Kinderärztin Dr. Martens 65 – Arztroman. Britta Frey

Kinderärztin Dr. Martens 65 – Arztroman - Britta Frey


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      »Eine Überraschung, Opa? Ist der Vati endlich wiedergekommen?« Erwartungsvoll sahen Jennifers dunkle, große Augen ihn an.

      »Nein, dein Vati ist noch nicht da. Meine Überraschung für dich ist, daß wir drei gleich zu mir nach Hause fahren. Eure Koffer sind schon gepackt. Sieh, da stehen sie. Wir fahren auch sofort los. Du wirst mit der Mutti einige Zeit bei mir bleiben.«

      »Das geht doch nicht, Opa. Ich muß doch zur Schule gehen. Ich will auch nicht von Zuhause weg. Ich muß doch hier sein, wenn Vati wieder zurückkommt.«

      »Du kannst auch in Wismor zur Schule gehen, mein Schatz. Ich werde dich gleich zu Beginn der nächsten Woche anmelden. Und dein Vati, er hat ja ein Auto. Wenn er kommt, wird er schon wissen, wo ihr seid. Ich brauche die Mutti einige Zeit. Du weißt doch, daß ich ganz allein bin. Dir hat es bei mir ja immer gut gefallen, oder?«

      »Schon, Opa.«

      »Na, siehst du, dann ist ja alles klar.«

      »Ist die Mutti dann auch nicht mehr so traurig und weint nicht mehr so viel?«

      »Weint sie denn wirklich so viel?«

      »Ja, Opa, jeden Tag. Bei uns ist es überhaupt nicht mehr schön, seit Vati fort ist.«

      »Wenn ihr erst bei mir seid, wird die Mutti bestimmt nicht mehr jeden Tag weinen. Gehen wir jetzt zu ihr?«

      »Ich habe ganz großen Hunger, Opa. Ich habe mir heute vor der Schule kein Butterbrot mehr machen können. Ich habe nämlich kein Brot gefunden. Hat Mutti denn heute Mittag­essen gekocht?«

      »Ich weiß es nicht, sehen wir mal nach, oder fragen wir ganz einfach die Mutti.«

      Roxanne saß noch so da, wie Alfred Konrads sie verlassen hatte. Als er mit Jennifer ins Zimmer trat, sah sie hoch.

      »Mutti, ich habe ganz dollen Hunger. Hast du heute Mittagessen gekocht?«

      »Hast du, Roxi?« fragte nun auch ihr Vater.

      »Ich hab’s vergessen, Vater«, antwortete Roxanne schuldbewußt und stand auf. »Ich werde sofort etwas vorbereiten. Es ist nur nicht viel im Haus, ich war ein paar Tage nicht einkaufen.«

      Alfred Konrads sah Roxanne einen Moment nachdenklich an und von ihr zu Jennifer. Erst jetzt fiel ihm auf, daß das Mädel schmal geworden war, daß es sehr nachlässig gekleidet war und auch einen ungepflegten Eindruck machte. Er war wohl gerade zur rechten Zeit gekommen. Zu Roxanne, die schon an der Tür war, sagte er. »Laß das mit dem Essen sein, Roxi. Sorg du dafür, daß Jennifer etwas Vernünftiges anzieht, und mach du dich auch fertig. Ich fahre jetzt zu einem Imbiß und hole uns etwas. Eine richtige Mahlzeit kannst du uns machen, wenn wir daheim sind. Ich habe alles im Hause. Und bitte, reiß dich jetzt zusammen.«

      »Ja, Vater, ich will es versuchen. Komm, Jennifer, tun wir, was der Opa möchte.«

      Roxanne nahm das zierliche Mädchen an die Hand und verließ mit ihr das Zimmer.

      »Bringst du mir eine großes Pommes und eine Bratwurst mit, Opa?« rief ihm Jennifer noch von der Tür aus zu.

      »Na klar doch, mein Schatz, mach ich. Ich beeile mich auch.«

      Während Alfred zu einem Imbiß fuhr, mußte er wieder daran denken, was ihm seine Tochter gesagt hatte. Es war für ihn unfaßbar, daß Rüdiger seine Familie so einfach verlassen hatte. Sein Verhältnis zu dem Schwiegersohn war eigentlich vom ersten Tag an sehr gut gewesen. Sie hatten sich gut verstanden, und er als Vater war glücklich gewesen, daß Roxanne in Rüdiger einen liebenswerten und verantwortungsvollen jungen Mann geheiratet hatte. Daß sich die beiden jungen Menschen liebten, daran hatte er in acht Jahren nicht einmal gezweifelt. Um so unverständlicher war ihm, daß eine so glückliche Ehe, gesegnet mit einem kleinen Mädchen, das von beiden geliebt wurde, von einem Tag auf den anderen auseinanderbrechen konnte. Es war das Beste, wenn er seine Roxi, wie er sie seit ihren Kindertagen nannte, und Jennifer mit sich nahm. In einer vertrauten Umgebung, in ihrem Elternhaus, würde sie sich schon wieder fangen und sie selbst werden.

      Eine Stunde später befanden sie sich auf dem Weg nach Wismor. Roxanne blieb die Fahrt über sehr schweigsam. Es war Jennifer, die munter drauflos app­laudierte und immer wieder Fragen stellte und dadurch ihrem Opa keine Zeit ließ, sich mit seinen eigenen Gedanken zu beschäftigen.

      In Wismor angekommen, hatten sie gerade das Haus betreten, als das kleine Mädchen auch schon wissen wollte: »Wo ist denn Flapsi, Opa?«

      »Flapsi ist in der Küche, Schatz. Lauf nur hin. Ich bringe inzwischen mit der Mutti die Koffer nach oben in die Schlafzimmer.«

      Bevor Jennifer die Küchentür öffnete, drang lautes Hundegebell hinter der Tür hervor. Rasch öffnete Jennifer die Tür. Wie ein Blitz kam ein braunes Etwas mit langen Schlappohren aus der Küche geschossen und umkreiste schwanzwedelnd das Mädchen.

      »Siehste, Opa, Flapsi hat mich sofort wiedererkannt. Dabei waren wir so lange nicht hier.« Schon kniete Jennifer am Boden und streichelte den braunen Dackel. »Darf ich mit Flapsi in den Garten, Opa?« wollte sie dann wissen.

      »Natürlich, lauf nur und toll mit ihm solange herum, wie du willst. Wenn du Hunger bekommst, melde dich.«

      Alfred Konrads war froh, daß Jennifer fürs erste beschäftigt war. So konnte er in aller Ruhe ein langes Gespräch mit seiner Tochter führen.

      *

      »Schläft Jennifer?« Am Fuße der Treppe stand Alfred Konrads und sah seine Tochter, die langsam die Treppe herunterkam, fragend an. Sie gingen beide ins Wohnzimmer, und erst da erwiderte Roxanne: »Ich hoffe es, Vater. Ich weiß bald nicht mehr, was ich dem Mädel noch sagen soll. Sie hat schon wieder gebettelt, mit ihr nach Hause zu fahren. Jennifer ist fest davon überzeugt, daß Rüdiger daheim in unserer Wohnung auf uns wartet. Gib mir einen Rat. Was soll ich nur machen?«

      »Du mußt ihr endlich die Wahrheit sagen, Roxi. Einmal muß das Mädel sie erfahren. Ich sehe doch, daß seine ständigen Fragen nach dem Vati immer wieder alles in dir aufwühlen. So kommst du nie zur Ruhe. Sag Jennifer, wie es wirklich ist, um so schneller wird sie sich mit den gegebenen Tatsachen abfinden.«

      »Glaubst du wirklich, daß ich es verantworten kann?«

      »Ja, Roxi, es ist besser, jetzt einen schmerzhaften Schnitt, als diese ständigen Ausreden und Vertröstungen. Ich verstehe sowieso nicht, warum sich Rüdiger noch nicht ein einziges Mal bei dir gemeldet hat. Als ich vor ein paar Tagen in eurer Wohnung war, um nach dem Rechten zu sehen, war außer Werbung nichts im Briefkasten. Er glaubt wohl, wenn er pünktlich Geld überweist, damit hat es sich. Du solltest dich endlich aufraffen und einen Anwalt aufsuchen. Er hat dich und euer Kind immerhin böswillig verlassen. Du willst doch wohl nicht an dieser Ehe festhalten wollen?«

      »Ich soll ihn auch noch für diese andere Frau freigeben, Vater? Nein, niemals. Ich lasse mich nicht scheiden.«

      »Du mußt allein wissen, was du tust. Ich bin der letzte Mensch, der dich zu irgend etwas überreden will. Aber ich hoffe und wünsche mir, daß du mit Jennifer noch ein Weilchen bei mir bleibst. Jennifer hat sich in der Schule gut eingelebt. Sie hat sich sogar schon mit der Eva Meiners von nebenan ein wenig angefreundet. Es wäre nicht gut, wenn das alles schon wieder geändert würde.«

      »Ich habe nicht vor, das jetzt schon zu ändern, Vater. Ich bleibe dir noch erhalten. Allein in meiner Wohnung in Celle würde mir nur die Decke auf den Kopf fallen. Ich bin dir so dankbar, daß du mich und Jennifer zu dir geholt hast. Ich weiß nicht, was sonst aus uns geworden wäre.«

      »Du hättest dich auch allein wieder gefangen, Roxi. Es hätte nur länger gedauert. Denk jetzt nicht mehr daran. Wichtig ist im Augenblick das Mädel. Wenn du ihr morgen nachmittag die Wahrheit sagst, wird sie uns beide brauchen. Wir werden uns etwas überlegen müssen, was Jennifer von ihrem großen Kummer ablenkt. Wir müssen abwarten.«

      »Du hast sicherlich recht, Vater. Bist du böse, wenn ich jetzt auch zu Bett gehe? Ich bin müde.«

      »Warum soll ich böse sein? Ich werde mich auch gleich zurückziehen. Es


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