El Gustario de Mallorca und das tödliche Elixier. Brigitte Lamberts
einfach verputzten Fassade, gerade einmal zwei Stockwerke hoch, die eng beieinander stehen. Die grünen Fensterläden sind zumeist geschlossen. Zahlreiche Blumentöpfe an den Hauswänden und bepflanzte Kübel vor den Türen tauchen die kleinen Gassen in ein farbenfrohes Blumenmeer.
Sven schlendert über die gepflasterten Gassen auf der Suche nach der Tapas-Bar Es Roquissar, die ihm von den Einheimischen aus der kleinen Cafeteria in Cas Català empfohlen wurde. Während er sich umschaut, beginnt er zu verstehen, warum die Fensterläden und Haustüren geschlossen sind. Natürlich wegen der Hitze, aber bestimmt auch wegen der vielen Besucher zur Hauptsaison. Hätten doch Frédéric Chopin und George Sand niemals im Kartäuserkloster Unterkunft gesucht und gefunden, resümiert er, dann wäre dies immer noch ein verträumter Ort, ohne die zahlreichen Geschäfte und Restaurants auf der breiten Straße zum Kloster. Die beiden waren in einer misslichen Situation: Chopin hatte Schwindsucht und das feucht-kalte Winterklima auf Mallorca führte dazu, dass sich sein Gesundheitszustand drastisch verschlechterte.
Irgendwo hat er gelesen, dass Chopin sogar drei unterschiedliche Ärzte in Palma aufgesucht haben soll, die ihm alle nicht helfen konnten. Dem muss es miserabel gegangen sein, überlegt er. Der anhaltende Husten und die extreme Magerkeit von Chopin haben dann wohl die Vermieter erschreckt und dem Paar wurde das gemietete Landhaus gekündigt. Dass die um Jahre ältere George Sand immer in Männerkleidung herumlief, hat bei den Mallorquinern auch nicht für Akzeptanz gesorgt. Wie auch, im 19. Jahrhundert.
Doch jetzt will er die Tapas-Bar finden. Sie soll in der Nähe des Chopin-Museums sein. Er greift in seine Umhängetasche, holt sein Tablet hervor und ruft den Stadtplan von Valdemossa auf. Er dreht und wendet das Tablet, kann sich aber trotzdem nicht orientieren. Ich gehe einfach weiter, beschließt er. So groß ist Valdemossa nun auch wieder nicht.
Nach gut zehn Minuten findet Sven endlich die Plaza Cartoixa, an deren Ende, etwas versteckt, sich das Es Roquissar befindet. Die Tapas-Bar ist in einem kleinen Dorfhaus untergebracht und winzig, gerade einmal zwanzig Quadratmeter, schätzt er. Mittendrin steht ein alter Baumstamm. Er ist noch unschlüssig, ob er drinnen Platz nehmen soll oder doch lieber draußen unter drei großen weißen Sonnenschirmen. Er betrachtet die Karte, eine Schiefertafel, die an der Hauswand lehnt und auf der mit Kreide die Tagesgerichte geschrieben stehen: eine Auswahl an Tapas, eine kalte Gurkensuppe und Wolfsbarsch mit gebackenen Kartoffeln. Sven ist angenehm überrascht. Kurz entschlossen setzt er sich draußen an einen der Holztische. Eine junge Frau kommt auf ihn zu und fragt auf Deutsch nach seinen Wünschen.
»Sieht man mir schon von Weitem den deutschen Touristen an?« Sven lächelt die junge Frau an.
»Nein, nein!« Sie blickt etwas verlegen. »Den Touristen nicht, aber vielleicht doch den Deutschen?«
»Ich nehme die Gurkensuppe und den Wolfsbarsch, dazu eine große Flasche Mineralwasser und ein Glas rosado.«
»Sehr gerne!«
Sven schaut ihr nach, als sie in der Bar verschwindet. Dieses »Sehr gerne« mag er gar nicht. In Düsseldorf begegnet einem dieser Ausspruch überall, im Kaufhaus, im Restaurant, beim Weinhändler. Und hier nun auch noch, als wenn alle denselben Kommunikationstrainer gebucht hätten.
Die junge Frau stellt zuerst das Glas Rosé vor ihm ab, dann öffnet sie die Mineralwasserflasche und gießt ihm ein Glas Wasser ein.
»Woher kommen Sie? Doch bestimmt aus Deutschland«, fragt Sven.
»Ja, aus der Nähe von Köln.«
»Och, hätte ich jetzt nicht gedacht. Eher aus der Gegend von Hannover.«
»Sie vermissen bei mir den rheinischen Akzent?«
Sven nickt und schmunzelt. »Und was hat Sie nach Valdemossa verschlagen?«
»Die Liebe! Und dann hat sich vor zwei Jahren die Chance ergeben, diese Bar zu übernehmen, die ich gemeinsam mit meiner Freundin, einer Mallorquinerin, führe.«
»Sie bleiben also hier?«
»Ja, Mallorca ist meine Trauminsel.«
»Meine auch«, antwortet Sven lachend.
»Und, was machen Sie hier, wenn ich fragen darf? Sie sind doch bestimmt nicht gekommen, um sich die Klosterzellen anzusehen, in denen George Sand und Frédéric Chopin gewohnt haben?«
»Nein, bestimmt nicht. Und ja, Sie dürfen fragen.« Sven nimmt einen Schluck Roséwein und lässt ihn genüsslich im Mund kreisen. »Ich schreibe einen kulinarischen Reiseführer über Mallorca.«
»Das ist ja spannend«, bemerkt die junge Frau. »Werden wir da auch erwähnt?«
»Könnte gut möglich sein.« Sven lächelt verschmitzt. »Kommt ganz darauf an, was Ihre Küche zaubert.«
»Na, dann lassen Sie sich mal überraschen. Meine Freundin ist eine echte Künstlerin.«
Sven trinkt von dem gekühlten Mineralwasser und schaut sich um. Viele Gäste sind noch nicht da, nur am Tisch direkt am Eingang sitzen zwei ältere Männer, trinken Wein und debattieren angeregt.
Das Erste, was ihm auffällt, als die junge Frau die Gurkensuppe bringt, ist das moderne, formschöne Geschirr in hellem Weiß.
Er nimmt die Stoffserviette und legt sie auf seinen Schoß, dann greift er nach dem Löffel. Auch das Besteck ist klassisch-modern. Schon der erste Löffel der Gurkensuppe ist ein Genuss. Viel frischer Dill, etwas Salz und Pfeffer, abgerundet mit Sahne, dazu gibt es auf einem kleinen Teller knusprig gebratenen Serranoschinken. Das ist eine sagenhafte Kombination, die leicht sämige, kalte Gurkensuppe und der etwas salzige und vor allem würzige Schinken. Sven ist begeistert. Als die junge Frau den lubina bringt, ist er voll des Lobes.
»Die Suppe war exzellent, nun bin ich auf den Wolfsbarsch gespannt.«
»Ich hoffe, der schmeckt Ihnen genauso gut, alles mallorquín.« Sven greift erneut zum Besteck, diesmal wurde ihm Fischbesteck neben den Teller gelegt. Er ist wieder angenehm überrascht: In Valdemossa in einer kleinen Tapas-Bar gibt es nicht nur stilvolles Geschirr, sondern auch Fischbesteck. Das hat er auf Mallorca so noch nicht erlebt. Meist gibt es billiges Blechbesteck, das ein Indiz für gute, originale Küche sein soll. Doch hier scheint es anders zu sein. Ihm macht es mehr Spaß, den Fisch mit Fischbesteck zu filetieren, statt mit einem einfachen Messer und einer Gabel.
Er schaut auf den Fisch auf seinem Teller, der etwa so aussieht wie eine wohlgenährte Forelle, wären da nicht der fast quadratische Kopf mit dem recht breiten Maul und die gezackte Rückenflosse. Geschickt setzt er das Fischmesser an, schlitzt den Rücken auf und klappt eine Fischhälfte um. Vorsichtig befreit er das Fleisch von den Gräten und nimmt ein erstes Stück. Auch der im Ofen zubereitete Wolfsbarsch ist vorzüglich. Nur mit etwas Salz, Pfeffer und Knoblauch gewürzt, hat er viel Eigengeschmack, das Fischfleisch ist zart, ohne dass es auseinanderfällt, und die Kartoffeln schmecken nach Kartoffeln: mit Schale, halbiert und im Backofen gegart.
Sven ist zum Platzen satt. Mittlerweile sind auch die anderen Tische auf der Terrasse besetzt, meist mit Einheimischen, so scheint es ihm. Jetzt würde er sich gerne eine Zigarette anstecken. Doch er hat schon vor Jahren aufgehört, und das ist auch gut so.
Nur ganz selten überkommt ihn noch das Bedürfnis, den Rauch zu inhalieren und weit von sich zu blasen. Doch dann wird er mit einer erfreulichen Alternative überrascht. Die junge Frau bringt ihm einen eisgekühlten Patxaran.
»Den habe ich nicht bestellt«, äußert Sven verwundert.
»Der ist vom Haus, den Digestif bekommen unsere Gäste als Zugabe.«
»Das ist eine tolle Idee. Der hilft nach dem guten und reichhaltigen Essen bestimmt, aber wieso gerade ein Patxaran?«
»Er ist bekömmlich, nimmt das Völlegefühl und in dieser Tapas-Bar hat er Tradition.«
»Wieso gerade hier?«, fragt Sven neugierig.
»Das kann ich Ihnen nicht sagen. Aber der Besitzer, von dem wir die Bar übernommen haben, hat das als Auflage in den Kaufvertrag geschrieben: Patxaran als Digestif für unsere Gäste, und das kostenlos.«