Zu jung für mich. Nicolas Scheerbarth
"Ok," meinte ich. Der Name klang orientalisch, doch sie sah nicht so aus. Eher blass, schmal ... angelsächsisch. Doch es gab Wichtigeres in diesem Moment. "Wohin wolltest du denn?"
"Nach Hause," sprudelte sie heraus. "Ich war bei nem Mädel aus meinem Leistungskurs, die hier wohnt am Arsch der Welt, und wir haben an einer Hausarbeit ... äh ... ja ... in die Stadt erstmal. Aber du kannst mich am Bahnhof absetzen. Züge fahren noch, sagt meine Bahn-App. Ich komm schon klar."
"Ich wohne selbst in der Stadt. Wohin genau musst du denn?"
Sie nannte den Stadtteil. Meine Ecke war das nicht, aber es war auch kein unzumutbarer Umweg. Vor allem ... wollte ich die angenehme Gesellschaft noch eine Weile länger genießen. Nicht, weil ich mir zu diesem Zeitpunkt irgendwelche Chancen ausrechnete. Sie war viel zu jung, ging noch zur Schule, und sah auch überhaupt nicht wie meine Traumfrau aus. Eher wie ein nasses Gespenst. Aber sie brachte Leben und Abwechslung in diesen trüben Abend ... einen weiteren trüben Abend, an dem ich am Ende alleine ins Bett steigen würde ... an einem weiteren trüben Wochenende, an dem ich mit mir nichts anzufangen wusste und mich nach dem Montag sehnte, an dem ich ins Büro gehen konnte, wo Menschen waren und wenigstens ein rudimentäres Sozialleben.
So war es abgemacht. Ich würde sie direkt nach Hause fahren. Kurz spielte ich mit dem Gedanken, noch eine Schleife dranzuhängen, doch das war lächerlich. Wenn sie den Weg kannte, bekam sie womöglich Angst, ich wolle sie entführen. Nein ... die direkte Route war lang genug, und der strömende Regen bot mir ausreichend Vorwand, langsam zu fahren. Inzwischen hatte ich die Bundesstraße erreicht und musste mich nicht mehr auf die Strecke konzentrieren.
"Ist ne komische Ecke hier," meinte ich und deutete auf die letzten braven Ein- und Zweifamilienhäuser der Siedlung. "Ich mag die Leute, bei denen ich war, aber ich komm nicht gerne her. Irgendwie nicht meine Welt."
"Wem sagst du das! Als ich Doro ... das ist die aus dem Kurs ... zum ersten Mal besucht hab, hats mich fast umgehauen. Die fegen tatsächlich die Bürgersteige sauber hier! Und also Doros Eltern sind ok, aber der Garten da sieht aus, als wär das alles tot, und das Haus ist vollgestopft mit Nippes und Zeugs und sie haben sogar Gartenzwerge vorne stehen, stell dir das mal vor!"
"Ach, das kann doch ganz lustig sein. Spießer ist doch wieder in, wusstest du das nicht?"
"Nee, keine Ahnung ... Spießer so richtig sind die gar nicht. Der Vater ist sogar bei den Grünen und fährt nach Grönland zum Robbenstreicheln."
"Na, Grüne sind doch oft die neuen Spießer heutzutage!"
"Ach Politik ... is nich so mein Ding. Ich weiß, dass es blöd ist, aber ich kümmer mich nicht groß um Parteien und das ganze Zeug. Du wirst doch sowieso nur verarscht, egal von wem."
Ich musste ihr einfach widersprechen, nur aus Prinzip. Grundzüge der Demokratie, die Bedeutung von Wahlen und die Funktion der Parteien ... wenn mir jemand erzählt hätte, dass er das als Thema gewählt hatte, um eine junge Frau zu beeindrucken, hätte ich ihn vermutlich für leicht gestört erklärt. Bei Takíya funktionierte es. Als wir vor ihrem Haus ankamen, waren wir so intensiv am Diskutieren, dass wir einfach sitzen blieben, immerhin warm und trocken in der sonderbaren Romantik eines Autos im Regen.
Takíya hatte durchaus mehr Ahnung von Politik, als ihre anfängliche Flapsigkeit vermuten ließ. Und sie empfand erfrischend wenig Respekt vor einem Mann, der fast dreißig Jahre älter war. Dabei war es ein Genuss, mit ihr zu streiten. Ihre eigenen Ansichten konnte sie gut erläutern und begründen ... besser als mancher Erwachsene, mit dem ich schon ähnliche Gespräche geführt hatte. Sie ließ auch andere Meinungen gelten und war nicht beleidigt, wenn ich ihr Kontra gab. Vor allem aber waren wir bei einigen zentralen Themen einer Meinung. Viel später erst kam ich darauf, dass das wohl den Ausschlag gab.
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