Der kleine Fürst 250 – Adelsroman. Viola Maybach
subtitle>Der kleine Fürst – 250 –
Saskia saß wie auf Kohlen. Es hätte ein so schöner Abend sein können, wäre Marco nicht dabei gewesen!
Bernd war zum ersten Mal bei ihnen zu Hause, er hatte ihr Blumen mitgebracht, und jetzt unterhielt er sich gerade angeregt mit Frieda. Die beiden hatten sich auf Anhieb verstanden.
Das Essen war gut, zu den Frikadellen, die Frieda sich gewünscht hatte, gab es Kartoffelpüree und Salat. Alle außer Marco langten herzhaft zu. Ihr Ältester jedoch stocherte in seinem Essen herum und machte dieses Gesicht, das sie mittlerweile nur zu gut kannte. Sie trauerte dem aufgeweckten Jungen nach, der er früher gewesen war, auch wenn sie es schon damals nicht immer leicht mit ihm gehabt hatte. Es kam ihr manchmal so vor, als sei es erst gestern gewesen, dass er seine Hand in ihre geschoben hatte, wenn sie gemeinsam unterwegs gewesen waren, aber das stimmte natürlich nicht. Es war Jahre her.
Er sah nicht auf, er beteiligte sich nicht am Gespräch, und seine Körperhaltung war voller Abwehr gegen den Gast und signalisierte ihm, dass er nicht erwünscht war. Er verhielt sich genau so, wie Saskia es befürchtet hatte. Das war ihr nicht nur peinlich Bernd gegenüber, es bereitete ihr auch gehörigen Stress, den sie nicht gebrauchen konnte. Jahrelang war sie nach der Scheidung allein geblieben. Ihre Gefühle für Bernd hatte sie sich auch deshalb nur zögernd eingestanden, weil sie sich erst wieder an den Gedanken gewöhnen musste, verliebt zu sein. Der Hauptgrund für ihr Zögern aber war gewesen, dass sie die Schwierigkeiten mit Marco vorausgesehen hatte.
Und heute Abend nun wurde jede Befürchtung, die sie vorher gehegt hatte, wahr. Nein, eigentlich war es sogar noch schlimmer als in ihrer Fantasie.
»Und du, Marco?«, fragte Bernd, sich dem Jungen freundlich zuwendend. »Was willst du nach der Schule machen?«
Ein eisiger Blick traf ihn. »Ich wüsste nicht, was Sie das angeht«, erwiderte Marco. »Und Sie müssen auch nicht versuchen, freundlich zu mir zu sein. Frieda wickeln Sie damit ein, mich nicht.«
Friedas Augen wurden groß über diese beispiellose Unhöflichkeit, während Saskia entsetzt rief: »Marco, was fällt dir ein, so mit unserem Gast zu reden?«
Sie wollte noch hinzufügen, er solle sich sofort für seine Unverschämtheit entschuldigen, doch Bernd kam ihr zuvor. An ihm schien Marcos Benehmen einfach abzuperlen, er wirkte nicht einmal ärgerlich. »Ich bin ein freundlicher Mensch, deshalb rede ich so, ich muss mich dafür nicht besonders anstrengen. Aber es macht mir nichts aus, wenn du nicht mit mir reden willst. Dann lassen wir es eben.« Er zwinkerte Frieda zu. »Ich habe ja genug andere Unterhaltung hier.«
Frieda, die dem kurzen Wortwechsel gespannt gefolgt war, warf ihrem Bruder einen anklagenden Blick zu und wiederholte den Vorwurf, den sie ihm in letzter Zeit schon öfter gemacht hatte. »Du bist neuerdings richtig blöd. Früher warst du viel netter, und wir hatten viel mehr Spaß. Jetzt hast du dauernd schlechte Laune, und zu allen Leuten bist du unfreundlich, so wie jetzt zu Bernd.«
Marcos Reaktion fiel aus wie von Saskia erwartet, und sie ließ nicht lange auf sich warten. Er stand schon, bevor Frieda ihre Rede beendet hatte. »Ich kann ja gehen!«, sagte er wütend. »Dann könnt ihr hier heile Familie spielen. Dabei störe ich ja doch bloß.« Er sah niemanden an bei diesen Worten, sondern drehte sich einfach um und verließ den Raum.
Saskia hatte sich schon halb erhoben, um ihm nachzulaufen und ihn zurückzurufen, doch sie ließ sich wieder auf den Stuhl zurücksinken. »Ach, was soll’s«, sagte sie entmutigt. »Es nützt ja doch nichts.«
»Lass ihn doch, Mama.« Friedas Blick glitt über die Frikadellen. »Dann bleibt für uns mehr von den Klopsen übrig.«
»Ich schließe mich Friedas Meinung an: lass ihn«, sagte Bernd. »Er ist in einer schwierigen Phase, das hast du doch selbst schon gesagt, aber das gibt sich auch wieder.«
Saskia hätte einiges zu dieser optimistischen Sichtweise sagen können, doch sie ließ es, weil sie nicht in Friedas Beisein über Marco reden wollte. Die Kleine hatte jetzt schon mehr mitbekommen, als Saskia lieb war.
»Kann ich noch einen Klops kriegen?«, fragte Frieda.
»Du wirst platzen«, vermutete Saskia.
Aber Frieda verputzte auch diese Frikadelle noch mit größtem Vergnügen und ohne Anzeichen eines überfüllten Magens. Auch Bernd griff noch einmal zu, und allmählich beruhigte sich Saskia wieder. Sie hatte noch einen Obstsalat gemacht, von dem, auch ohne Marcos Mitwirkung, nichts übrig blieb.
Später, als Frieda ins Bett gegangen und Saskia mit Bernd allein war, kamen ihr doch noch die Tränen. »Was soll ich nur mit ihm machen?«, flüsterte sie. »Es wird nicht besser, Bernd, es wird immer schlimmer, jedenfalls ist das mein Eindruck.«
»Nach allem, was ich über Jugendliche in der Pubertät weiß, müssen Eltern das einfach durchstehen. Es scheint in vielen Familien eine Leidenszeit für alle Beteiligten zu sein. Ich war auch grässlich, als ich in dem Alter war.«
»Echt? Das kann ich mir gar nicht vorstellen.«
»Es ist aber die Wahrheit«, versicherte Bernd. »Ich habe nur noch schwarze Klamotten getragen, die Wände meines Zimmers schwarz gestrichen und nicht mehr mit meinen Eltern geredet.«
»Und dann?«
Bernd zuckte mit den Schultern. »Es war dann irgendwann einfach vorbei. Mir ging das viele Schwarz auf die Nerven, ich habe die Gespräche mit meinen Eltern vermisst, und ich fand mich plötzlich selbst … na ja, irgendwie kindisch. Ich glaube, das hing auch damit zusammen, dass ich damals zwei ältere Freunde hatten, die mir eines Tages gesagt haben, ich solle mit dem Quatsch aufhören und mich wie ein Erwachsener benehmen.«
»Wenn ich so etwas zu Marco sagen würde, würde ich alles nur noch schlimmer machen.«
»Ja, es kommt schon darauf an, wer so etwas sagt. Die eigenen Eltern dürfen es auf keinen Fall sein.« Bernd strich Saskia liebevoll über die Haare. »Nimm es nicht so schwer. Es ist nur eine Phase.«
»Und wenn nicht?«, fragte sie unglücklich. »Manche Menschen werden nie erwachsen, das hört man immer wieder. Wenn Marco nun dazu gehört?«
»Er hat andere Probleme, schätze ich. Dass er nicht erwachsen wird, halte ich für unwahrscheinlich.«
»Welche anderen Probleme meinst du?«
»Er will offenbar nicht, dass du einen Freund hast. Und du hast mir doch erzählt, dass er unzufrieden ist, weil er findet, er kann sich nicht genug leisten.«
»Das stimmt. Er vergleicht sich ständig mit anderen, denen es besser geht als uns. Manchmal denke ich, er verachtet mich, weil ich als Friseurin so wenig verdiene.«
»Lass dir nichts einreden, du machst das ganz toll mit deinen beiden Kindern – auch wenn das eine zurzeit nicht zufrieden ist. Frieda jedenfalls ist ein Schatz.«
Saskia lächelte unwillkürlich. »Ja, wenn ich Frieda nicht hätte, wäre ich todunglücklich. Aber sie hat ihre Musik, weißt du? Das ist für sie das Wichtigste. Sie übt jeden Tag mehrere Stunden in der Schule, und nie wird ihr das zu viel. So lange sie ein Klavier in der Nähe hat, auf dem sie spielen kann, ist sie glücklich. Ich glaube, darauf ist Marco auch eifersüchtig, weil er so etwas, an dem er sich festhalten kann, nicht hat.«
»Aber er hat doch Freunde, oder?«
»Ja, einen Jungen und zwei Mädchen, mit denen er dauernd zusammen ist. Sie kennen sich alle schon, seit sie klein waren. Der Junge, Daniel, ist ein ganz Stiller, den kann ich nicht richtig einschätzen, die Mädchen sind eigentlich sehr nett. Besonders Lola, die ist pfiffig. Alina finde ich ein bisschen oberflächlich, sie ist sehr mit ihrem Aussehen beschäftigt, aber im Grunde auch lieb. Früher habe ich die drei besser gekannt.«
»Bringt Marco sie nie mit nach Hause?«
»Nein, früher mal, da waren sie sogar oft hier, aber das macht er schon lange nicht mehr. Es ist, als wollte er mich aus seinem Leben außerhalb dieser Wohnung ausschließen.«
Bernd küsste sie zärtlich, dann sagte er: »Ich gehe jetzt. Und ich hoffe, das mit Marco und dir renkt sich bald wieder ein.«
Sie war ihm dankbar für sein Feingefühl. Sie hatte insgeheim