Zu jung für mich. Nicolas Scheerbarth

Zu jung für mich - Nicolas Scheerbarth


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Ich wusste, wie sie über solche Orte dachte, an denen zu viele Menschen zu dicht beisammen in zu viel Sonne saßen. Das Café lag einfach günstig, und zumindest hatten wir einen Tisch im Schatten eines der großen Sonnenschirme gefunden.

      Ich küsste sie, spürte ihre Lippen auf meinen ... ein kurzer Hauch Intimität, belebend wie eine Oase in der Alltagswüste ... und ihren leichten Körper in meinen Armen. Takíyas Figur war das, was man einen "Strich in der Landschaft" nannte ... keine Spur von der sportlichen Kompaktheit, die ich bei Bea so bewundert und seither als meinen bevorzugten Frauentyp angesehen hatte. Takíya war weder sportlich noch kompakt, einen halben Kopf kleiner als ich und nach streng medizinischen Maßstäben vermutlich riskant untergewichtig.

      Langsam löste sie sich von mir. Mir lief ein Schauer den Rücken hinab, als ihre schmalen Hände zwischen Kragen und Haaransatz über meinen bloßen Nacken strichen. Es waren diese kleinen Gesten ... spontane, oft wie beiläufig wirkende Berührungen ... die mich endgültig um den Verstand brachten. Keine Frau, mit der ich bisher zusammen gewesen war, hatte sich so verhalten. Takíya war wie eine junge, neugierige Katze. Sie brauchte keinen Anlass für Zärtlichkeit. Ein wunderbarer Instinkt drängte sie dazu, mir einfach so oft wie möglich körperlich nahe zu sein und mich förmlich zu erforschen ... ohne dass die Schwelle zum Offensichtlichen, zur Lust dabei gleich überschritten wurde ... nicht jedes Mal. Aber oft genug.

      "Frank. Takíya," stellte ich die beiden vor.

      "Hi!" grüßte Takíya fröhlich.

      Etwas weniger enthusiastisch grüßte Frank zurück. Eine gewisse Verblüffung hielt ich ihm gern zugute, da sie meinem Ego schmeichelte. Bewusst hatte ich Frank im Unklaren über Takíyas Aussehen gelassen, wollte mich an seinem Erstaunen weiden. Die Absicht war gelungen. Was immer Frank erwartet hatte ... eine nerdig bebrillte Abiturientin, eine jugendliche Sexbombe oder eine Alternativfluse in Handgewebtem ... Takíya war nichts dergleichen. Ihr leuchtend naturroter Wuschelschopf und das leicht geschminkte, schmale Gesicht ließen an Wave oder Emo denken. Die selbstgebastelten Leder- und Metallapplikationen auf ihrer Kleidung stammten von Steampunk-Vorbildern, der Rest war aus Anleihen verschiedener Subkulturen zusammengewürfelt.

      Vor allem aber war Takíya sie selbst. Sie erfand ihren eigenen Stil ... manchmal im Wochenrhythmus neu ... war ihr eigenes Kunstwerk. Und dieser Vulkan an Kreativität war kein oberflächliches Getue. Diese Energie kam tief aus ihrem Inneren, und Takíya war dabei in keiner Weise auf Effekthascherei aus, nicht einmal auf die Zustimmung ihrer Altersgenossen.

      "Es ist mir egal, was die denken, was das ist," hatte sie mir erklärt. "Ich mach das, was mir gerade einfällt, und ich mach es für mich. Diese ganzen Szenen und das ewige Hin und Her, wer dazu gehört oder passt und wer nicht ... das geht mir aber sowas vom am Arsch vorbei!"

      Das Gespräch zu dritt kam nur mühsam in Gang. In der Hauptsache redete ich ... vor allem über den Film, den wir zusammen anschauen wollten. Takíya stellte ein paar Fragen, und Frank war mit Glotzen beschäftigt. Ihre Erscheinung war ja ausreichend exotisch. Und dass ihre langen, dünnen Finger ständig damit beschäftigt waren, meinen nackten Unterarm zu streicheln, übte eine voyeuristische Faszination auf ihn aus. Ich nahm es ihm nicht übel, hoffte nur, dass Takíya ihn nicht für einen Idioten hielt. Ihr Vorteil war, dass sie sich tatsächlich für den Film interessierte ... südkoreanisch und etwas avantgardistisch. Das hatte Frank wohl nicht erwartet bei der 19-jährigen Lolita, die seinem Kumpel David den Kopf verdreht hatte.

      "Du hast ... ähm ... entschuldige, wenn ich das so einfach anspreche ... auch keine leichte Zeit gehabt," meinte er, als sich bei ihm der Staub der ersten, verwirrenden Eindrücke etwas legte. Davor hatte er ... unter anderem ... die zahlreichen Ritzspuren auf ihren nackten Armen eine Weile lang gemustert.

      "Wegen der Narben?" kam sie direkt zum Punkt. "Ja, das war eine üble Phase. Aber ich bin drüber weg. Ich hab mich seit fast zwei Jahren nicht mehr geritzt."

      "Gut ... und jetzt hast du ja David hier," meinte Frank.

      "Na, das hoff ich doch!"

      "Ich werd sie nicht ritzen!" warf ich ein, ihn absichtlich falsch verstehend.

      "Wirklich nicht?" fragte sie. "Auch nicht, wenn ich dich ganz lieb bitte?"

      Spielte sie einfach mit, oder lag unter der Oberfläche ein geheimer Wunsch? Ich wusste es nicht. Verrückt genug war sie für ein solches Spiel.

      "Ich fänd das, glaube ich, nicht so appetitlich. Vor allem hätte ich die Angst, zu tief zu schneiden oder sonst was an dir kaputt zu machen," sagte ich, zog ihren Arm an meine Lippen und küsste ihn. "Und das wär doch schade."

      Ihre Narben hatten mich nie gestört. Ein Blick aus den leuchtenden Augen, die Bewegungen ihres Elfenkörpers, das Vibrieren ihres Gefühls bei der leisesten Berührung, dem flüchtigsten Kuss ... was bedeuteten da schon Tattoos, Piercings, Ritzer? Früher hätten mich solche Zeichen vielleicht sogar abgestoßen. An Takíya hatten sie sich in eine Topografie der Liebe verwandelt, etwas, das unbedingt dazu gehörte.

      "Ich zeig dir schon, wie mans richtig macht!" kündigte sie im Ton ruhigster Selbstverständlichkeit an. Sie wollte den armen Frank aus der Reserve locken, das war mir jetzt klar. Junge Katzen müssen eben immer irgendetwas ausprobieren. Hätte sie ernste Absichten, würde sie nicht vor einem Dritten davon sprechen. Nur Frank wusste das nicht.

      "Na, wie auch immer ... es ist Zeit, dass wir aufbrechen! Ich mag nicht ins Kino kommen, wenns schon dunkel ist," wechselte ich das Thema, bevor mein armer Freund ihr vollends auf den Leim ging.

      ***

      Zwei Monate vorher. Es regnete in Strömen in dieser Samstagnacht ... ein kalter, unfreundlicher Regen in einem kalten, ungemütlichen Frühling. Ich hatte Freunde in einem Vorort besucht und tastete mich mit meinem Auto durch die verschlungen, schlecht beleuchteten Wohnstraßen. Ich kannte die Gegend kaum und fuhr viel langsamer als sonst.

      Dann sah ich ein Stück vor mir den Stadtbus ... den einzigen, der hier fuhr, und der Uhrzeit nach der letzte. Ich freute mich, denn ich wusste, dass ich ihm aus der Siedlung hinaus auf die Bundesstraße folgen konnte. Von da aus war es nicht mehr schwer, den Weg zurück in die Stadt zu finden. Ich wollte gerade Gas geben, zu dem Bus aufschließen, als ich im Augenwinkel eine Bewegung sah. Eine Gestalt rannte da zur Haltestelle und winkte. Der Busfahrer sah sie nicht ... oder war in der standesüblichen Arschlochlaune ... blinkte und fuhr los.

      Es dauerte einen Moment, bis ich reagierte. Über die Haltestelle war ich schon hinaus. Ich bremste, legte den Rückwärtsgang ein. Ich kann nicht sagen, was mich dazu bewog. Vielleicht war es der Ärger über den Busfahrer. Oder der Wunsch, mich als guter Mensch zu fühlen. Bis zu dem kleinen Bahnhof des Orts konnte ich problemlos fahren, und wenn der arme Kerl in die Stadt wollte, konnte ich ihn mitnehmen und an der Nachtbushaltestelle in der Nähe meiner Wohnung absetzen.

      Ich fuhr die paar Meter zurück. Ja, da stand jemand ... eine leicht verkrümmte, schmale Gestalt, gegen den Regen nur mit einer Kapuze geschützt. Die Haltestelle hatte nicht mal ein Schutzdach. Ein junger Mensch also ... ältere hatten bei solchem Wetter meist einen Schirm dabei. Ungeachtet des Regens senkte ich das Beifahrerfenster.

      "Hallo!" rief ich. "Ich hab gesehen, dass Sie eben den Bus verpasst haben! Soll ich Sie zum Bahnhof fahren? Oder mitnehmen ... in die Stadt?"

      Es war ein eigenartiger Moment. Denn die Gestalt ... die junge Frau ... tat etwas völlig Unerwartetes. Sie zuckte, als hätte ich sie aus tiefen Gedanken aufgescheucht ... riss die Beifahrertüre auf und warf sich förmlich auf den Sitz. Im ersten Moment erschrak ich. Später kam die Verwunderung. Denn sie war eine junge Frau und ohne jedes Zögern zu einem fremden Mann ins Auto gestiegen. War sie leichtsinnig? Betrunken? Oder gar unter Drogen?

      Ausgiebig betrachten konnte ich meinen Fahrgast nicht. Ich hatte genug damit zu tun, nicht gegen Bordsteine oder andere Autos zu fahren bei dieser Sicht. Ein kurzer Blick zur Seite zeigte mir ein Mädchen in einer Art Punk-Montur, die momentan vor allem an eine nasse Katze erinnerte. Immer noch frierend hatte sie die Arme um den Oberkörper geschlungen.

      "Hi," grüßte ich sie, "ich bin David. Ich hab gesehen, wie du den Bus verpasst hast." Es kam mir gar nicht


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