Schloss der dunklen Leidenschaft | Erotischer SM-Roman. Angelique Corse
bebte. Ihr Körper schrie nach Erlösung, das spürte sie deutlich. Aber sollte sie wirklich?
Ein lautes Rufen von unten zerriss die Fantasie und Celina fuhr ruckartig zusammen. Wie viel Zeit war vergangen? Sie wusste es nicht. Eilig schlüpfte Celina in ihr Kleid und legte noch ein wenig mehr Puder auf, um die verräterische Röte im Gesicht zu verbergen. Ihre schmerzhaft pochende Klit ignorierte sie, so gut es ging. Doch das beklemmende und gleichzeitig so angenehme Gefühl blieb.
Wie ein junges Reh eilte Celina die Treppe hinunter und ging ins Speisezimmer, wo bereits alles für das Frühstück gerichtet war. Als sie die Türschwelle überschritt, fuhr ihr ein winziger Stich ins Herz. Beim Anblick der reichlich bestückten, aufwendig dekorierten Tafel würde niemand auf die Idee kommen, dass die Familie in Geldnot steckte.
Celina schluckte. Ihre Eltern taten wirklich alles, um den alten Glanz irgendwie aufrechtzuerhalten. Es gab verschiedene Sorten Brot und Wurst, außerdem Fisch und Käse sowie kunstvoll aufgetürmtes Obst. Sie zweifelte nicht daran, dass die Getränkeauswahl ähnlich vielfältig sein würde. Wahrscheinlich hatten ihre Eltern es sogar geschafft, Trinkschokolade zu organisieren – ein sehr teures und trotz wachsender Industrialisierung noch immer seltenes Vergnügen.
Auch ein Blick in den Garten vermochte ihre Stimmung nicht zu heben. Zwar wurde dieser nach wie vor optimal gepflegt, doch einem aufmerksamen Blick entging nicht, dass neben den prachtvollen Blumen auch Unkraut wucherte.
»Guten Morgen, meine liebe Tochter.« Celina erwiderte Carolines sanfte Umarmung und musterte sie.
Auch die Mutter hatte für ihre Verhältnisse ungewöhnlich viel Puder aufgetragen. War ihre Nacht ebenso schlaflos gewesen? Eine Welle von Schuldgefühlen übermannte Celina und es kostete sie einiges an Selbstbeherrschung, sich nichts anmerken zu lassen. Im Laufe des Tages würde sie ihre Verfehlung beichten, doch jetzt war der falsche Zeitpunkt. Schließlich konnten ihre Gäste jeden Augenblick eintreffen.
»Wo ist eigentlich Vater?« In Carolines Tonfall lag eine unüberhörbare Sorge und Celina schnitt eine Grimasse.
Dass Alvin unfähig wäre, seinen gesellschaftlichen Pflichten nachzukommen, hätte sie sich denken können. Vermutlich hatte er wieder die halbe Nacht am Spieltisch gesessen. Celina wurde leicht unruhig. Was, wenn ihm etwas zugestoßen war? Und wie sollte sie Anne und ihren Eltern seine Abwesenheit erklären? Die Steins waren zwar über die Generationen hinweg treue Freunde und Geschäftspartner, dennoch wussten sie nur wenig über die Tragödie.
Caroline zuckte mit den Schultern, ihre Mimik verriet pure Resignation. Celina schmerzte es, ihre Mutter so erschöpft und traurig zu sehen. In dem ehemals rotblonden Haar zeichneten sich immer mehr graue Strähnen ab. Ihr Kleid war aus alten Roben geschneidert, die sie vermutlich irgendwo auf dem Dachboden gefunden hatte. Zwar konnte niemand behaupten, dass Caroline dieses Handwerk nicht beherrschte, aber ihr Kleidungsstil war alles andere als modisch. Am liebsten hätte Celina sie in den Arm genommen und getröstet, doch dafür blieb keine Zeit.
Ihre Mutter eilte in den Keller, um dort nach Alvin zu suchen. Manchmal, wenn ihr Vater von allem und jedem genug hatte, verschanzte er sich dort, verloren in Erinnerungen an alte Zeiten.
Sie kommen niemals mehr zurück. Wann begreift er es endlich, dachte Celina säuerlich, ballte die Hand zur Faust und machte sich auf, um im oberen Stockwerk nach ihrem Vater zu suchen.
Irgendwo musste Alvin ja sein, wenn er nicht infolge eines Weinrausches in den Fluss gestürzt war. Celina ertappte sich dabei, dass der Gedanke sie nicht unbedingt traurig stimmte. Der Verlust wäre zwar schmerzhaft, aber dafür würden alle Sorgen verschwinden.
Kaum hatte Celina einen Fuß auf die Treppe gesetzt, vernahm sie schwere Schritte von oben, die die hölzernen Dielen knarren ließen. Erschrocken wich Celina zurück. Was war das? Ein Geist? Sie schimpfte sich selbst eine dumme Gans, zumal wenige Sekunden später Alvin vor ihr stand. Entgegen Carolines und Celinas Erwartung wirkte er – zumindest auf den ersten Blick – sauber und gepflegt. Die halblangen, dunkelblonden Haare waren gewaschen, frisiert und der Anzug mit kariertem Hemd und brauner Jacke zeigte keine sichtbaren Flecken, sondern wirkte lediglich ein bisschen zerknittert.
Celina seufzte erleichtert. Sie hatte befürchtet, ihren Vater als Abbild eines Landstreichers vorzufinden. Nicht auszudenken, was dann geschehen wäre.
»Guten Morgen, Vater«, sprach sie so würdevoll wie möglich und deutete einen Knicks an.
Alvin schätzte es, wenn die übrigen Mitglieder des Hauses ihn nach wie vor als Oberhaupt sahen und entsprechend behandelten, obwohl er nur noch ein Schatten seiner selbst war. Das wurde bei näherem Hinsehen deutlich. Zwar hatte er es irgendwie geschafft, die gröbsten Spuren zu verdecken, aber die glasigen, grauen Augen sowie seine deutlich eingefallenen Wangen sprachen klare Worte. Celina schluckte, um den Schmerz ein wenig zu lindern.
»Guten Morgen.« Alvin lächelte und machte Anstalten, sie zu umarmen.
Zuerst wollte Celina reflexartig zurückweichen, auch weil eine bittere Fahne in ihr Gesicht stieg, besann sich jedoch eines Besseren. Jetzt einen Streit zu provozieren, wäre unklug.
»Du weißt, dass wir heute Besuch bekommen«, versuchte sie eine Unterhaltung.
»Natürlich weiß ich das«, schnitt Alvin ihr das Wort ab und in seinem Blick loderte Zorn. »Trotz allem bin ich noch nicht senil.«
Ach, wirklich nicht?, schoss es Celina durch den Kopf und sie schaute Alvin nach, der nun an ihr vorbeiging.
Um Punkt zehn Uhr verkündete ein Diener die Ankunft von Anne und ihrer Familie. Zum ersten Mal seit ihrem unkeuschen Tagtraum freute Celina sich aufrichtig. Sie kannte die Freundin bereits seit Kindertagen und ihre Verbindung hatte sich als unzerstörbar erwiesen, trotz aller Stürme und Eifersüchteleien in der Zeit des Heranwachsens. Auch Anne strahlte übers ganze Gesicht und zog Celina in eine herzliche Umarmung, die sofort erwidert wurde.
Zarter Fliedergeruch beruhigte Celinas angespannte Nerven und sie strich durch Annes blonde Haarpracht. Jene wies leichte Wellen auf und hatte ihr schon früh den Beinamen »Engel« eingebracht, wohingegen Celina mit Ausgrenzung zu kämpfen hatte. Aber Anne bewies schnell, dass ihr der Tratsch gleichgültig war, und stellte sich tapfer hinter ihre Freundin, wenn es zu schlimm wurde, obwohl sie nur wenig vor der heroischen Stärke eines Engels besaß. Im Gegenteil, sie war schüchtern, zurückhaltend und akzeptierte Regeln ohne Widerspruch. Aus diesem Grund war Celina nicht sicher, ob sie ihrer Freundin von ihrem Missgeschick auf dem Ball oder ihren erotischen Träumen erzählen sollte. Ihre Zweifel, ob Anne es verstehen würde, waren sicher berechtigt.
Energisch schob Celina den Gedanken zur Seite und setzte sich neben Anne an den Tisch. Als ihr Vater erschien, verdüsterte sich ihre Miene für einige Sekunden. Täuschte sie sich oder war der Weingeruch stärker geworden? Hoffentlich würde er sich benehmen und nicht beim kleinsten Anlass die Beherrschung verlieren.
Zunächst schienen Celinas Ängste unbegründet, man widmete sich dem köstlichen Essen und sprach über unverfängliche Themen wie Kleider, Schmuck oder die neuesten Nachrichten aus ihren Kreisen. Sie langweilte sich sogar ein bisschen und konnte nicht verhindern, dass ihre Gedanken sich dem Unbekannten widmeten. Celinas Hände zitterten, zumal ein Teil von ihr sich hartnäckig weigerte, an eine Illusion zu glauben.
»Das ist doch absurd«, murmelte sie so leise, dass es niemand hören konnte.
Ein lauter Knall und ein Ruck an der Tischplatte holten Celina aus ihren Grübeleien und ließen sie erschrocken zu ihrem Vater blicken.
Nein, flehte sie stumm. Bitte nicht.
Doch ein flüchtiger Blick reichte aus. Alvin hatte sich abrupt von seinem Stuhl erhoben und starrte Annes Vater an, als wäre dieser plötzlich zum Todfeind geworden. Der hagere Körper ihres Vaters war sichtlich angespannt und er machte Anstalten, sich auf sein Gegenüber zu stürzen. Der arme Mann hob abwehrend die Hände und seine fassungslose Miene verriet, dass er nicht wusste, wie ihm geschah.
»Wenn du noch einmal solchen Unfug redest, bist du in meinem Hause nicht mehr willkommen.« Alvins Tonfall ähnelte dem Zischen einer Schlange.