Sophienlust Extra 8 – Familienroman. Laura Martens
ihr aus dem Weg. Jutta traf sie nur zu den gemeinsamen Mahlzeiten. Dann aber war auch Richard da, und vor ihm wollte Jutta nichts sagen. Er hätte ihre Probleme sicher nicht verstanden, denn ihm kam es nur darauf an, mit ihr einig und zufrieden zu sein. Den Leuten kann man es doch nie recht machen!, war seine Ansicht. Es kommt nur darauf an, vor sich selbst Achtung zu haben.
Jutta sah auf das Gemälde, das Mirjas Mutter gemalt hatte. Ihre Tochter war darauf gut getroffen. Die kleine Mirja mit den langen blonden Haaren und den süßen, freundlichen Zügen war einst der Sonnenschein im Haus gewesen. Mit welcher Liebe hatte Bettina Walberg dieses Bild gemalt!
Jutta presste beide Hände auf die Brust. Wenn sie nur wüsste, wie sie Mirjas Zuneigung erringen könnte! Doch schon zogen neue Schwierigkeiten auf. Sie wusste seit kurzem, dass sie Mutterfreuden entgegensah. Wie hätte sie die Erfüllung ihres sehnlichsten Wunsches entzückt, wäre nicht Mirjas Abneigung ihr gegenüber gewesen. Es musste ein neuer Schock für das Mädchen sein, nicht mehr als einziges Kind dem Herzen des Vaters nahezustehen. Noch mehr würde Mirja sich danach in die Ecke geschoben fühlen. Da sie annahm, dass Richard ihre Schwangerschaft im Augenblick auch als ungünstig ansehen würde, hatte sie ihm ihren Zustand vorerst verschwiegen.
Jutta fuhr erschrocken herum, als es klopfte. Es war Katja, die eintrat und ihr einen Brief überreichte. Ihr tiefbraunes Gesicht war verschlossen, als sie erklärte: »Den Brief hat mir eben Herrn Walbergs Schwägerin für Sie übergeben. Sie hatte keine Zeit hereinzukommen.«
»So!«, sagte Jutta nur und drehte den Brief unsicher in der Hand.
»Frau Lauheim hatte sonst nichts gesagt?«
Katja hob unangenehm berührt eine Schulter. »Nur wenig«, wich sie aus.
Sie hat gehetzt, dachte Jutta. Sie hob entschlossen den Kopf und musterte die Elevin scharf. »Sie wissen, dass Frau Lauheim mir nicht gut gesonnen ist …«
»Das schon!« Katja sah zu Boden. »Aber sie hat nicht viel gesagt, nur dass das gute Wetter vorüber zu sein scheine, hat sie gesagt. Es könnte zu einem Unwetter kommen, und es sei gut, dass wir die Ernte unter Dach und Fach hätten.«
»Katja!« Jutta trat nahe an das Mädchen heran. »Sie haben doch etwas? In letzter Zeit sind Sie so verändert.«
»Es ist nichts. Wirklich nicht!«
»Sie wirken aber bedrückt. Gefällt es Ihnen auf Hoheneichen nicht mehr?«
»Aber nein!« Katja hob ganz entsetzt den Blick. »Das dürfen Sie nicht annehmen, Frau Walberg. Ich bin sehr gern hier.«
»Aber vor einiger Zeit, als ich noch nicht hier war, hat es Ihnen besser gefallen?«
Katja rieb ihre Hände an der Gummihose, die in hohen Schaftstiefeln steckte, denn sie war eben vom Karpfenweiher gekommen. »Es ist jetzt alles besser als früher«, sagte sie fest. »Ich bin ja erst vier Monate hier. Aber als Sie noch nicht da waren, merkte man deutlich, dass die Gutsfrau fehlte. Sie sind sehr tüchtig. Alle mögen Sie gern.« In Katjas dunkle Augen trat ein herzlicher Ausdruck. »Bitte, denken Sie nicht, dass wir uns von Frau Lauheim aufhetzen lassen. Wir bedauern diese Frau nur. Sie hat sich eingebildet, dass Herr Walberg sie heiraten würde. Das allein ist der Grund ihres negativen Verhaltens. Im Dorfgasthaus hat sie gesagt, dass Sie Mirja verstoßen hätten und dass Herr Walberg Ihnen hörig sei. Als sie gegangen war, hat der Wirt gesagt, welch' ein Glück es sei, dass Herr Walberg Sie und nicht diese alte Jungfer geheiratet habe. Aber das ist Klatsch. Ich hätte es vielleicht nicht erzählen dürfen. Ich wollte aber, dass Sie beruhigt sind. Niemand ist gegen Sie, auch wenn Mirja jetzt in einem Heim ist. Mirja ist nur von ihrer Tante aufgehetzt worden. Sie war sehr aufsässig gegen Sie, und Sie hatten mit dem Kind wirklich eine Lammsgeduld. Aber Mirja ist im Grund ihres Herzens ein gutes Kind. Sie wird schon noch zur Vernunft kommen, Frau Walberg.«
Juttas Augen leuchteten erfreut auf. »Ich danke Ihnen, Katja. Sie haben mir mit Ihren Worten Mut gemacht. Ich war schon ganz verzweifelt. Trotzdem habe ich den Eindruck, dass Sie etwas Besonderes bedrückt. Kann ich Ihnen irgendwie helfen?«
Katjas Hände wurden wieder unruhig.
»Nein, danke. Sie sind sehr liebenswürdig. Es ist nichts. Nichts Besonderes jedenfalls.« Als hätte sie schon zuviel gesagt, eilte Katja in ihren schweren Schaftstiefeln schwerfällig zur Tür.
Jutta holte sie dort ein: »Es ist also doch etwas, Katja. Sie sind sehr unglücklich, nicht wahr?«
»Ein wenig«, flüsterte die Elevin. »Es wird vorübergehen.« Sie ließ sich nun nicht mehr aufhalten, und Jutta schloss hinter ihr die Tür.
Nachdenklich starrte die Gutsherrin auf Mirjas Bild. Alle haben wir also unsere Probleme, dachte sie versonnen. Mirja wegen ihrer Stiefmutter, ich wegen Mirja, Richard meinetwegen und wegen seiner Tochter, und Katja …?
Ich werde es herausfinden. Sie ist ein nettes Mädchen. Vielleicht geht es um einen Mann?
*
»Hm!«, machte Dominik und sah nicht sehr erfreut aus. Er steckte die Hände in die Hosentaschen und musterte seine Mutter fragend. »Meinst du wirklich, dass das gut ist?«
Denise bestätigte es lebhaft: »Du bist der einzige, zu dem Mirja Vertrauen hat. Selbst mir gegenüber bleibt sie zurückhaltend. Ich fände es gut, wenn du ihr bei den Schulaufgaben helfen würdest. Es wird sie anspornen, in der Schule wieder zu lernen. Denn sie möchte von dir ganz bestimmt nicht für dumm gehalten werden.«
Dominik kratzte sich zweifelnd am Kopf. »Das ist alles gut und recht, Mutti. Aber Pünktchen stellt sich schon jetzt so komisch an. Wenn ich nun auch noch mit Mirja pauke, wird sie noch eifersüchtiger werden.«
»Kannst du ihr das nicht ausreden?«
»Ausreden?« Dominik lachte auf. »Sie ist stocksauer auf mich, und reden kann ich mit ihr darüber überhaupt nicht. Sie fühlt sich zurückgesetzt oder, weiß der Teufel, was. Ich hätte sie wirklich für klüger gehalten.«
Denise erwiderte ruhig: »Du musst versuchen, Pünktchens Reaktion zu verstehen. Sie kommt jetzt in ein Alter, in dem ein Mädchen einen netten Jungen ein wenig anhimmelt und allein mit ihm befreundet sein möchte.«
»Du lieber Himmel, Mutti!« Dominik hob den Blick belustigt zur Zimmerdecke empor. »Wenn ich daran denke, wie viele winzige, kleine und halbwüchsige Mädchen, die vorübergehend auf Sophienlust waren, mich später heiraten wollten, dann könnte ich schon einen Harem aufmachen. Ich mag Pünktchen sehr gern. Klar mag ich sie lieber als alle anderen. Auch lieber als Mirja. Aber deshalb darf ich doch wohl noch mit anderen sprechen und auch andere bildhübsch und nett finden. Oder etwa nicht? Dass Pünktchen das nicht versteht, ist ihre Sache. Wenn ich jetzt durch diese Lernerei noch öfters als sonst mit Mirja zusammen bin, wird Pünktchen unversöhnlich sein. Du musst ihr klarmachen, Mutti, dass du diesen Nachhilfeunterricht angeordnet hast.«
»Mache ich, Nick!«
Denise richtete es schon am Nachmittag so ein, dass Pünktchen hörte, was sie zu Mirja sagte. Beide Mädchen reagierten nicht sehr erfreut. Mirja, weil sie nicht lernen wollte, Pünktchen, weil sie Mirja das Zusammensein mit Dominik missgönnte. Mit finsterer Miene beobachtete sie, wie Mirja ihre Schulsachen nahm und mit Dominik ins stille Musikzimmer verschwand.
Von da an hatte Nick noch weniger Zeit für Pünktchen und die anderen Kinder. Mirja aber fand plötzlich wieder Interesse am Schulunterricht. Auch sonst war sie aufgeschlossener als in der ersten Zeit. Wenn man sie auch nie lachen hörte, so sprach sie nun doch mit allen und beteiligte sich auch an den Spielen auf der großen Parkwiese oder – bei schlechtem Wetter – an Gesellschaftsspielen im Pavillon.
Nur als Mirja unverhofft Besuch ihrer Tante bekam, änderte sich ihr Wesen wieder.
»Mirja«, sagte Tante Erika zu ihr, »ich musste kommen. Ich mache mir die größten Sorgen um dich. Tag und Nacht finde ich keine Ruhe, weil du in einem Heim sein musst.«
»Es ist ja nicht irgendein Heim«, antwortete Mirja. »Du siehst doch, wie herrlich es hier ist. Ich habe mich schon ganz gut eingewöhnt. Wir sind wie eine große Familie. Ich kann ausreiten