Urlaubsküsse - Liebesroman. Thomas Tippner

Urlaubsküsse - Liebesroman - Thomas Tippner


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Bisher waren ihre Telefonate immer gleich verlaufen. Er rief an, fragte, wie es ihr ging, wartete die Antwort ab und fiel dann mit der Tür in Haus.

      An diesen Nachmittag aber, Louisa hatte gerade allein im Büro gesessen und eine Fallanalyse geschrieben, war ihr danach, sich zu behaupten. Ihre bisherige Furcht, ihrem Vater nicht mehr zu gefallen, hatte ihr Handeln beeinflusst.

      Bis zu dem Moment, als sie sich mit Tom gestritten hatte.

      Natürlich hatte sie sich angegriffen und in die Ecke gedrängt gefühlt. War der festen Meinung gewesen, dass Tom ihr das enge Verhältnis zu ihren Eltern vorwarf, weil seines zu seinem Vater gerade ordentlich angespannt war.

      Dann aber, als sie abends im Bett gelegen hatten, jeder auf die Seite gedreht, Rücken an Rücken, hatte er etwas zu ihr gesagt, das bis heute in ihr nachhallte.

      „Ich möchte mir dir zusammen sein. Nicht mit deinen Eltern!“

      Es war wie eine Ohrfeige gewesen.

      Nicht eine von der Sorte, die einen erniedrigte, sondern die, die einen beruhigte, nachdem man einen hysterischen Anfall gehabt hatte.

      Konsterniert über diese beiden einfachen Sätze hatte sie nur ein heiseres: „Okay“ herausbekommen.

      Das konnte sie nicht.

      Dafür war sie nicht der Typ.

      Sie musste entweder auf einer Welle ihrer Emotion daher geritten kommen oder sich zurückziehen und ihre Gedanken um das Thema kreisen lassen.

      Wieder und wieder.

      Noch einmal und noch einmal.

      Bis sie zu einer Lösung gekommen war.

      Und eben weil sie damals am Frühstückstisch miteinander gesprochen hatten, sich einig wurden, wie sie ihr gemeinsames Leben ab sofort planen sollten, musste sie ihrem Vater mit neuem Selbstvertrauen entgegentreten.

      „Ich wollte nur hören, ob alles okay ist bei dir“, setzte dieser, weiterhin merkwürdig leise, erneut an. Schließlich räusperte er sich etwas verlegen.

      „Ist es.“

      „Mit Tom auch? Also … es läuft zwischen euch?“

      „Ja, tut es.“

      Sie hatte da an ihrem abgewetzten Schreibtisch gesessen, einen viel zu alten, brummenden Computer rechts neben sich stehen gehabt und ein wissendes Lächeln auf den Lippen getragen.

      Ein Lächeln, wie es nur eine Tochter tragen konnte, wenn ihr Vater sich bei ihr meldete und wissen wollte, wie es um die Beziehung zu dem nicht gerade heißgeliebten Schwiegersohn in spe bestellt war.

      „Das ist schön.“

      „Wolltest du etwas anderes hören?“, fragte sie bissig.

      Schweigen.

      Sie konnte sich plastisch vorstellen, wie ihr Vater da an seinem Schreibtisch hockte, den Telefonhörer in der Hand, die Vorderzähne in die Unterlippe gepresst, die Stirn in Falten gelegt und in tiefen Gedanken versunken. Ja, wenn sie sich Mühe gab, konnte sie sich sogar vorstellen, worüber er gerade nachdachte und ob es klug von ihm war, seine Gefühle zur Schau zu stellen.

      Christoffersons neigten nicht dazu, mit ihren Empfindungen hinter den Berg zu halten.

      Sie sagten, was sie dachten.

      Meistens.

      Oder besser gesagt: Ihr Vater sagte, was er dachte. Wenn er nicht in der Nähe war, konnten Louisa und ihre Mutter hingegen ausgesprochen frei und ungezwungen miteinander reden.

      „Ich wollte nur hören, ob alles gut zwischen euch ist.“

      „Ist es.“.

      „Finanziell auch alles im Lot?“

      „Ja.“

      „Ich habe was anderes gehört.“

      Und da war er wieder, der ekelhafte Polizist, der seine Fragen nicht aus Interesse am Empfinden seiner Mitmenschen stellte. Der Ermittler. Die Spürnase. Das Genie.

      „Ich studiere noch, und Tom hat nur einen Halbtagsjob. Natürlich ist es manchmal etwas eng.“

      „Aber in den Urlaub könnt ihr fliegen.“

      „Wir werden sparsam sein.“

      „Das meinte ich nicht“, sagte er. „Ich …“

      „Wir haben uns bei euch kein Geld geliehen. Und was wir und Oma gemacht haben, geht dich nichts an. Gar nichts!“

      „Schatz“, versuchte Christofferson zu schlichten, als er merkte, wie Louisa ungehalten wurde. „Darum geht es mir doch gar nicht. Ich will doch nur, dass du keine Not leidest.“

      „Tue ich nicht.“

      „Du musstest dir Geld leihen!“

      Verdammt, Oma!, dachte sie sich, als sie ihren Vater das sagen hörte. Warum musstest du dich auch verplappern?

      „Wir geben ihr das Geld zurück.“

      „Soll das denn ab sofort so weitergehen? Dass ihr euch Geld leihen müsst, damit ihr eure Miete bezahlen könnt? Louisa …“

      Sie hatte ihren Vater nicht aussprechen lassen. Sie war ihm ins Wort gefallen: „Tom hat den Job zwei Wochen später anfangen können als geplant. Deshalb hat er auch nur ein halbes Gehalt bekommen. Und deswegen mussten wir uns was bei Oma leihen.“

      „Wann arbeitet Tom endlich richtig?“, wollte ihr Vater wissen. „Dieses, dieses …“

      „Schreiben“, half sie ihm auf die Sprünge.

      „ … Geschichten tippen“, fand er eine abwertende Formulierung, die ihm besser gefiel, „bringt nichts ein. Es heißt nicht umsonst, dass Kreativität eine brotlose Kunst ist. Louisa, ich will wissen, ob du das so weiterführen willst oder …“

      „Ja, will ich!“ Sie nickte, diesmal so nachdrücklich, dass es ihr im Genick weh tat.

      „Überleg es dir noch einmal. Ganz genau. Ich meine …“

      „Schönen Tag dir noch, Papa. Wir hören uns!“

      Damit hatte sie die Verbindung unterbrochen und aufgelegt.

      Was für eine Befreiung!

      Was für eine Enge!

      Sie hatte sich wie ein Tier gefühlt, das sich gerade aus einem geschlossenen Käfig befreit hatte und nun eine blinde Flucht antrat. Weg aus den Fängen der Häscher, hinein in das ungestüme, ihr unbekannte, wilde Leben, der nahenden Freiheit entgegen.

      Nachdem sie zwei Minuten wie erstarrt auf ihrem Platz gesessen hatte, ernsthaft mit dem Gedanken kämpfend, wieder zum Hörer zu greifen und ihren Vater zurückzurufen. Um sich bei ihm zu entschuldigen, dass sie einfach aufgelegt hatte. Dafür, dass sie ihn nicht hatte aussprechen lassen und dass so etwas niemals wieder vorkommen würde. Schließlich war sie eine artige Tochter, die ihrem Papa gefallen wollte.

      Dann aber wurde ihr bewusst, was für einen Schwachsinn sie da dachte. Die Flucht aus ihrem Käfig war ihr danach umso befreiender vorgekommen.

      Jetzt, da Tom ihr zurief: „Alles gut, mein Schatz?“, spürte sie, wie gut es gewesen war, die Konfrontation mit ihrem Vater zu suchen.

      Was fiel ihm überhaupt ein, so über Tom zu reden?

      Ihr zu raten, dass sie sich trennen sollte?

      War ihrem Vater denn gar nicht bewusst, was sie hier hatte?

      Hallo?

      Sie war wieder auf Mallorca. Wieder dort, wo alles mit Tom begonnen hatte. Und sie war dabei, mit ihm nach Arta zu fahren, um die Transfiguració del Senyor zu besuchen und anschließend hinunter zu gehen in die Fußgängerpassage, um dort eine der besten Pizzen zu essen, die es auf Mallorca gab.

      Und, ja …

      …


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