Kinderärztin Dr. Martens Classic 6 – Arztroman. Britta Frey

Kinderärztin Dr. Martens Classic 6 – Arztroman - Britta Frey


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e>Kinderärztin Dr. Martens Classic – 6 –

      Ein sanfter Schleier lag noch über der frühmorgendlichen Heide, als Barbara Honert die Haustür öffnete und ins Freie hinaustrat. Das elegante Köfferchen in ihrer Hand wog leicht, denn der Besuch bei Mutter und Söhnchen war wieder einmal kurz gewesen – zu kurz, wie sie nun an deren Gesichtern ablas.

      »Mami, warum fliegst du nach Rom?« fragte Daniel und rieb sich die verschlafenen Augen, während er zu seiner Mutter hochblinzelte.

      »Ich fliege heute nicht nach Rom, Dani«, sagte Barbara Honert, und ihre gepflegte Hand legte sich einen Moment auf den blonden Lockenkopf ihres kleinen Sohnes, »ich fliege nach New York, und das ist ein bißchen weiter.«

      »Und warum fliegst du nach Ne…, und warum fliegst du dahin?« Daniels Augen versuchten einen Halt zu finden an der kühlen beruflichen Eleganz eines Kostüms, das in der korrekten Uniformierung der Stewardessen nur schwer eine Beziehung zuließ.

      Barbara Honert stellte das Köfferchen nun doch noch einmal ab und nahm ihren Sohn, der in seinem verrutschten Schlafanzug neben seiner Omi stand, auf die Arme.

      »Schau, Mami verdient damit ihr Geld – das verstehst du doch?« Ihr Lächeln, bereits wieder auf den beruflichen Tag gerichtet, war schon etwas fern und flüchtig.

      Daniels Augen waren sehr blau und sehr fragend, denn er sollte etwas verstehen, was über seine vier Lebensjahre hinausging. Aber Omi sagte immer, daß er ein kluger Junge sei, und unbewußt ahnte er, daß kluge Jungen keine dummen Fragen stellten. Also nickte er und sah seiner hübschen Mutter in das perfekt geschminkte Gesicht.

      »Na, siehst du«, sagte Barbara Honert, und ihre Stimme klang zufrieden. Sie küßte den Kleinen rasch auf seine roten Schlafbäckchen, bevor sie ihn auf den Boden zurückstellte. Und während sie nun eilig das Köfferchen wieder aufnahm, mahnte sie: »Sei bitte lieb und mach der Omi keine Sorgen…«

      Daniel nickte und griff automatisch nach der Hand Else Honerts, während er seiner Mutter nachsah, die jetzt unverzüglich in ihren Wagen stieg, um ihn auf die Landstraße zurückrollen zu lassen. Von dort hob sich ihre Hand noch einmal winkend zu den beiden Personen hin, die unter der Tür des kleinen Heidehauses standen, bevor das lange Band der Landstraße sie mit rascher Fahrt aufnahm.

      Else Honert schaute dem Wagen mit der Nachdenklichkeit nach, die sie immer überkam, wenn ihre Tochter nach einem ihrer kurzen und oft überraschenden Besuche wieder zum Hamburger Flughafen zurückeilte, um als Stewardeß eines der Flugzeuge zu besteigen, zu deren jeweiliger Crew sie gehörte.

      »Gehen wir frühstücken«, sagte sie etwas ratlos resigniert und wandte sich ins Haus zurück, ihre Hand hielt die Hand ihres kleinen Enkels.

      »Und was machen wir danach?« fragte Daniel und machte mit dieser Frage den langen Tag deutlich, der vor ihnen lag.

      Else Honert seufzte. Sie war über sechzig Jahre alt und spürte diese Jahre oft auch als anstrengende Tatsache gerade durch die Lebendigkeit ihres Großsohnes. Er hielt sie in Atem, und diese Atemlosigkeit, die er ihr tagaus, tagein verschaffte, hatte sie die Grenzen schon oft ahnen lassen, an der ihre Kraft für die Anstrengung nicht mehr ausreichen würde.

      »Ich möchte ein Honigbrötchen!« unterbrach Daniel ihre Gedanken und lief ihr in die Küche voraus.

      »Wir werden dich erst einmal waschen und anziehen«, sagte sie und versuchte ihrer Stimme einen bestimmten Ton zu geben.

      »Och, Omi, warum denn?« Daniel zog ein langes Gesicht. »Bei Mami muß ich mich auch nicht erst anziehen.«

      »Das sind Ausnahmen, die wir aber nicht für jeden Tag einreißen lassen«, mahnte sie. »Als ich ein kleines Kind war, mußte ich mich auch immer zum Frühstück anziehen.«

      »Als du ein kleines Kind warst?« Daniel erkletterte den Stuhl und stützte die Ärmchen auf den Küchentisch auf, und indem er den Kopf in die Hände nahm, sah er sie aus großen Augen an. Die Vorstellung, daß seine Omi einmal ein kleines Kind gewesen sein sollte, war etwas ganz Unvorstellbares, und man sah es ihm an.

      »Ist das lange her?« forschte er daher erst einmal und sah sie aufmerksam von der Seite an.

      Else Honert nickte. »Ja, sehr lange.«

      »Was ist sehr lange?«

      »Sehr lange ist, wenn man graues Haar bekommt, nicht mehr so schnell laufen kann – und es hier und da mal etwas weh tut.«

      »Mit tut hier und da auch mal etwas weh«, wiederholte er teilnehmend ihre Worte und griff dann nach einem Brötchen.

      Else Honert mußte lachen. »Das ist bei dir ganz etwas anderes.«

      Daniel verstand das nun wieder überhaupt nicht und biß erst einmal in das Brötchen.

      Else Honert seufzte und ließ für heute den Schlendrian noch mal durchgehen. Sie setzte sich zu dem Kleinen an den Küchentisch, nahm ihm das trockene Brötchen aus der Hand und bestrich es mit Butter und Honig.

      Der kleine Enkel war ihre Freude, aber diese Freude konnte sie nicht ohne Zukunftsangst genießen. Und immer wenn ihre Tochter in die Weit hinausflog, kamen die Gedanken und setzten ihr zu.

      Ob Barbara bedacht hatte, was es hieß, ein Kind allein großziehen zu wollen, ohne Vater und nur mit Hilfe ihrer Mutter, die nicht mehr die Jüngste war?

      Daniel hatte einen Vater – und hatte doch keinen Vater! Er hatte ihn nie gesehen – und würde ihn wohl auch nie sehen! Ein verheirateter Mann, den ihre Tochter sich lediglich als Traummann für die Zeugung ihres Wunschkindes ausgeguckt hatte!

      Schlimm genug, das Ganze, fand Else Honert, zumal es so bewußt geschehen war. Was waren das für Zeiten? Die alte Dame verstand die Welt nicht mehr. Ihre Tochter hatte ein Kind gewollt, aber keinen Ehemann! Freiheit nannte sie das, und Else Honert fragte sich, auf wessen Kosten so ein Denken ging.

      Manchmal sah sie die Kinder im Dorf an, die an der Hand ihrer Väter gingen, und ein Gefühl von traurigen Verzicht beschlich sie, wenn sie an den kleinen Enkel dachte. Ihm würde einmal diese Erfahrung fehlen, die männliche Bezugsperson, die seiner normalen Entwicklung gutgetan hätte.

      »Omi, ich möchte eine Milch!« rief Daniel und schreckte sie aus ihren Gedanken auf.

      Und während sie ihm die Milch holte, fragte er erneut: »Und was machen wir nachher?«

      »Wir gehen für das Mittagessen einkaufen.«

      »Und dann?«

      »Dann wirst du etwas spielen, während ich die Mahlzeit zubereite.« Die Tatsache, daß sie ihn hier auf dem Lande auch einmal eine Weile unbeaufsichtigt lassen konnte, war eine große Erleichterung. Aus dem Grunde war sie auch vor einem Jahr in die Heide hinausgezogen, da ihr die weite stille Landschaft für die gesunde Entwicklung des Kindes geeigneter schien als die laute verschmutzte Großstadt.

      Für ihre Tochter war diese Entfernung von Hamburg zwar eine zusätzliche Anstrengung, wenn sie während ihrer meist kurzen Aufenthalte zwischen den Flügen erst so weit hinausfahren mußte, aber in diesem Fall hatte Else Honert sich im Interesse des Kindes durchgesetzt.

      Das kleine Häuschen in der Heide gehörte ihr ohnehin und stellte somit keine zusätzliche finanzielle Belastung dar.

      »Und wenn wir zu Mittag gegessen haben?« fragte Daniel und wollte die Planung des Tages so sicher vor sich sehen wie das Brötchen, das er gerade aß.

      »Wir unternehmen einen Spaziergang in die Heide hinaus – einverstanden?«

      Er nickte und schlürfte hingebungsvoll seine Milch, während der kurze Besuch seiner jungen hübschen Mami schon wieder so weit aus seinen Gedanken verschwunden war, als hätte er nie stattgefunden.

      *

      Die Wärme des Nachmittags brütete über der friedlichen Heide, trug in der flirrenden Luft das tausendfache Summen der Bienen an die beiden Spaziergänger heran.

      »Sieh, wie fleißig die Bienen sind!« sagte Else Honert und blieb einen Moment stehen, um ein wenig zu verschnaufen und auf den weiten blühenden Heideteppich zu zeigen. Sie lüftete ein wenig das Strohhütchen, welches die Sonne abhielt und das Licht von den Augen nahm.


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