzen, bemerkte ihre Blöße, schaute hoch, lachte und zog das Oberteil hoch, schwamm hinaus. Sonst war er ihr gefolgt, nun blieb er am Ufer. Sie überlegte, ob das mit den dunklen Blicken zusammenhing, mit denen er sie beobachtet hatte.

      Sie stieg ans Ufer, Tropfen liefen vom Badeanzug über Schenkel und Beine. Abgewendet zog sie sich geschickt unter dem großen Badetuch aus, trocknete sich ab. Sie bückte sich, nahm Höschen und BH auf, das Tuch klaffte auseinander. Zwischen ihren Pobacken sah er die feuchten Härchen glänzen.

      »He, das gehört sich nicht, schau gefälligst weg!« Ihre Zurechtweisung klang bestimmt, doch nicht unfreundlich.

      Beim heimlichen Lesen in seinem Tagebuch dachte sie nach, wie sie ihn dazu bringen könnte, mehr zu wagen. Sie überließ sich der Fantasie, summte vor sich hin. Nun, da sie wusste, dass sie in seinen Träumen präsent war, wollte sie die Grenze, die er nicht zu überschreiten wagte, verschieben. Da er der Dreizehnjährigen eine solche Durchtriebenheit nicht zutraute, zumal sie sich vor anderen weiterhin kindlich gab und alle ihr die Naivität abnahmen, fiel es nicht schwer, ihr Vorhaben auszuführen. Jan merkte zuerst nicht, dass sie sich richtige Strategien ausdachte, um seine Aufmerksamkeit zu erregen und ihn zu locken. Er hatte wohl überhaupt nicht erwartet, dass sie das Gesetz des Handelns an sich ziehen würde.

      Bisher war es ein lässig-lockeres Spiel ohne Folgen, beide hätten der Behauptung, aus dem Spiel könnte Ernst werden und dann könnte es zu spät sein, vom fahrenden Zug abzuspringen, vehement widersprochen.

      Die Wochen liefen im Sauseschritt, der kurze Sommer neigte sich dem Ende zu, das Laub der Birken und die Blätter der dichten Moos- und Preiselbeersträucher schmückten sich mit leuchtenden Farben. Der Abschied vom Sommer mit seiner Freiheit und Helligkeit bedrückte Inku. Einzig der Gedanke, in der langen winterlichen Dunkelheit würde Jan mehr Zeit für sie haben, schenkte ihr Trost.

       4. Das Spiel

      Dichtes Schneegestöber jagte den Herbst unwiderruflich in die Flucht. Wälder und Moore versanken in einem langen, tiefen Schlaf. Tagelang hatte es geschneit, der Schulbus musste sich durch ständig neu bildende Verwehungen kämpfen, obwohl der Pflug mehrmals am Tag fuhr. Nachbarn oder Schulfreunde zu besuchen, war ein schwieriges Unternehmen. Jan und Inku waren mehr aufeinander angewiesen als sonst und ihnen war das recht, so fanden sie Gelegenheit zum Erzählen. Mutter wunderte sich, was die beiden ständig zu beschnattern hatten, wie sie das nannte, war aber froh, dass sie sich wieder verstanden.

      Inku liebte die kuschelige Atmosphäre, zündete eine der orangen Kerzen an, von denen sie etliche in Glasschalen auf dem Fensterbrett stehen hatte. Zum Geburtstag und anderen Festtagen schenkten ihr Verwandte und Freunde Kerzen. Zu Jan hatte sie gesagt, es könnte sein, dass sich jemand im Schnee verirrt und durch ihr Kerzenlicht den Weg findet. Er hielt das für Unsinn, die Lampe vor der Haustür war bei solchem Wetter immer an und dieses Licht war tausendmal heller als ihre Kerzen, aber das behielt er für sich.

      Er schilderte einen Traum, schmückte ihn aus, als ihm einfiel, er könnte aus den Erzählstunden ein amüsantes Spiel mit Regeln entwickeln. Zunächst galt es, ihre Neugier zu wecken und sie dann dazu zu bringen, sich einzubringen. Um sie nicht zu verschrecken, ging er behutsam vor, deutete vieles an, war erstaunt, wie schnell sie erfasste, wohin die Reise gehen sollte, als hätte sie verwandte Gedanken. Schließlich schlug er vor, sie sollte ihre Träume auch erzählen. Sie wandte ein, selten zu träumen und wenn, merkte sie sich wenig, in der Erinnerung blieben nur Traumfetzen hängen.

      »Nimm dir fest vor, zu träumen und dann aufzuwachen, dann merkst du dir eher etwas. Mit der Zeit klappt es, bei mir hat es das jedenfalls. Und du magst meine Träume doch, oder?«

      Sie lächelte und nickte. »Aber sicher. Schon deshalb«, gab sie zu und grinste, »weil ich im Mittelpunkt stehe.« Sie überlegte. »Aber auch, weil ich Dinge erfahre, die du sonst nie preisgeben würdest; auch wenn du ziemlich viel hinzudichtest.«

      Sein Lachen nahm sie als Bestätigung.

      »Lass mir Zeit, irgendwann werde ich meine Träume erzählen.«

      Nachdem sie begriffen hatte, auf was seine Wünsche abzielten, wollte sie mehr hören, nicht jedes Mal nur den Anfang. Ihm ging es zunächst darum, durch das Ausmalen der Träume zu erfahren, wie sie reagierte. Bald reichte es, etwas anzudeuten und sie erriet, was er ausdrücken wollte. Selten blockte sie ab, weil es ihr zu weit ging. Die Pausen hielten nie lange an, bald kam sie wieder zu ihm, redete um den heißen Brei herum und er ließ sie zappeln, bis ihre Neugier die Hemmungen überwand. Allmählich erhöhte er die Dosis an Doppeldeutigkeiten und ermunterte sie, aus sich herauszugehen und das Spiel aktiv mitzugestalten. Es dauerte nicht lange, da begann sie, Situationen auf ihre Weise zu beschreiben und umzugestalten, neue Varianten einzubringen, mauserte sich zur ebenbürtigen Partnerin und, was er nie zu hoffen gewagt hatte: Sie übernahm zunehmend die Federführung. Er akzeptierte den Rollentausch, zumal sie vor anderen nach wie vor tat, als wäre er nur ihr Beschützer.

      Die Idee vom Spiel hatte ihr sofort gefallen, am liebsten hätte sie gleich damit begonnen. Doch hatte er ihren Eifer gebremst und erklärt, wie jedes Spiel habe auch dieses Regeln, an die sich die Teilnehmer zu halten hätten.

      »Unseres hat«, schärfte er ihr ein, »nur drei Regeln, aber die sind streng verbindlich: Teilnehmer sind nur wir beide; keiner tut dem anderen weh; es muss unser Geheimnis bleiben! Bist du nicht bereit, die Regeln zu beachten, ist nix mit dem Spiel.«

      »Soll ich schwören?«

      Er schüttelte den Kopf. Beiden war klar, dass das Spiel mit ihrem Reifungsprozess zusammenhing. Zwar gab es Phasen, da Inku kurz aussetzte, aber stets war die Neugier stärker und sie drang darauf zu erfahren, wie die Geschichte weiterging. Sie ließ sich gern davon überzeugen, dass nichts Schlechtes an ihrem Spiel sein könne, es seien bloß Fantasien, kaum je passiere etwas. Inku war erstaunlich rasch mit seiner Gedankenwelt vertraut, schmückte seine Ideen aus und erhöhte


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