Urlaubsküsse - Liebesroman. Thomas Tippner
Warum sitzt er nicht beleidigt am Strand, schaut den Menschen nach, die Spaß haben, und wünscht sich nur einmal, nur ein einziges, beschissenes Mal, dass er gern leicht und locker wie die anderen wäre. Nicht so gehemmt. Sich für jeden und alles schämend. Nur einmal die Unsicherheit spüren, die alle anderen fühlen, wenn sie mit ihm zusammen sind.
Nur einmal soll er auf die Fresse fallen.
Nur ein einziges Mal!
Ein Tritt in einen Seeigel …
… oder dass ihm der Fuß anknackst.
Irgendetwas, das ihn aus dem Licht der Aufmerksamkeit zieht und in den Schatten der Langeweile schleudert.
Connys Mund wurde ganz trocken bei dem Gedanken.
Er spürte, wie ihn die Sehnsucht heimsuchte, wie sie ihn zu verfolgen begann und unentwegt durch seinen Kopf kreiste. In zwei Lager gespalten, wobei die eine Seite ihm laut zujubelte und ihm zurief: „Weiter so! Weiter so! Weiter so!“, während die andere ihn entsetzt anstarrte und nicht glauben konnte, was er da gerade dachte.
„Es geht hier um einen deiner ältesten und besten Freunde“, redete er sich ins Gewissen.
Das stimmte. Conny wusste das.
Deshalb versuchte er, sich das nicht noch einmal zu wünschen. Oder jedenfalls nicht so, dass Oliver sich verletzte, sondern nur einen Dämpfer erhielt, beispielsweise, indem sich der Freund der Schwarzhaarigen vor ihm aufbaute und offen mit der Faust drohte.
Etwas in der Richtung.
Und ich könnte dann aufstehen, zu meinem Freund gehen und sagen: „Hey, Kumpel. Noch so ein Ding, und ich zeig dir, mit wem Oliver befreundet ist.“
Aber weder das eine noch das andere trat ein.
Conny blieb Conny.
Und mit ihm blieb die Sorge, weil Tom und Louisa nicht zurückkehrten. Sie hatten gesagt, dass sie nur kurz nach Arta wollten, um dort etwas die Gegend zu erforschen, etwas essen zu gehen und dann wieder zurück an den Strand zu kommen.
Louisa und Tom blieben verschwunden.
„Die sind sicher schon am Hotel“, winkte Katrin ab, nachdem sie ihr Micky Maus-Handtuch ausgeschüttelt hatte und Denise sie fragte, ob sie ihr beim Zusammenlegen der blauen Filzdecke helfen könnte. „Du weißt doch, wie die beiden sind.“
„Sie wären hergekommen, um uns zu sagen, wohin sie jetzt gehen.“
Katrin zuckte mit den Schultern. „Wir werden sehen.“
„Nein, du wirst mich zur Straße begleiten“, befahl Conny und merkte gleichzeitig, wie es ihm eng in der Hose wurde, als Katrin zusammenzuckte.
Das Spiel, das er begonnen hatte, mit ihr zu spielen, gefiel ihm immer besser.
Da war etwas, das er so bisher nicht gekannt hatte.
Eine ihm fremde, eine für ihn völlig neue Macht, die er bisher über niemanden sonst gehabt hatte.
Laut einem der Ratgeber, die er gelesen hatte, wie man offener und vor allem lockerer auf andere zuging, sollte er es mit ein wenig Dominanz versuchen. Nicht herrisch oder gar bevormundend, aber doch mit solch einer Prise Aufmüpfigkeit, dass sein Gegenüber genau wusste, was Conny von ihm wollte und erwartete.
Und von Katrin erwartete er einiges.
Sie war nicht Louisa, klar, aber sie hatte dennoch etwas Begehrenswertes und Anziehendes, dem er sich nicht entziehen wollte.
Außerdem schrie Katrin regelrecht danach, geführt und an die Hand genommen zu werden.
Er hatte das vor vier Jahren schon bemerkt.
Nur mit dem Unterschied, dass er damals der verletzte, der unsichere und der nach Führung schreiende Dummkopf gewesen war, der sich nicht behaupten konnte.
Das hatte sich geändert.
Gegenüber Katrin wenigstens.
Betrachtete er aus sicherer Distanz sein Verhalten innerhalb der Fußballmannschaft oder auf der Arbeit, so begriff er nur allzu schnell, dass er weiterhin die Rolle des zurückhaltenden, unlustigen und vor allem sich schnell mit neuen Situationen abfindenden Mitmenschen besetzte.
Er schaffte es nicht gut, sich sein eigenes Leben zurechtzulegen.
Bis jetzt.
Die angenehme Enge weitete sich noch zusätzlich aus, als Katrin fragte: „Wie redest du eigentlich mit mir?“
„So, wie ich es möchte. Komm. Wir fahren nur einmal die Straße rauf und runter, um zu sehen, ob sie noch unterwegs sind.“
„Denise?“
„Ja?“
„Magst du meine Sachen mit einpacken? Ich muss mit Conny los“, hörte er sie sagen und meinte, innerlich explodieren zu müssen.
Er hatte sie in der Hand.
Sie tat, was er von ihr verlangte.
Conny grinste breit, als er Katrins verstörte Miene erkannte, und er fühlte sie wie im Paradies, als er sie beim Arm nahm und mit sich Richtung Teerstraße zog, hin zum Parkplatz, wo der Mietwagen stand.
Sie wehrte sich gegen den Griff überhaupt nicht …
*
„Hier sind wir doch nicht richtig“, sagte Louisa, die ebenso wie Tom ihr Fahrrad inzwischen mehr trug, als es zu schieben. „Die Straße ist da hinten. Hier ist rein gar nichts. Nur diese blöde Felsenkante.“
„Hinter der Biegung da wird es weitergehen, da bin ich mir sicher“, sagte Tom.
„Das hast du eben auch schon gesagt.“
„Da war ich mir ja auch ebenso sicher.“ Er musste sich eingestehen, dass die wachsende Unsicherheit, die von ihm Besitz ergriff, langsam, aber sicher lauter in ihm wurde.
Besonders, weil die schroffen und kantigen Felsmassive immer unangenehmer wurden.
„Lass uns umkehren“, riet Louisa.
Tom schüttelte den Kopf.
„Hinter der Felsbiegung, ich bin mir sicher.“
Louisa seufzte. Nicht allzu laut, nicht sehr aufdringlich. Nicht so wie manchmal, um ihren Unmut kundzutun. Aber dennoch so gut vernehmlich, dass Tom genau wusste, was sie von seiner Entscheidung hielt.
„Wirklich“, beharrte er.
Alles andere machte ja auch keinen Sinn.
Schließlich war er es gewesen, der vorgeschlagen hatte, sie sollten von der gut befestigten Straße abbiegen und die kleinen Nebenstraßen und Wege abklappern, um zum Meer zu gelangen, damit sie noch die eine oder andere gemeinsame romantische Stunde verbringen konnten, bevor sie sich wieder mit ihren Freunden trafen.
„Das hier ist doch alles nicht richtig“, meinte Louisa erneut, nachdem sie über mehrere scharfkantige, mit borstigem Gras bewachsene Felsklippen geklettert waren. Die Fahrräder waren an den Felsenstücken hängen geblieben. Tom hatte Louisas Rad nur mit einem heftigen Ruck befreien können. Dabei war mit einem singenden Geräusch eine der Speichen gerissen.
Das Knirschen des Pedallagers bei seinem Fahrrad klang ihm ebenso in den Ohren wie das unangenehme Knacken des Rahmens, als er es über eine Anhöhe wuchtete.
„Wir schultern die Räder jetzt“, entschied er. „Nicht, dass noch mehr kaputt geht.“
„Hier geht es nicht weiter“, meinte sie hingegen. „Tom, lass uns umdrehen.“
„Der Torre de Cap de Pera ist nicht mehr weit“, versteifte er sich weiter auf seine einmal getroffene Entscheidung.
Er wollte den alten Wachturm selbst einmal sehen. Nur einmal davor stehen, den Ausblick genießen und hinauf auf das offene Meer schauen, das jetzt im Sonnenlicht blau funkelte und schimmerte.
„Den erreichen