Die Gurke Liesabetta und das Schaf Emil gehen auf eine Weltreise. Winfried Rochner
plötzlich schoss ihr eine Idee durch den Kopf: „Ich werde zurücklaufen bis nach Hause und Emil, das Schaf, fragen, ob er mit mir auf Weltreise gehen möchte. Ja, das wäre lustig. Emil hat eine so schöne Stimme und unterwegs ist doch sicher etwas Geld vonnöten. Wenn die Käsestullen aufgegessen sind, könnten wir zusammen ein Lied singen und mein rotes Käppchen aufstellen, damit die Leute Geld hineinlegen. Dieses reicht dann, um frische Käsestullen zu kaufen“, überlegte Liesabetta laut.
Dieser Gedanke stimmte sie so fröhlich, dass sie in die Luft sprang, die Beine gegeneinanderschlug und munter nach Hause trabte.
*
Eine neue Freundschaft
Müde, aber glücklich sah Liesabetta ihr Heimatdorf vor sich auftauchen und ging schnurstracks zu Emil, der sich sehr darüber wunderte, sie zu sehen. „Nanu, was willst du denn hier, Liesabetta?“
„Na ja, ich habe was vergessen und bin deswegen noch mal kurz zurückgekommen.“ Die Gurke wollte nicht gleich mit der Sprache herausrücken, dass sie seinetwegen zurückgekehrt war, um ihn mit auf die Weltreise zu nehmen. So sprach sie nur: „Ich habe zu wenig Stullen eingepackt und meine Handschuhe vergessen.“ Und nach einigem Zögern fügte sie beiläufig hinzu: „Hast du nicht Lust, mich zu begleiten? Zu zweit ist es viel lustiger als alleine.“
Emil kratzte sich mit dem Hinterhuf am Kopf und es dauerte lange, bevor er antwortete: „Eigentlich wollte ich hier im Dorf bleiben, auf der Wiese spielen.“ Plötzlich aber rief er: „Oder ich komme doch mit dir mit! Immer zu Hause hocken ist nicht besonders schön.“
Er blökte, wie um seine Worte zu bekräftigen, und trabte los, neben der Gurke her. Rasch holten sie noch ein paar Käsestullen und packten Emils Sachen in einen Rucksack, ehe sie gemeinsam ihre Weltreise starteten.
Sie folgten demselben Weg, den Liesabetta zuvor allein gegangen war, überquerten die Wiese und schritten durch den Wald. Dort wehte ihnen eine erfrischende Brise entgegen, die Sonne ließ helle Streifen durch die Bäume fallen. Es marschierte sich ganz wunderbar. Ein Kuckuck rief und ein Specht ließ von seinem Klopfen ab und schaute verwundert auf die beiden ungleichen, mit Rucksäcken bepackten Wanderer.
Die Gurke Liesabetta stimmte ein Lied an, das auch Emil kannte, und bald schallte es durch den Wald: „Das Wandern ist des Müllers Lust.“
Drei kleine Füchse spielten vor ihrem Bau und die Mutter schaute besorgt zu, damit sie sich nicht zu weit von ihr entfernten. Als sie den lauten Gesang hörten, wollten die scheuen Tiere schnell in ihrem Bau verschwinden, denn der ungewohnte Lärm ängstigte sie.
Liesabetta rief: „Habt keine Angst, wir sind auf einer Weltreise!“ Und als sie näher herangekommen waren, fragten sie die Fuchsmutter: „Wollt ihr uns nicht begleiten?“
Die Füchsin schüttelte den Kopf und erwiderte: „Nein, nein, meine Kinder sind noch zu klein für eine Reise und ich muss auf sie aufpassen, damit sie groß werden.“
Bedauernd marschierten die beiden Weltreisenden weiter. Andere Lieder fielen ihnen im Moment nicht ein und sie marschierten still, bis die Sonne nicht mehr durch das Blätterdach der Bäume drang. Das letzte Sonnenlicht nutzten sie, indem Liesabetta ihre Karte herausholte und prüfte, wie weit sie schon gelaufen waren. Der riesige Wald nahm einfach kein Ende. Für den folgenden Tag planten sie, die nächste Stadt zu erreichen.
Da der Mond nun schon durch die Äste eines großen Baumes lugte, sahen sie die Zeit zum Schlafen gekommen. Liesabetta aß noch eine Käsestulle und Emil knabberte am Gras, das zwischen den Bäumen wuchs, ehe sie nebeneinanderliegend einschlummerten.
Am nächsten Morgen, die Sonne schien bereits durch die Baumkronen, reckte sich Liesabetta, gähnte laut und weckte damit Emil. Der sprang hurtig auf und musste sich erst einmal darüber klar werden, wo er sich überhaupt befand. Die Gurke erschrak durch Emils plötzliche Bewegung.
„Wir sind im Wald auf einer Weltreise und heute Abend bestimmt in einer großen Stadt. Das werden wir schon schaffen, wenn du nur fleißig deine Beine bewegst“, bemerkte Liesabetta. Dabei schaute sie Emil an und überlegte, ob vier Beine wohl doppelt so schnell müde werden konnten wie zwei. Das Schaf schien beruhigt zu sein, streckte sich erst nach vorn, dann nach hinten und los ging es.
Nach einer Weile endete der Wald und sie liefen einen endlos scheinenden Wiesenweg entlang, gelangten zu einer Straße und standen vor einem gelben Schild.
Liesabetta las stotternd: „Kreuzdorf, Kreis Lammerstein. Also, hier ist das erste Dorf auf unserer Reise.“
Emil stellte sich auf die Hinterhufe und versuchte, das Schild zu beschnüffeln. „Nun, es riecht wie unser Schild zu Hause“, stellte er fest.
Als sie weiterzogen, kamen sie an vielen kleinen Häusern vorbei, durch deren Fenster Menschen herausblickten.
„Schau mal, da hinten ist eine große eingezäunte Wiese!“, rief Emil plötzlich und meinte schon, er sei wieder zu Hause in seinem Dorf!
Auf den ersten Blick sah es auch genauso aus. Aber keine Schafe, sondern Kühe lagen im Gras und bewegten ihre Mäuler, so als wollten sie miteinander sprechen. Emil wusste sofort, dass sie kauten, denn Kühe sind Wiederkäuer. Erst stopfen sie alles Gras und Heu in den Nebenmagen, dann holen sie es in Ruhe wieder hoch und kauen es zur Verdauung.
„Hallo, Kuh“, rief Emil einem der Tiere zu, „was machst du hier? Willst du mit uns kommen? Wir sind auf einer Weltreise.“
„Ich heiße Liese und kann diese Weide nicht verlassen, weil ich bald ein Baby bekomme und das Kleine mit meiner Milch tränken und großziehen muss. Aber frage mal den Bullen Kraftprotz, vielleicht hat der Lust“, antwortete ihm die Kuh.
„He, Kraftprotz!“, blökte Emil in Richtung des Bullen. „Hast du Lust, mit uns um die ganze Welt zu wandern?“
Der Bulle senkte seinen Kopf und schaute die beiden von unten her Furcht einflößend an. „Nein“, brüllte er, „geht nur alleine weiter, ich muss auf die Kühe aufpassen. Ich brauche außerdem sehr viel Futter und auf solch einer langen Reise gibt es sicher zu wenig davon. Hier hingegen habe ich es in Hülle und Fülle.“
Liesabetta und Emil machten sich schleunigst aus dem Staube, denn recht geheuer war es ihnen nicht in der Nähe von Kraftprotz. Sie schlichen um die Koppel herum und schritten schnell den ausgetretenen Weg entlang, der auf die Dorfstraße führte. Dann nahmen sie eine Abkürzung über die Dörfer zur Stadt. Liesabettas Karte zeigte diesen als kürzesten Weg und sie wanderten flott voran. Die beiden zogen von Dorf zu Dorf, immer langsamer und langsamer wurden sie, doch keiner traute sich zu sagen, dass er schon ganz schwach auf den Beinen war.
Emil fasste sich irgendwann ein Herz, blieb einfach stehen und stöhnte: „Ich kann nicht mehr, ich brauche eine Pause.“
Liesabettas Schuhe drückten ein bisschen und sie war froh, dass Emil angehalten hatte.
„Na, du mit deinen vier Beinen kannst wohl nicht mehr laufen?“, keuchte sie ebenfalls erschöpft. Sie setzten sich auf eine Bank vor der Dorfkirche und stärkten sich aus ihren Rucksäcken, die noch nicht leer waren. Ein paar alte Frauen liefen an ihnen vorbei. Emil wollte sie zur Mitreise auffordern, Liesabetta jedoch winkte ab und hielt ihn fest.
„Die haben sicher was anderes vor, müssen sich um ihre Enkel kümmern und Essen kochen“, erklärte sie ihrem Reisebegleiter.
Nach ihrer dringend benötigten Pause fühlten sich die zwei Wanderer gestärkt und liefen weiter die Landstraße entlang. Im letzten Dorf vor der Stadt ließ sich ihre Müdigkeit nicht mehr verbergen. Die Sonne stand schon tief am Himmel, sodass sie sich nach einem Nachtlager umsahen. Bald fanden sie in einer Scheune ein molliges Plätzchen, legten sich ins Heu und schliefen rasch ein.
Sehr früh am Morgen krähte in der Scheune ein Hahn. Er hatte ebenfalls mit seinen