Ekkehard. Joseph Victor von Scheffel
daß der Wein überhaupt kein Trunk für Mönche sei, so mag dies doch heutigentags keinem einzigen mehr mit Überzeugung eingeredet werden. Darum, und schwächlicheren Gemütes Hinfälligkeit erwägend, ordnen wir dem einzelnen eine halbe Maß für den Tag zu. Keiner aber soll trinken bis zur Sättigkeit, denn der Wein macht auch den Weisesten abtrünnig vom Pfade der Weisheit...76
Gut! sprach Spazzo und trank seinen Becher aus.
Wißt Ihr aber auch, frug Sindolt, was den Brüdern zu tun vorgeschrieben steht, in deren Gegend wenig oder gar kein Rebensaft gedeihen mag? Die sollen Gott loben und preisen und nicht murren.
Auch gut! sprach Spazzo und trank wiederholt seinen Becher aus.
Der Abt suchte inzwischen seine fürnehme Base nach Kräften zu unterhalten. Er fing an, Herrn Burkhards trefflichen Eigenschaften einen Nachruf zu halten. Aber Frau Hadwigs Antworten waren karg und einsilbig. Da merkte der Abt, daß alles seine Zeit habe, namentlich die Liebe einer Witib zum verstorbenen Ehemann. Er wandte das Gespräch und fragte, wie ihr des Klosters Schulen gefallen.
Mich dauert das junge Völklein, sprach die Herzogin, daß es in jungen Tagen so vieles erlernen muß. Ist das nicht wie eine Last, die Ihr ihnen aufbürdet, an der sie zeitlebens keuchend schleppen müssen?
Erlaubet, edle Base, erwiderte der Abt, daß ich Euch als Freund und Blutsverwandter gemahne, weniger in den Tag hinein zu reden. Das Studium der Wissenschaft ist dem jungen Menschen kein lästiger Zwang, es ist wie Erdbeeren; je mehr er genießt, desto größer der Hunger.
Was aber hat die heidnische Kunst Logica mit der Gottesgelahrtheit zu schaffen? frug Frau Hadwig.
Die wird in rechten Händen zur Waffe, die Kirche Gottes zu schützen, sprach der Abt. Mit ihren Künsten haben der Ketzer viele die Gläubigen angefochten, jetzt fechten wir mit gleichem Rüstzeug wider sie, und glaubet mir, ein sauber Griechisch oder Latein ist eine feinere Waffe als unsere einheimische Sprach, die sich auch in des Gewandtesten Hand nur wie eine Keule schwingt.
Ei, sprach die Herzogin, müssen wir noch bei Euch lernen, was fein sei? Ich habe seither gelebt, ohne Latein zu sprechen, Herr Vetter.
»Es möcht' Euch nicht schaden, wenn Ihr's noch lerntet, sprach der Abt. Und wenn die ersten Wohlklänge der Latinität Euer Gehör erquickt haben, werdet Ihr zugeben, daß unsere Muttersprache ein junger Bär ist, der nicht stehen und gehen lernt, wenn ihn nicht klassische Zunge beleckt.77 Zudem lehrt alter Römer Mund Weisheit, fraget einmal den Mann zu Eurer Linken.
Ist's wahr? wandte sich Frau Hadwig an Ekkehard, der schweigend dem Zwiesprach gelauscht hatte.
Es wäre wahr, hohe Herrin! sprach er mit Feuer, so es Euch von nöten wäre, Weisheit zu lernen.
Frau Hadwig drohte mit dem Finger: Habt Ihr selber denn Erquickung aus den alten Pergamenten geschöpft?
Erquickung und Glück! sprach Ekkehard, und seine Augen leuchteten. Glaubet mir, Herrin, es tut in allen Lebenslagen wohl, sich bei den Klassikern Rats zu erholen; lehrt uns nicht Cicero auf den verschlungenen Pfaden weltlicher Klugheit den rechten Steg wandeln? schöpfen wir nicht aus Sallust und Livius Anweisung zu Mannesmut und Stärke, aus Virgils Gesängen die Ahnung unvergänglicher Schönheit? Die Schrift ist uns Leitstern des Glaubens, die Alten aber leuchten zu uns herüber wie das Spätrot einer Sonne, die auch nach ihrem Niedergang noch mit erquickendem Widerschein in des Menschen Gemüt strahlt...
Ekkehard sprach mit Bewegung. Die Herzogin hatte seit dem Tag, als der alte Herzog Burkhard um ihre Hand anhielt, keinen Menschen mehr gesehen, der für etwas begeistert war. Sie trug einen hohen Geist in sich, der sich leicht auch Fremdartigem zuwandte. Griechisch hatte sie in jungen Tagen der byzantinischen Werbung wegen schnell gelernt. Latein flößte ihr eine Art Ehrfurcht ein, weil es ihr fremd war. Unbekanntes imponiert, Erkenntnis führt auf den wahren Wert, der meist geringer ist, als der geahnte. Mit dem Namen Virgilius war auch der Begriff des Zauberhaften verbunden... In jener Stunde stieg in Hadwigs Herz der Entschluß auf, Lateinisch zu lernen. Zeit dazu hatte sie. Wie sie ihren Nachbarn Ekkehard noch einmal angeschaut hatte, wußte sie auch, wer ihr Lehrer sein sollte...
Der stattliche Nachtisch, auf dem Pfirsiche, Melonen und trockene Feigen geprangt hatten, war verzehrt. Lebhaftes Gespräch an den andern Tischen deutete auf nicht unfleißiges Kreisen des Weinkrugs.
Auch nach der Mahlzeit – so wollte es des Ordens Regel – war zur Erbauung der Gemüter ein Abschnitt aus der Schrift oder dem Leben heiliger Väter zu verlesen.
Ekkehard hatte am Tag zuvor das Leben des heiligen Benediktus begonnen, das einst Papst Gregorius abgefaßt. Die Brüder rückten die Tische zusammen, der Weinkrug stand unbewegt, und es ward still in der Runde. Ekkehard fuhr mit dem zweiten Kapitel78 fort:
»Eines Tages aber, dieweil er allein war, nahte ihm der Versucher. Denn ein schwarzer kleiner Vogel, der gemeiniglich Krähe geheißen ist, begann um sein Haupt zu flattern und setzte ihm so unablässig zu, daß ihn der heilige Mann mit der Hand hätte ergreifen mögen, so er ihn fangen gewollt.
Er aber schlug das Zeichen des Kreuzes, da wich der Vogel.
Wie aber derselbe Vogel verschwunden war, folgte eine so große Versuchung des Fleisches, wie sie der heilige Mann noch niemalen erprobt. Denn vor langer Zeit hatte er eine gewisse Frau erschauet. Diese stellte ihm der böse Feind jetzo vor die Augen des Geistes und entzündete das Herz des Knechtes Gottes durch jene Gestalt mit solchem Feuer, daß eine verzehrende Liebe in ihm zu glühen begann und er, von Lust und Sehnsucht bewältigt, seinen Einsiedelstand jäh zu verlassen gedachte.
Da warf plötzlich des Himmels Gnade einen Schein auf ihn, daß er zu sich selber rückkehrte. Und er sah ihm zur Seite ein dicht Gebüsch von Brennesseln und Dörnern stehen, zog sein Gewand aus und warf sich nackt in die Stacheln des Gedörns und den Brand der Nesseln, bis daß er am ganzen Körper verwundet von dannen ging.
Also löschete er des Geistes Wunde durch die Wunden der Haut und siegte ob der Sünde...«
Frau Hadwig war von dieser Vorlesung nicht erbaut; sie ließ ihre Augen gelangweilt im Saal die Runde machen. Der Kämmerer Spazzo – deuchte auch ihm die Wahl des Kapitels unpassend, oder war ihm der Valtelliner zu Häupten gestiegen? schlug unversehens dem Vorleser das Buch zu, daß der holzbeschlagene Deckel klappte, hob ihm seinen Pokal entgegen und sprach: Soll leben der heilige Benedikt! und wie ihn Ekkehard vorwurfsvoll ansah, stimmte schon die jüngere Mannschaft der Klosterbrüder lärmend ein, sie hielten den Trinkspruch für ernst; da und dort war das Loblied auf den heiligen Mann intoniert, diesmal als fröhlicher Zechgesang, und lauter Jubel klang durch den Saal.
Dieweil aber Abt Cralo bedenklich umschaute und Herr Spazzo immer noch beschäftigt war, mit den jungen Klerikern auf das Wohl ihres Schutzpatrons zu trinken, neigte sich Frau Hadwig zu Ekkehard und frug ihn mit nicht allzulauter Stimme:
Würdet Ihr mich das Lateinische lehren, junger Verehrer des Altertums, wenn ich's lernen wollte?79
Da klang es in Ekkehards Herz wie ein Widerhall des Gelesenen: »Wirf dich in die Nesseln und Dornen und sag Nein!« er aber sprach:
Befehlet, ich gehorche!
Die Herzogin schaute den jungen Mönch noch einmal mit einem sonderbar flüchtigen Blicke an, wandte sich dann zum Abt und sprach über gleichgültige Dinge.
Die Klosterbrüder zeigten noch kein Verlangen, des Tages günstige Gelegenheit unbenutzt verstreichen zu lassen. In des Abts Augen mochte ein gnädig milder Schein leuchten, und der Kellermeister schob auch keinen Riegel für, wenn sie mit leeren Krügen die Stufen hinab stiegen. Am vierten Tisch begann der alte Tutilo gemütlich zu werden und erzählte seine unvermeidliche Geschichte mit den zwei Räubern;80 immer lauter klang seine starke Stimme durch den Saal: Der eine also zur Flucht sich gewendet – ich ihm nach mit meinem