Ekkehard. Joseph Victor von Scheffel
Myrrhen, Aloe und Cassia duften all deine Kleider, aus elfenbeinernen Palästen erfreuen Saiten dich...«71
Die Herzogin schien die Huldigung zu verstehen; als wenn sie selber mit den Worten des Psalms angeredet wäre, hefteten sich ihre Augen auf Ekkehard. Aber auch dem Abt war's nicht entgangen, da gab er ein Zeichen abzubrechen, und der Psalm blieb unbeendet, als sich männiglich zu Tisch setzte.
Das aber konnte Herr Cralo nicht hindern, daß Frau Hadwig dem emsigen Vorleser befahl, an ihrer Seite Platz zu nehmen; es war zwar der Rangstufung folgend der Sitz zu ihrer Linken dem alten Dekan Gozbert zugedacht, aber dem war's schon lang zu Mute, als käm' er auf glühende Kohlen zu sitzen, denn er hatte mit Frau Hadwigs seligem Gemahl dereinst einen gröblichen Wortwechsel gepflogen, wie der dem Klosterschatz das unfreiwillige Kriegsanlehen auflegte, und war von damals auch der Herzogin giftig gestimmt, – kaum merkte er die Absicht, so rückte er sich vergnüglich seitwärts und schob den Pörtner auf den Dekanssitz. Neben Ekkehard kam der Herzogin Kämmerer Spazzo zu sitzen, dem zur Seite der Mönch Sindolt.
Die Mahlzeit begann. Der Küchenmeister, wohl wissend, wie bei Ankunft fremder Gäste Erweiterung der schmalen Klosterkost gestattet sei, hatte es nicht beim üblichen Mus mit Hülsenfrüchten72 bewenden lassen. Auch der strenge Küchenzettel des seligen Abts Hartmuth ward nicht eingehalten.
Wohl erschien zuerst ein dampfender Hirsebrei, auf daß, wer gewissenhaft bei der Regel73 bleiben wollte, sich daran ersättige; aber Schüssel auf Schüssel folgte, bei mächtigem Hirschziemer fehlte der Bärenschinken nicht, sogar der Biber vom obern Fischteich hatte sein Leben lassen müssen; Fasanen, Rebhühner, Turteltauben und des Vogelherds kleinere Ausbeute folgten, der Fische aber eine unendliche Auswahl, so daß schließlich ein jeglich Getier, watendes, fliegendes, schwimmendes und kriechendes auf der Klostertafel seine Vertretung fand.
Und mancher der Brüder kämpfte damals einen schweren Kampf in seines Gemütes Tiefe; selbst Gozbert, der alte Dekan... des Hirsebreis war er gesättigt und hatte mit mächtigem Stirnrunzeln des Hirsches Braten und des Bären Schinken weggeschoben, als wär's eine Versuchung des bösen Feindes; aber wie auch ein schön bräunlich gebraten Birkhuhn in seine Nähe gestellt ward, da schlug der Bratenduft träumerisch an seine Nase, mit dem Duft hielten die Geschichten seiner Jugend bei ihm Rückkehr: wie er selber vor vierzig Jahren dem Weidwerk oblag und in frühem Morgennebel dem balzenden Auerhahn nachstellte, und die Geschichte von des Försters Töchterlein, die ihm damals begegnet, und... zweimal noch kämpfte er des Arms Bewegung zurück, das drittemal hielt's nimmer, des Birkhuhns Hälfte lag vor ihm und ward in Eile verzehrt.
1 Erat utique jus illorum sicut adhuc hodie quidem est, quoniam exleges quidem sunt, ut hospites intrantes capiant, captos, usque dum se redimant, teneant. Ekkeh. IV. casus S. Galli c. 1. Pertz, Mon. II. 91.
2 .. »enimvero si vixero«, ait, »me rediman et talem indolem remunerabo.« Collectisque quantotius ante januam scolarum fratrum primis, statuit pueris illis et eorum perpetuo posteris pro testamento singulis annis ludi sui tribus ab imperio statutis diebus in eisdem scolarum aedibus carnibus vesci et de abbatis curte singulos tribus donari aescis cottidie et potibus. Quod cum ipse quidem annuatim praesens solvi juberet, postea ita solutum est usque ad Ungrorum, de quibus loco suo dicturi sumus, invasiones. Ekkeh. IV. casus S. Galli c. I.
3 Fehler wider die Ordensregel zogen die Strafe der Geißelung nach sich, der sich die Klostergeistlichen willig unterwarfen, wiewohl es eine knechtische Züchtigung war und ein Freier, mit dieser Strafe belegt, nach den alten Volksrechten seine Freiheit verlor. Der Schuldige ward an eine Säule gebunden und nach Ausziehung der Oberkleider gegeißelt. Eine noch erhaltene Geißelkammer, ähnlich der hier beschriebenen, findet sich im württembergischen Kloster Maulbronn. In den Klosterschulen bediente man sich der Rute. Daß die Bußwerkzeuge von denen, die darunter zu leiden hatten, in gutmütigem Humor mit eigenem Namen versehen wurden, beweist des Bischofs Salomo Wörterbuch, wo die anguilla (Schlange oder Aal) von der scutica (Riemenpeitsche) unterschieden wird.
5 Pectines eburnei... In Kämmen trieb das Mittelalter Luxus. Bekannt ist der silbergefaßte steinverzierte Kamm der Longobardenkönigin Theodolinde im Domschatz zu Monza und der von Heinrich II. herrührende Elfenbeinkamm in Bamberg. Die Sitte, die gewöhnlichsten und gleichgültigsten Verrichtungen des täglichen Lebens mit einem Gebet einzuleiten, veranlaßte, daß man auch für Schneiden und Kämmen des Haupthaars, Zustutzen des Barts usw. Gebetsformeln aufstellte. Die Handschrift 359 der sanktgall. Bibliothek enthält deren eine Reihe, und da sich dieselbe mit einer benedictio ad omnia, quae volueris schließt, darf man sich billig nicht mehr wundern, auch die benedictio ad barbam comendam, ad capillos tondendos usw. vorzufinden.
6 Regula S. Benedicti cap. 38: de hebdomadario lectore.
7 Für diejenigen verehrten Leserinnen, die mit dem Althochdeutsch noch weniger vertraut sind als der Verfasser dieser Anmerkungen, und die sich vielleicht dafür interessieren, wie dieser Psalm damals wirklich in Ekkehards Mund und Sprechweise geklungen habe, sei hiemit die wenig Jahrzehnte spätere Verdeutschung Notkers als Probe mitgeteilt: Psalmus XLIV. Kuôt wort irópfezta mîn herza. mîniu werch sago ih démo chûninge. mîn wort ist also stâte also diu scrift des spuôtigo scríbenten. Scône pist du fóre allen mênniscon. knada ist kebreîtet in dînen lefsen. fone diû ségenôta dih Got in’êwa. Cúrte dîn swert umbe dîn dîeh: filo gewáltigo, mit dînemo ménniscinen bilde unde mit dînero gótelîchun scôni. Sih an únsih. unde frámspuotigo chum hára fone hímele unde rîcheso hiér in dînero ecclesia. umbe warheît unde námenti unde reht. Unde leîtet dih wúnderlicho dîn zésewa. díne strâla sind wasse, hárto mahtige. Under dih sturzent die líute, in demo herzen des chuninges fiendo. din stuôl Got, unde dîn riche weret iêmer. Kerta gerihtennis ist dînes rîches kerta usw. Siehe Hattemer, Denkmale usw. II. 156 u. ff.
8 Dieses Musessen war in Sankt Gallen so gewöhnlich, daß Gero das Wort cibi (Speisen) nicht besser als mit Mus, und das Wort coenare (speisen) nicht anders als mit Abendmusen zu übersetzen wußte. I. v. Arx. Gesch. I. 178.
9 Regula S. Benedicti cap. 39: de mensura cibi.
Der Kämmerer Spazzo hatte Beifall nickend der Schüsseln mannigfache Zahl erscheinen sehen, ein großer Rheinlank,74 der Fische besten einer, war schier unter seinen Händen verschwunden, fragend schaute er sich nach einem Getränk um, da zog Sindolt, sein Nachbar, ein steinern Krüglein herbei, schenkte ihm den metallenen Becher voll, stieß mit ihm an und sprach: Des Klosterweins Auslese! Herr Spazzo gedachte einen mächtigen Zug zu tun, aber es schüttelte ihn wie Fieberfrost, und den Becher absetzend sagte er: Da möchte der Teufel Klosterbruder sein! Der böse Sindolt hatte ihm ein saures Apfelweinlein mit dem Saft von Brombeeren gemischt vorgesetzt. Wie aber Herr Spazzo ihm schier mit einem Faustschlag gelohnt hätte, holte er, ihn zu sänftigen, des dunkelroten Valtelliners einen Henkelkrug. Der Valtelliner ist ein wackerer Wein, in dem schon der Kaiser Augustus seinen Schmerz über die Varusschlacht niedergetrunken;75 und allmählich versöhnte sich Herr Spazzo, trank auch auf das Wohlergehen des Bischofs von Chur, dem das Kloster diesen Wein verdankte, ohne daß er ihm sonst näher bekannt war, seinen Becher leer, und Sindolt tat wacker Bescheid.
Was sagt euer Patron zu solchem Trinken? fragte der Kämmerer.
Sankt