Kinderärztin Dr. Martens 65 – Arztroman. Britta Frey

Kinderärztin Dr. Martens 65 – Arztroman - Britta Frey


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sie nach einiger Zeit nicht mehr mit der Ausrede, der Vati mußte einige Zeit in einer anderen Stadt arbeiten, vertrösten konnte. Roxanne begann, ihren Liebling Jennifer zu vernachlässigen. Sie überließ das Mädchen meistens sich selbst, ohne daß es ihr richtig bewußt wurde. Und was genauso schlimm war, sie vernachlässigte sich selbst, war bald nur noch ein Schatten ihrer selbst. Wenn das Telefon klingelte, nahm sie einfach nicht ab und untersagte auch Jennifer, den Hörer abzunehmen. Für die junge Frau war der harte Schlag, der ihr Glück zerstört hatte, offenbar nicht abzufangen.

      *

      In Wismor, einem kleinen Ort in der Nähe von Celle, lebte Alfred Konrads, Roxanne Runges Vater. Seit Jahren Witwer, lebte der achtundfünfzigjährige große, hagere Mann allein in seinem kleinen Häuschen. Einmal in der Woche kam für ein paar Stunden eine Nachbarin, die ihm gegen ein Entgelt seine Putzarbeiten erledigte, ansonsten versorgte er sich selbst.

      Alfred Konrads war es gewohnt, daß seine Tochter Roxanne alle vierzehn Tage mit ihrem Mann und Jennifer für ein paar Stunden zu Besuch kam. Wenn einmal etwas dazwischen kam, rief sie an und sagte dann Bescheid.

      Aber plötzlich war das anders. Er wartete vergeblich auf ihren Besuch, und es kam auch kein Anruf, daß sie verhindert sei. Als er daraufhin versuchte, seine Tochter telefonisch zu erreichen, meldete sich niemand. So ging das eine ganze Woche lang. Nun begann er jedoch, sich Sorgen zu machen. Da der vorletzte Besuch schon ausgefallen war, weil der Schwiegersohn hatte arbeiten müssen, waren inzwischen fünf Wochen vergangen, in denen er nichts von Roxanne gehört hatte. Er ließ das Wochenende verstreichen, und als er auch dann noch keinen telefonischen Kontakt herstellen konnte, beschloß er, persönlich nach Celle zu fahren, um einmal nachzuhören, warum sich die Tochter nicht bei ihm meldete. Er konnte sich nämlich nicht entsinnen, vielleicht etwas gesagt zu haben, was sie verärgert haben könnte. Das Verhältnis zwischen ihm und Roxanne war auch nach dem Tod der Mutter immer sehr herzlich gewesen.

      Es war ein milder Dienstagmorgen, als er sich in seinen Golf setzte und in die gut eine Stunde entfernte Stadt fuhr. Er parkte seinen Wagen auf dem Parkplatz, der neben dem vierstöckigen Mietshaus lag, in dem der Schwiegersohn mit seiner kleinen Familie eine hübsch eingerichtete, geräumige Wohnung bewohnte.

      Als er zu den Fenstern der Wohnung hinaufsah, entdeckte er, daß bei einem der Fenster ein Flügel offen stand. Für den großen, hageren Mann war das ein Zeichen, daß auf jeden Fall jemand daheim sein mußte.

      Trotzdem dauerte es eine ganze Weile, bevor auf sein andauerndes Klingeln oben jemand auf den Türöffner drückte. Oben vor der Wohnungstür erwartete ihn wieder das gleiche Spielchen. Es dauerte fast fünf Minuten, bis sich von innen Schritte der Tür näherten.

      »Wer ist denn da?« hörte er Ro­xanne mit fremd klingender Stimme fragen.

      »Ich bin es, dein Vater. Willst du mich nicht hereinlassen?«

      Ein Schlüssel drehte sich im Schloß, eine Türkette wurde entfernt, und langsam ging die Tür auf.

      »Du, Vater? Was führt dich denn hierher?«

      »Du stellst vielleicht Fragen, Mädel! Laß mich aber zuerst einmal in die Wohnung. Du willst mich doch wohl nicht hier vor der Tür stehen lassen, oder?«

      »Natürlich nicht, Vater.« Roxanne trat einen Schritt zur Seite und ließ ihren Vater an sich vorbei in die Wohnung, um dann die Tür sofort wieder abzuschließen.

      Alfred Konrads erschrak, als Ro­xanne sich ihm zuwandte.

      »Um Gottes willen, Mädel, was ist denn mit dir passiert? Wie schaust du denn aus? Ist etwas mit Rüdiger oder mit der Kleinen?«

      Mit der Fassung der jungen Frau war es plötzlich vorbei. Die ganze aufgestaute Not und Verzweiflung brach sich mit einem Tränensturz Bahn.

      »Hilf mir, Vater, ich weiß nicht mehr weiter. Es ist alles aus und vorbei.« Aufschluchzend warf sich die junge Frau in die Arme des großen Mannes.

      »Na, na, na, ganz ruhig, Mädel. Jetzt setzen wir uns erst einmal hin, und du beruhigst dich. Dann erzählst du mir, warum du so verzweifelt bist. Wo ist Jennifer?«

      »Ich glaube, in der Schule.«

      »Du glaubst, Roxi? Du mußt das doch wissen!« Betroffen sah Alfred Konrads in das vom vielen Weinen verquollene Gesicht. Er führte seine Tochter ins Wohnzimmer und zog sie neben sich auf die Couch.

      »So, nun hör auf zu weinen, und sag deinem alten Vater endlich, was passiert ist. Wenn ich dir helfen soll, mußt du es mir schon sagen. Oder hast du kein Vertrauen mehr zu mir?«

      »Doch, Vater, aber es ist… es ist…«

      »Hast du dich mit Rüdiger gestritten? Dein Aussehen, nein alles an dir ist verändert. Du schaust ja zum Gotterbarmen aus.«

      »Es ist alles aus, Vater. Rüdiger hat mich und Jennifer verlassen. Es ist schon über fünf Wochen her«, kam es da tonlos über Roxannes Lippen.

      »Er hat was? Das kann doch nicht dein Ernst sein. Ihr wart doch bei eurem letzten Besuchen noch so glücklich. Warum hat er euch verlassen? Es muß einen plausiblen Grund dafür geben, oder?«

      »Rüdiger liebt eine andere Frau, Vater.« Roxanne senkte den Kopf, und glitzernde Tränen rollten über ihre Wangen.

      »Das kann doch nicht möglich sein. Rüdiger liebt doch dich.« Bestürzt blickte Alfred Konrads auf den gesenkten Kopf seiner Tochter.

      »Das habe ich auch geglaubt. Jetzt weiß ich es besser«, kam es tonlos über Roxannes Lippen.

      Alfred Konrads schwieg einen Augenblick. Was hätte er sagen können, um seine Tochter zu trösten? Was er bisher gehört hatte, kam ihm wie ein Alptraum vor. Als er endlich wieder einen klaren Gedanken fassen konnte, galt seine nächste Frage der Enkelin. Eindringlich fragte er: »Und was ist jetzt mit Jennifer? Ist sie nun in der Schule oder nicht? Du mußt es doch wissen.«

      »Als ich wach wurde, war Jennifer schon fort. Ich habe die ganze Nacht über nicht geschlafen, bin erst gegen Morgen eingedämmert und habe den Wecker nicht gehört.«

      »Das hört sich allerdings nicht gut an. Was ich bis jetzt hier gesehen habe, gefällt mir nicht So kann und darf es nicht weitergehen. Du vernachlässigst dich, und was noch schlimmer ist, deine Tochter. Du brauchst jemanden, der sich um dich kümmert. Willst du, daß dir Rüdiger am Ende noch das Mädel fortnimmt?«

      »Niemals gebe ich ihm Jennifer, niemals. Es reicht, daß er mein Leben zerstört hat«, brach es leidenschaftlich aus Roxanne heraus.

      »Genau das denke ich auch, Roxi. Ich möchte, daß ihr beide, du und Jennifer, zu mir nach Wismor kommt. Mehr noch, ich nehme euch heute noch mit. Es wird für euch beide das Beste sein. Hier in der Wohnung erinnert dich alles an eine glückliche Zeit, und du wirst nie zur Ruhe kommen. Komm mit mir nach Hause, wenigstens für einige Zeit. Jennifer kann auch in Wismor zur Schule gehen.«

      »Ich weiß nicht, Vater. Ich soll einfach alles hier aufgeben? Das kann ich nicht.«

      »Du brauchst nichts aufzugeben. Du verschließt nur deine Wohnung und kommst mit deinem Kind für einige Zeit zu mir in dein Elternhaus zurück. Wach endlich auf, besinne dich, wer du bist, Roxanne. Einen Einwand lasse ich nicht zu. Ich sehe nicht ein, daß du dich für deinen untreuen Ehemann kaputt machst. Ich helfe dir beim Packen, und wenn Jennifer kommt, fahren wir sofort nach Wismor.«

      *

      Roxanne war so durcheinander, daß Alfred resolut das Packen der Koffer in die Hand nahm. Das galt für ihre sowie für Jennifers Kleidung. Als die Koffer fertig gepackt in der Diele standen, hörte der hagere Mann, daß sich von außen ein Schlüssel in der Wohnungstür drehte, und einen Moment später trat ein zierliches Mädchen in die Wohnung.

      »Grüß dich, Jennifer. Kommst du jetzt aus der Schule?«

      Mit einem Ruck fuhr die Kleine herum. Erst jetzt erkannte sie ihren Opa.

      »Opa, Opa, du bist hier! Wie schön, da freue ich mich aber.«

      Die Achtjährige ließ ihre Schultasche


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