Der kleine Fürst 250 – Adelsroman. Viola Maybach
hielt sie sie länger fest. Am liebsten hätte sie selbst geweint, weil ihre Kräfte nicht ausreichten, um ihre Familie zu retten. Aber das hätten sie nur alle gemeinsam schaffen können. Sie allein konnte da überhaupt nichts ausrichten. Auch Lola und sie gemeinsam waren zu schwach, um die Mutter aus ihrer Erstarrung zu lösen und den Vater vom Alkohol wegzubringen, den er einmal als seinen ›besten Freund‹ bezeichnet hatte, der ihn nie im Stich ließ.
Alles geht kaputt, dachte sie trostlos. Alles.
Aber dann fiel ihr wieder die Preisverleihung ein, auf die sie Lola neulich begleitet hatte: Frieda Eckert, Marcos Schwester, war geehrt worden. Das war immerhin ein Lichtblick, zwar nicht für ihre Familie, aber doch für Menschen, die sie gut kannte. Frieda würde vielleicht eine große Karriere machen.
Ihr nächster Gedanke galt bereits dem jungen Mann, der den zweiten Preisträger begleitet und der sie im Laufe der Veranstaltung mehrmals angesehen und angelächelt hatte. Seitdem hoffte sie, ihm zufällig wieder zu begegnen, denn Sternberg war schließlich nicht besonders groß. Bis jetzt jedoch war es leider zu keiner weiteren Begegnung gekommen.
Sie gab sich einen Ruck. Auch was ihre Familie betraf, wollte sie die Hoffnung noch nicht aufgeben. Ihre Eltern waren ja nicht immer so gewesen wie heute. Vielleicht brauchten sie nur den richtigen Anstoß, um aufzuwachen und ihrem Leben wieder eine andere Richtung zu geben? Unmöglich war das nicht.
Aber als Lola sich verabschiedet hatte, merkte Karina erst, wie niedergeschlagen sie durch den Besuch ihrer Schwester geworden war. Die Bilder ihrer apathischen Mutter im Schlafzimmer und ihres betrunkenen Vaters im Wohnzimmer verfolgten sie bis in den Schlaf.
*
»Onkel Ben!«, sagte Alina erfreut, als sie ihrem Onkel die Tür öffnete. »Du hast dich ja lange nicht blicken lassen.«
»Stimmt, aber jetzt bin ich da, ich hatte Sehnsucht nach dir.«
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