Ekkehard. Joseph Victor von Scheffel
ihn am Schritt und rief ihn zu sich. Wohin? frug er.
Hinunter, – und morgen fort, ins Weite. Gebt mir Eure Hand, ich komme auf den hohen Twiel.
Schlimm, sprach der Blinde, sehr schlimm!
Warum, Vater Thieto?
Frauendienst ist ein schlimm Ding für den, der gerecht bleiben will, Hofdienst noch schlimmer – was ist Frauen- und Hofdienst zugleich?
Es ist mein Schicksal, sprach Ekkehard.
Sankt Gallus behüte und schirme Euch, sagte Thieto. Ich will für Euch beten. Gebt mir meinen Stab.
Ekkehard wollte ihm seinen Arm bieten, den lehnte er ab; er erhob sich und schritt zu einer Nische in der Wand, dort stund ein schmucklos Fläschlein. Er nahm's herab und gab's ihm:
's ist Wasser aus dem Jordan, das ich selber einst geschöpft. Wenn Euch der Staub der Welt überflogen hat und Eure Augen trüb werden wollen, so läutert Euch damit. Meinen hilft's nicht mehr. Fahret wohl!
Am Abend desselben Tages ging Ekkehard auf den Berg, an den sich das Kloster anlehnt. Seit langer Zeit war das sein Lieblingsgang. In den Fischweihern, die dort zur Spendung klösterlicher Fastenspeise künstlich angelegt sind, spiegelten sich die Tannen; ein leiser Luftzug kräuselte die Wellen, die Fische tummelten sich. Lächelnd ging er vorüber: Wann werd' ich wohl wieder einen von euch verzehren?
Im Tannenwald oben auf dem Freudenberg war's feierlich still. Da hielt er an. Ein weites Rundbild tat sich auf.
Zu Füßen lag das Kloster mit all seinen Gebäuden und Ringmauern; hier sprang der wohlbekannte Springquell im Hofe, dort blühten die Herbstblumen im Garten – dort in langer Reihe die Fenster der Klosterzellen, er kannte jedwede und sah auch die seinige: »Behüt' dich Gott, stilles Gelaß!«
Der Ort, wo Tage strebsamer Jugend verlebt wurden, wirkt wie Magnetstein aufs Herz; es braucht so wenig, um angezogen zu sein, nur der ist arm, dem das große Treiben der Welt nicht Zeit vergönnt, sich örtlich und geistig an einem stillen Platz niederzulassen.
Ekkehard hob sein Auge. Hoch aus der Ferne, wie reiche Zukunft, glänzte des Bodensees Spiegel herüber, in verschwommenen Duft war die Linie des anderseitigen Ufers und seiner Höhenzüge gehüllt, nur da und dort haftete ein heller Schein und ein Widerschein im Wasser, die Niederlassungen der Menschen andeutend.
»Aber was will das Dunkel in meinem Rücken?« Er schaute sich um, rückwärts hinter den tannigen Vorbergen reckte der Säntis seine Zacken und Hörner empor, auf den verwitterten Felswänden hüpfte warmer Sonnenstrahl unstet im Kampf mit dem Gewölke und strahlte vorüberfliehend auf die Massen alten Schnees, die in den Schluchten neuem Winter entgegenharrten... Über dem Kamor stand eine dunkle Wolke, sie dehnte und streckte sich, bald war die Sonne verdeckt, grau und matt wurden die Bergspitzen gefärbt, es schickte sich an, zu wetterleuchten...
Soll mir das ein Zeichen sein? sprach Ekkehard, ich verstehe es nicht. Mein Weg geht nicht zum Säntis.
Nachdenkend schritt er den Berg hinunter.
In der Nacht betete er am Grabe des heiligen Gallus. Frühmorgens nahm er Abschied. Der Virgilius und Thietos Fläschlein waren in die Reisetasche verpackt, sein übrig Gepäck kurz beisammen.
Wem selbst nicht der Körper, die Wünsche und Begierden zu eigener Verfügung stehen dürfen, soll auch weder an fahrender Habe noch an liegendem Gut ein eigen Besitztum ausüben.
Der Abt schenkte ihm zwei Goldschillinge und etliche Silberdenare als Zehr- und Notpfennig.
Mit einem Kornschiff des Klosters fuhr er über den See, – die Segel von günstigem Wind, die Brust von Mut und Wanderlust geschwellt.
Mittags war's, da rückte das Kastell von Konstanz und Dom und Mauerzinnen immer deutlicher vor den Augen der Schiffahrer auf. Wohlgemut sprang Ekkehard ans Land.
In Konstanz hätt' er sich verweilen, im Hof des Bischofs Gastfreundschaft ansprechen mögen. Er tat's nicht. Der Ort war ihm zuwider, zuwider von Grund seines Herzens, nicht wegen seiner Lage oder etwaigen Mißgestalt, denn an Schönheit wetteifert er kühnlich mit jeglicher Stadt am See, sondern wegen der Erinnerung an einen Mann, dem er gram.
Das war der Bischof Salomo, sie hatten ihn kürzlich mit großem Prunk im Münster begraben. Ekkehard war ein schlichter gerader frommer Mensch. Im Dienst der Kirche stolz und hochfahrend werden, schien ihm Unrecht, ihn mit weltlichen Kniffen und Ränken verbinden, verwerflich, – trotz aller Herzensverworfenheit ein weitberühmter Mann bleiben: sonderbar. Solcher Art aber war des Bischofs Salomo Treiben gewesen. Ekkehard erinnerte sich noch wohl aus den Erzählungen älterer Genossen, mit welcher Zudringlichkeit sich der junge Edelmann in das Kloster eingeschlichen, den Späher gemacht, sich beim Kaiser als unentbehrlichen Mann darzustellen gewußt, bis die Inful eines Abts von Sankt Gallen mit der Mitra eines Bischofs von Konstanz auf seinem Haupt vereinigt war.
Und vom großen Schicksal der Kammerboten sangen die Kinder auf den Straßen. Die hatte der ränkespinnende Prälat gereizt und gekränkt, bis sie in der Fehde Recht suchten und ihn fingen: aber wiewohl Herr Erchangers Gemahlin Berchta ihn in der Gefangenschaft hegte und pflegte wie ihren Herrn und den Friedenskuß von ihm erbat und aus einer Schüssel mit ihm aß, war sein Gemüt der Rache nicht gesättigt, bis daß des Kaisers Gericht zu Adingen seinen rauhen Feinden die Häupter vor die Füße gelegt.
Und die Tochter, die dem frommen Mann aus lustiger Studentenzeit erwachsen, war itzt noch Äbtissin am Münster zu Zürich.93
All das wußte Ekkehard; in der Kirche, wo der Mann begraben lag, mocht' er nicht beten.
Es mag ungerecht sein, den Haß, der den Menschen gebührt, auf das Stück Land überzutragen, wo sie gelebt und gestorben, aber es ist erklärlich.
Er schüttelte den Konstanzer Staub von den Füßen und wanderte zum Tor hinaus; dem sich kaum dem See entwindenden jungen Rhein blieb er zur Linken.
1 Mit Geschenk, Kuß und Scheidetrank nehmen nach mittelalterlicher Sitte Gastfreunde von einander Abschied. Diese Förmlichkeiten wurden streng eingehalten. Bischof Salomo von Konstanz schenkte den zum Gastmahl geladenen Kammerboten kostbare Glasgefäße, und wiewohl sie, Groll im Herzen tragend, die Gläser zu Boden fallen lassen, daß sie zerbrechen, küssen sie einand noch und trinken des Abschieds Minne. Amoreque, ut moris est, osculato et epoto laetabundi discedunt. Ekkeh. IV. casus S. Galli c. 1 bei Pertz, Mon. II. 84. Siehe auch Ruodlieb fragm. III. v. 221. Eine anmutige Schilderung solcher Courtoisie gibt des Nibelungenlieds sieben und zwanzigstes Abenteuer, da König Gunther mit seinen Mannen sich beim Markgrafen von Bechelaren beurlaubt. Auch die Frauen verschmähten nicht, sich mit minniglichem Kusse von ihren Gästen zu scheiden.
2 Ein solches Schaustück ist ausführlich beschrieben im Ruodlieb fr. III. v. 309 u. ff.
3 Einträge dieser Art auf dem Titelblatt, wie sie jetzt noch die Kinder herkömmlicherweise in ihre Schulbücher zu machen pflegen, kommen in damaligen Handschriften häufig vor.
4 Dieses Psalmenbuch, der s. g. liber Sancti Galli aureus, ist jetzt noch ein Kleinod der sanktgallischen Bibliothek. Die in frischen Farben glänzenden Miniaturen sind in manchen Motiven noch vom nachwirkenden Geist der Antike erfüllt, gewandt, mit Verständnis von Gestalt und Faltenwurf und einer gewissen unbefangenen künstlerischen Sicherheit hingezeichnet und leicht koloriert. Die mit reichen Arabesken gezierten Initialen und das die Bilder umrahmende architektonische Beiwerk gewähren mannigfache Einsicht in die baulichen Formen jener Zeit, deren monumentale Reste so selten geworden. – Auch Anfänge der Wandmalerei zum Schmuck der kirchlichen Gebäude kommen schon vor. Ein Abt Immo ließ in vielen an den Wänden der Münsterkirche angebrachten Gemälden die Lebensgeschichte des heiligen Gallus darstellen; von einem späteren Abt Manegold wird berichtet, daß er ein Bild de materia genealogiae