Der Bergpfarrer Paket 1 – Heimatroman. Toni Waidacher
Lungenentzündung in dieser Jahreszeit ist schon schlimm genug. Aber ich hätte sie beinahe im Griff gehabt«, ärgerte Toni Wiesinger sich. »Und dann muß ich erfahren, daß man sich mehr auf die Erfahrung des ›Heilers‹ verläßt. Ich kann’s noch immer net glauben.«
Sophie Tappert hatte inzwischen das Essen aufgetragen.
»Werden die Leute nimmer gescheit?« seufzte Sebastian und deutete auf den Tisch. »Kommen S’, Herr Doktor, lassen S’ uns essen. Ich glaub, ich werd’ sowohl mit dem Lärchner, als auch mit dem Brandhuber ein ernstes Wörtchen reden müssen.«
*
Dazu hatte der Geistliche schon am Nachmittag Gelegenheit. Eigentlich hatte er den in den Bergen verbringen wollen, doch die Angelegenheit um den Lärchner-Bauern war natürlich wichtiger. Schweren Herzens verschob er die ersehnte Bergtour. Statt dessen setzte er sich in seinen Wagen und fuhr zu dem Bauernhof hinauf.
Der Lärchnerhof war ein mehr als zweihundert Jahre alter Berghof, der schon immer im Besitz der Familie war. Der Altbauer, Ignazius Lärchner, war schon weit über die sechzig, dachte aber nicht daran, den Hof seinem Sohn zu übergeben.
»Wenn du so weitermachst, brauchst auch net mehr aufs Altenteil zu ziehen«, tadelte Sebastian Trenker den Kranken, an dessen Bett er saß.
Auf dem Nachtkästchen, daneben, standen ein paar Schachteln mit Tabletten und eine große Flasche mit einer dunkelblauen Flüssigkeit darin. Wahrscheinlich das Gebräu vom Brandhuber-Loisl.
»Wie meinen’s denn das, Hochwürden?« fragte der Alte mit schwacher Stimme.
Aschgrau sah er aus, im Gesicht, und seine Hände zitterten.
Beim letzten Besuch hatte er deutlich besser ausgesehen, dachte Sebastian. Er deutete auf die Flasche.
»Wenn du weiterhin das Zeug da säufst, Lärchner-Bauer, dann braucht dein Sohn das Altenteil net mehr herrichten. Dann kannst gleich sagen, an welcher Stelle auf dem Kirchhof du liegen willst. Die Flasche ist doch vom Brandhuber, nicht wahr?«
Ignaz machte ein verzweifeltes Gesicht.
»Ich will’s ja gar net«, jammerte er. »Aber meine Alte, die hat sich die Flasche aufschwatzen lassen, weil sie meint, daß der junge Doktor keine Ahnung hat. Es schmeckt überhaupt ganz scheußlich!«
Der Pfarrer hätte lachen können, wenn die Sache nicht so ernst gewesen wäre.
»Der junge Doktor hat immerhin ein paar Jahre studieren müssen, bevor er auf die Menschheit losgelassen wurde. Ich bezweifel, daß der Brandhuber-Loisl jemals eine Universität auch nur aus der Ferne gesehen hat.«
Der Geistliche schüttelte den Kopf über soviel Unverstand.
»Ich nehme die Flasche mit und schütte den Inhalt weg«, fuhr er bestimmt fort. »Und du nimmst wieder die Tabletten, so, wie Doktor Wiesinger es dir gesagt hat. Eine Lungenentzündung ist kein einfacher Schnupfen. Und mit deiner Frau rede ich noch ein ernstes Wörtchen. Ich verstehe sowieso net, warum du auf sie hörst? Das ist doch sonst net deine Art. Hier hätte es einmal Sinn gehabt, nicht das zu tun, was sie will.«
Er wünschte noch eine gute Besserung und verließ das Krankenzimmer. Auf der Diele saß Mechthild Lärchner. Sebastian nahm sie ins Gebet. Die Frau beteuerte zwar, sich nach den Anweisungen des Arztes richten zu wollen, doch der Pfarrer bezweifelte die Ernsthaftigkeit. Ihm fiel auf, daß die Bäuerin immer wieder an ihm vorbei aus dem Fenster schaute. Grad so, als erwarte sie Besuch…
Als Sebastian durch die Tür ins Freie trat, sah er, auf wen Mechthild Lärchner gewartet hatte. Eben bog der Brandhuber-Loisl um die Ecke des Stalles. Als er den Pfarrer erkannte, wollte er auf der Stelle kehrtmachen.
»Komm’ nur her, du alter Heide«, rief der Geistliche den Alten.
Loisl zögerte, kam dann aber doch herangeschlurft. Natürlich war er nicht rasiert, und Hemd und Hose waren bestimmt keine Sonntagstracht. Sebastian konnte sich allerdings auch nicht erinnern, Loisl jemals in anderen Sachen gesehen zu haben.
Der ›Wunderheiler‹ stand vor ihm und schielte nach der Flasche, die Sebastian in der Hand hielt.
»Kannst du mir mal erzählen, was das für hier für ein Zeug ist?« forderte er den Alten auf.
»Scha… Scha… Schafgarbe und Brennesselsaft«, stotterte der.
»Igitt, und das soll helfen?«
»So steht’s in meinem Buch«, erwiderte Loisl trotzig.
»In welchem Buch denn? Etwa einem medizinischen Werk?«
Loisl zögerte mit der Antwort.
»Nun red’ schon.«
»Das sechste und siebente Buch Moses«, sagte er schließlich und duckte sich dabei, als fürchtete er, geschlagen zu werden.
»Ich hätt’s mir denken können«, schüttelte der Pfarrer seinen Kopf. »Und für diesen Unsinn geben die Leute ihr Geld aus. Es ist nicht zu fassen!«
Er hielt dem Alten die Flasche unter die Nase.
»Vielleicht hilft dein Gebräu wirklich bei irgend etwas. Ganz bestimmt aber nicht bei einer ausgewachsenen Lungenentzündung, und die hat der Lärchner nämlich. Es tät dir net schaden, wenn du den lieben Gott dafür danken würdest, daß er dich davor bewahrt hat, einen Menschen vorzeitig ins Grab zu bringen. Das wäre nämlich passiert, wenn der Doktor Wiesinger net dahintergekommen wäre, was du hier treibst. Also, schleich’ dich. Deine Medizin behalt’ ich besser. Du wärst imstande, sie noch ’mal zu verkaufen.«
Alois Brandhuber drehte sich um und machte, daß er davonkam, heilfroh, daß es nicht mehr, als diese Standpauke gegeben hatte.
Dabei grinste er über das ganze Gesicht.
*
»Großvater, ich bitt’ dich, nimm doch Vernunft an!«
Veronika war der Verzweiflung nahe. Seit Tagen versuchte sie vergeblich, dem alten Senner klarzumachen, daß sie wieder abreisen müsse. Urban wollte einfach nicht zuhören und tat jede ihrer Bitten mit einer unwirschen Handbewegung ab.
Gott sei Dank hatte er sie zumindest wieder aus dem Verschlag herausgelassen. An die Nacht, die sie dort drinnen hatte zubringen müssen, wollte das Madel gar nicht mehr denken.
Was sollte sie nur tun? Fortlaufen?
Davon hielten sie zwei Dinge ab. Zum einen wurde ihr allmählich klar, daß der Großvater krank war und Hilfe brauchte, zum anderen kannte sie sich hier oben überhaupt nicht aus. Als sie vor mehr als einer Woche angekommen war, da hatte ein freundlicher Bauer sie aus dem Tal mit heraufgenommen und bis an den Weg gebracht, der direkt zu der Sennerhütte führte. Veronika hatte damals nicht auf den Weg geachtet, dazu war sie viel zu nervös gewesen. Immerhin sollte sie in wenigen Augenblicken einem nahen Verwandten gegenüberstehen, den sie noch nie gesehen hatte. Jetzt würde sie den Weg zurück alleine niemals finden.
Es war aber auch wie verhext. In den vergangenen Tagen waren fast immer Wanderer zur Hütte gekommen, doch seit dem Wochenende hatte sich niemand mehr blicken lassen. Dann hätte sie Christian zumindest eine Nachricht zukommen lassen können.
Bestimmt machte er sich die größten Sorgen um sie. Er hatte sie ohnehin nicht allein fahren lassen wollen. Doch war es ihm unmöglich gewesen, sie zu begleiten – zwei Tage später sollte er ein paar wichtige Kunden der Bank empfangen, mit denen er die ganze Woche zu tun hatte –, so daß er schweren Herzens einwilligte.
Immerhin konnte sie sich relativ frei bewegen, Urban Brandner schien sicher zu sein, daß sein Enkelkind nicht fortlaufen würde.
*
Christian war überrascht, wie schön das Dorf gelegen war. Etliche kleine Häuschen, ein paar Läden und die große weiße Kirche prägten das Bild. Mit den majestätischen Bergen im Hintergrund bildete es ein romantisches Panorama – ein richtiges Bergdorf eben.
Veronikas Verlobter fuhr