Der kleine Fürst 250 – Adelsroman. Viola Maybach
»Sie ist außergewöhnlich«, sagte Christian, als Stephanie ihm die Brosche gezeigt hatte. »Und wunderschön. Vor allem passt sie haargenau zu Frau Maurer, weil man ihr nicht ansieht, wie kostbar sie ist. Sie hat diese … diese zurückhaltende Eleganz, die ich an den Kleidern, die sie entwirft, immer so toll finde. Aber sie ist echt wahnsinnig teuer, Steffi. Noch teurer, als ich dachte.«
»Meine Oma hat Geld genug.«
»Ja, das weiß ich, aber ich frage mich, ob ein so teures Geschenk Frau Maurer gefiele. Du kennst sie doch. Sie ist immer so bescheiden, und noch heute erwähnt sie oft, dass sie es manchmal immer noch nicht fassen kann, wie luxuriös sie jetzt wohnt. Wenn man sein Leben lang arm war, wirkt das wahrscheinlich für immer nach.«
»Das sagt sie ja auch selbst, aber zugleich sagt sie, wie sehr sie es genießt, dass sie es jetzt so schön hat.«
Stephanie wandte nachdenklich den Blick von der kostbaren Brosche ab. »Ich zeige sie Omi, die kann besser beurteilen, ob es das richtige Geschenk wäre oder nicht. Die beiden sind ja richtig gute Freundinnen geworden, sie reden viel miteinander, auch darüber, dass sie aus so verschiedenen Welten kommen.«
»Ich finde es toll, dass sie das Experiment gewagt haben. Frau Maurer ist über achtzig, deine Oma knapp darunter – und dann gründen sie noch eine solche Wohngemeinschaft. Dazu gehört viel Mut.«
»Mut haben sie beide.« Stephanie griff nach Christians Hand. »Essen wir ein Eis? Danke jedenfalls, dass du dir die Brosche mit mir angesehen hast.«
»Ich bin gespannt, was deine Oma dazu sagt.«
»Sie wird sie sicher auch toll finden. Aber vielleicht hast du Recht: Frau Maurer fände so etwas Teures ganz unangemessen für sich selbst. Sie ist ja immer so bescheiden.«
Sie schlenderten über den Marktplatz und kauften sich zwei Waffeln mit Schokoladeneis, und sie waren froh darüber, dass ihnen zwar hier und da zugelächelt wurde, dass aber niemand Anstalten machte, sie anzusprechen. Und ausnahmsweise war auch weit und breit kein Fotograf in Sicht.
Jedenfalls keiner, den sie bemerkt hätten.
*
»Was ist los?«, fragte Maren Röhnelt, nachdem sie Saskia eine Weile beobachtet hatte. Sie waren allein im Salon, der letzte Kunde war gerade gegangen, den nächsten erwarteten sie erst in einer halben Stunde. »Ist das junge Liebesglück schon getrübt?«
Saskia presste die Lippen aufeinander. Sie hatte Maren bis jetzt noch nichts von Marcos Auftritt bei Bernds erstem Besuch bei ihr zu Hause erzählt. Das tat sie jetzt, während Maren und sie ihren Mittagsimbiss einnahmen, den sie sich beide von zu Hause mitbrachten. Der Kaffee, den sie anschließend trinken wollten, lief bereits durch die Maschine.
»Er hat sich Bernd gegenüber unmöglich genommen«, schloss Saskia ihre Schilderung. »Ich habe mich richtig für ihn geschämt. Und auch dafür, dass ich nicht mit ihm fertig werde. Ich komme mir immer mehr vor wie eine schlechte Mutter, weil ich es nicht schaffe, meinen Kindern Benehmen beizubringen.«
»Das stimmt ja nicht, Frieda ist supergut gelungen«, widersprach Maren. »Und so wie du Bernds Reaktion schilderst, kann ich nur sagen: Er hat doch total cool reagiert! Also, ich kennen viele Männer, die ausgerastet wären.«
»Ja, er war toll, aber seit dem Abend redet Marco praktisch überhaupt nicht mehr mit mir. Er knallt nur noch mit den Türen, kommt und geht, wann er will und ist auch ziemlich unfreundlich zu Frieda. Ich weiß einfach nicht mehr, was ich machen soll. Es ist schon so weit, dass ich Magenschmerzen kriege, wenn ich unsere Wohnung betrete. Ich erkenne ihn nicht wieder, Maren.«
»Hast du mal mit seinen Lehrern gesprochen?«
»Ja, aber das ist schon eine Weile her. Als feststand, dass er die Klasse wiederholen musste, war ich in der Schule.« Saskia zuckte mit den Schultern. »Die kamen mir auch ziemlich hilflos vor. Er interessiert sich nicht für den Unterricht, sagen sie, und deshalb tut er nichts für die Schule. Dabei ist er klug genug, er hätte studieren können, wenn er sich mehr angestrengt hätte, aber er will einfach nicht. Und ich kann ihm das Interesse für den Unterricht ja nicht einimpfen. Dabei glaube ich, dass er, zumindest zum Teil, wirklich gute Lehrer hat, aber die erreichen ihn so wenig wie ich.«
»Und wenn du ihm sagst, er soll ausziehen?«
»Spinnst du? Er ist nicht volljährig, ich bin für ihn verantwortlich.«
»Ja, noch bis zu seinem nächsten Geburtstag. Das ist nicht einmal mehr ein Jahr, dann kann er sowieso machen, was er will.«
»Ich darf gar nicht daran denken, ehrlich nicht. Du glaubst nicht, was ich für eine Angst habe, dass er auf die schiefe Bahn gerät!«
»Übertreib mal nicht. Bis jetzt klingt das alles ziemlich genau so wie das, was ich von anderen Müttern mit Kindern in dem Alter höre.«
Diese letzte Bemerkung tröstete Saskia ein wenig. Sie genoss ihre Tasse Kaffee und als der nächste Kunde kam, schaffte sie es sogar, mit ihm ein wenig herumzualbern.
Maren sah es mit Freude.
*
»Na, Kleine«, sagte Lolas ältere Schwester Karina, »wie sieht’s aus?«
»Nicht so toll«, antwortete Lola niedergeschlagen. »Ich bin immer froh, wenn ich weggehen kann.«
»So schlimm?«
Lola nickte, ganz plötzlich füllten sich ihre Augen mit Tränen. »Ich weiß nicht, ob ich das noch aushalte, bis ich mit der Schule fertig bin, Karina. Papa trinkt jetzt schon seit Wochen wieder, und mir kommt es so vor, als wäre es dieses Mal schlimmer als sonst.« Sie wischte sich über die Augen. »Mama hat ihren Job verloren, weil sie ständig krank ist. Der Chef hat ihr gesagt, er kann nicht dauernd Ersatz für sie suchen, sie ist ihm zu unzuverlässig. Seitdem liegt sie die meiste Zeit im Bett. Sie steht nur auf, um etwas zu essen zu machen, bevor er nach Hause kommt, damit Papa nicht auch deswegen noch ausrastet.«
Karina nahm Lola in die Arme und drückte sie an sich. »Es ist zu klein hier bei mir, aber willst du trotzdem kommen? Wenigstens für eine Weile? Irgendwie würden wir uns schon arrangieren können, schätze ich. Ich kann mir ja vorstellen, wie es zu Hause ist, schließlich habe ich das selbst lange genug mitgemacht.«
Lola überlegte, schüttelte aber schließlich den Kopf. »Ich möchte schon weg, aber wenn ich gehe, ist Mama völlig allein mit ihm, dann … dann stirbt sie, glaube ich. Ich merke immer, wie froh sie ist, wenn ich aus der Schule komme. Sie sagt ja nicht viel, aber ich merke es trotzdem, auch wenn sie dann noch im Bett liegen bleibt. Manchmal weint sie auch. Sie hat keine Kraft mehr und wenn sie mit Papa allein wäre, wäre das noch schlimmer für sie. Ich …«
Lola stockte, bevor sie nach einer Weile mit viel leiserer Stimme hinzusetzte: »Er schlägt sie weniger, wenn ich dabei bin. Das letzte Mal habe ich ihm mit der Polizei gedroht, da hat er es mit der Angst zu tun bekommen.«
Karina ließ sie los, sie war blass geworden. »So weit ist das mittlerweile?«
Lola senkte den Kopf, sie konnte ihre Schwester nicht ansehen. »Schon länger«, sagte sie. »Wenn Papa wieder nüchtern ist, tut es ihm jedes Mal wahnsinnig leid, aber du weißt ja, wie er ist, wenn er getrunken hat.«
Karina begann, in ihrem winzigen Wohnzimmer auf und ab zu laufen. »Ich rede noch einmal mit ihr. Sie muss ihn verlassen, sonst geht sie vor die Hunde.«
»Aber sie hat doch kein Geld! Sie müsste zum Sozialamt, das macht sie nicht, du kennst sie doch. Sie würde sich in Grund und Boden schämen. Und Papa …« Lola biss sich auf die Unterlippe. »Er ginge noch schneller vor die Hunde als Mama. Sie sorgt immerhin dafür, dass er morgens frühstückt und anständig angezogen aus dem Haus geht. Manchmal ist er morgens noch nicht wieder richtig nüchtern. Wenn sie nicht wäre, würden das schnell alle merken. Ich meine nicht nur seine Kollegen, auch die Chefs, und dann würde er seinen Job wirklich verlieren.«
»Den verliert er über kurz oder lang sowieso«, sagte Karina. »Das kann auf Dauer nicht gut