Dr. Brinkmeier Classic 7 – Arztroman. Sissi Merz
»Anna, ich freue mich sehr, deine Stimme zu hören«, sagte Hedwig Stadler, nachdem ihre Tochter sie begrüßt und ihr gratuliert hatte. »Aber ich würde mich noch mehr freuen, wenn du uns endlich mal besuchen kommst. Wir haben schon so oft darüber gesprochen, doch du hast ja nie Zeit. Kannst du denn nicht mal für zwei Wochen eine Urlaubsvertretung bekommen? Du weißt doch, wie dein Vater dich vermißt.«
»Bitte, Mama, mach mir kein schlechtes Gewissen. Ich vermisse euch ja auch. Und ich würde es schön finden, mal für zwei Wochen zu euch in den sonnigen Süden zu kommen. Leider bin ich aber zu sehr eingespannt, es geht einfach nicht. Vielleicht später, wenn ich weniger am Hals habe.«
»Ach, Kind, das hat dein Vater auch immer gesagt. Wir haben so viel verschoben, was wir später nicht mehr nachholen konnten. Es ist einfach schade, wenn man sich so selten sieht. Wie geht es dir denn? Ist dir der Richtige noch nicht über den Weg gelaufen? Ich weiß, du findest das indiskret. Aber Mütter neigen nun mal zur Indiskretion. Und ich wünsche mir auch Enkelkinder.«
»Mama, bitte!« Anna verdrehte die Augen. Sie konnte ihrer Mutter ja schlecht sagen, daß es in Wildenberg durchaus einen Mann gab, für den ihr Herz schlug, daß dieser aber eine andere lieb hatte. Das hätte Hedwig Stadler nicht verstanden, denn sie hatte im Leben immer alles erreicht und bekommen.
»Nun sei doch mal ehrlich. Du bist schon über dreißig, Anna, es wird Zeit, an Nachwuchs zu denken. Und dazu gehört nun mal der richtige Mann. So ist das im Leben.«
»Was du nicht sagst«, rutschte es ihr unbedacht heraus. »Bitte, entschuldige, ich möchte mich nicht streiten, besonders nicht an deinem Geburtstag. Aber ich finde auch, daß dieses Thema nicht so wichtig ist. Jedenfalls momentan. Ich glaube, mir wird schon noch der Richtige über den Weg laufen. Und wenn nicht, werde ich auch nicht vor Gram eingehen. Ich kann sehr gut für mich selbst sorgen, Mama. Ich bin eine selbständige Frau.«
»Auch das noch.« Hedwig Stadler schien darin einen schweren Makel zu sehen. »Kein Wunder, daß du noch einschichtig bist, wenn du so keß auftrittst. Kein Mann will überrannt werden. Mannsbilder erobern uns, sie...«
Anna hörte nicht mehr zu. Es war immer dasselbe; niemals schaffte sie es, ein vernünftiges Gespräch mit ihrer Mutter zu führen, das war schon früher so gewesen. Hedwig war sehr konservativ eingestellt. Sie war zwar einverstanden gewesen, daß Anna studierte, um später einmal die Apotheke übernehmen zu können. Doch ihre Tochter war überzeugt, daß sie die ganze Zeit darauf gesetzt hatte, Anna mit einem zukünftigen Apotheker zu verheiraten. Daß das nicht geklappt hatte, schien sie noch immer zu wurmen.
»Hörst du mir überhaupt noch zu? Also, manchmal fürchte ich, es ist hoffnungslos mit dir, Madel. Die Dinge, auf die es im Leben ankommt, scheinen dir einfach nichts zu bedeuten.«
»Für jeden Menschen zählen doch andere Werte«, hielt sie der Mutter tapfer entgegen. »Aber ich habe jetzt auch keine Zeit mehr, mich noch länger über diese Dinge zu unterhalten. Bitte sei mir nicht böse, Mama. Ich muß aufsperren. Noch einen schönen Geburtstag wünsche ich dir!«
»Er wäre weitaus schöner, wenn ich mir keine Sorgen mehr um dich machen müßte, Kind«, bemängelte Hedwig leicht beleidigt.
Anna schenkte sich eine Erwiderung. Es hatte doch keinen Sinn, der Mutter ihre Sicht der Dinge klarzumachen. Wahrscheinlich wäre ihr das auch gar nicht gelungen...
Kurze Zeit später erschien Susi Angerer in der Rosenapotheke. Sie war Annas einzige Mitarbeiterin, hatte sich von der Aushilfe zur vollwertigen Kraft entwickelt. Das patente Madel bewunderte die schöne Apothekerin im stillen und hatte sie sich zum Vorbild genommen. Anna war ihrer Meinung nach eine richtige Dame. Sie wußte sich zu kleiden, hatte Geschmack und Stil. Sie fiel positiv auf in einem kleinen Flecken wie Wildenberg. Susi bemerkte gleich, wenn ihre Chefin schlechte Laune hatte. Und das schien an diesem Morgen der Fall zu sein.
»Stimmt was net?« wollte das Madel deshalb wissen. »Du schaust so deprimiert aus. Oder drückt nur das Wetter auf die Stimmung?«
»Ach, ich hab’ eben mit meiner Mutter telefoniert. Weißt, sie hat heut Geburtstag.«
»Und sie hat gewiß immer etwas auszusetzen.« Susi lachte unbekümmert. »Bei mir ist das net anders. So sind Mütter nun mal. Das kann man leider nicht ändern.«
»Ich wünschte, ich könnte das auch so leichtnehmen wie du, Susi. Aber ich ärgere mich immer, wenn sie mir Vorhaltungen macht und sich in mein Leben einmischen will.«
»Aber bei dir ist das doch halb so wild. Ich seh meine Mutter jeden Tag und kriege ständig was zu hören. Was würde ich dafür geben, wenn sie auf Lanzarote wär’...«
Nun mußte Anna doch schmunzeln. Susi verpaßte ihr allerdings gleich einen Dämpfer. »Oje, auch das noch. Der Burgmüller naht. Ich fürchte, das ist heut net dein Tag, Chefin. Soll ich ihn bedienen und ein bisserl abschrecken?«
»Laß nur, das wirst eh net schaffen. Ich kümmere mich schon um ihn.« Anna straffte sich, als Alois Burgmüller mit Schwung den Laden betrat und zielstrebig auf sie zu marschierte. Er nahm ihre Hand, drückte ein Busserl darauf und legte dann sein Rezept hinein. »Einen wunderschönen Morgen, Annerl! Mei, schaust wieder aus wie ein Traum. Am liebsten tät ich dich auf der Stelle entführen und vom Fleck weg heiraten.«
»Eine Rheumasalbe, Moment«, erwiderte sie sachlich.
Alois schüttelte leicht den Kopf und machte eine nachsichtige Miene. »Laß dir nur Zeit, meine Schöne. Bloß net hetzen!«
Anna wechselte einen vielsagenden Blick mit Susi Angerer, die grinste. Dann brachte sie dem Bürgermeister das Gewünschte und schlug vor: »Du solltest dir den Blutdruck messen lassen, Alois. Schaust ungesund rot aus.« Und mit leiser Ironie fügte sie noch hinzu: »Außerdem scheinst an Einbildungen zu leiden. Ich kann mich nicht entsinnen, dir einen Grund für die Benutzung solcher Kosenamen gegeben zu haben.«
»Aber, Annerl, sei halt nicht immer so kalt zu mir, das mag ich gar nicht. Du weißt doch, daß es für mich nur eine gibt«, schmeichelte er. »Gib mir eine Chance, nur eine kleine. Dann will ich dir beweisen, wieviel du mir bedeutest.«
»Du willst mir einen Gefallen tun?« Er nickte eifrig, da bat sie ihn lächelnd: »Laß mich doch einfach in Ruh, Alois. Einverstanden?«
»Ich fürchte, den Wunsch kann ich dir nicht erfüllen.« Er suchte ihren Blick. »Vergiß den Brinkmeier endlich! Bei dem hast eh keine Chance. Ich glaube fast, der ist ein wenig spinnert. Hängt allerweil dieser Frau nach, die in Afrika geblieben ist. Was willst denn mit so einem, wennst was Solides wie mich haben kannst? Denk halt einmal darüber nach.«
»Das brauche ich nicht, ich...« Sie verstummte, denn er mahnte sie:
»Du sollst mir jetzt noch keine Antwort geben, sondern nur darüber nachdenken. Wir sehen uns!«
Anna seufzte leise. »Ich kann es nicht fassen. Der Burgmüller schafft es doch immer wieder, mir das Wort abzuschneiden. Aber das wird ihm auch nichts nützen.«
»Bist sicher, Chefin? Eines Tages wirst ihm vielleicht doch noch nachgeben, bloß um deine Ruhe zu haben«, meinte Susi.
»Nein, das geschieht ganz gewiß nicht, da brauchst keine Angst zu haben, Susi. Weil der Alois mir nämlich zuwider ist mit seiner großkopferten, selbstsicheren Art.«
»Und weilst schon einen anderen gern hast, gelt?« Das Madel grinste vielsagend. »Ist ja auch nicht schwer zu verstehen, wenn man an unseren feschen Landarzt denkt...«
*
Dr. Brinkmeier hatte am frühen Nachmittag alle Patienten behandelt und konnte die Sprechstunde für diesen Tag beenden. Später wollte er noch seine Hausbesuche machen, doch zunächst nahm er zusammen mit seinem Vater das Mittagsmahl ein.
Während der junge Landarzt die Stiegen hinaufging, schweiften seine Gedanken kurz in die Vergangenheit ab. Es war noch nicht mal ein Jahr her, da hatte sein Leben noch völlig anders ausgesehen. Und damals hätte er es sich nicht mal im Traum einfallen lassen, daß er nun die Praxis des Vaters in Wildenberg, seinem Geburtsort,