Dr. Brinkmeier Classic 7 – Arztroman. Sissi Merz

Dr. Brinkmeier Classic 7 – Arztroman - Sissi Merz


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mit ihr zusammen in die Entwicklungshilfe zu gehen. Josef Brinkmeier hatte das zunächst für einen schlechten Scherz gehalten. Er hatte fest darauf gezählt, daß Max sein Nachfolger werden würde. Als dem alten Landarzt klargeworden war, daß es seinem Sohn ernst war mit den Afrikaplänen, da hatte er auf jede nur erdenkliche Art und Weise versucht, Max wieder davon abzubringen. Und da es ihm nicht gelungen war, hatte er sich schließlich zutiefst beleidigt und verbittert zurückgezogen. Max und Dr. Julia Bruckner waren zusammen nach Ruanda gegangen und hatten dort auf einer Missionsstation gelebt und gearbeitet. Knapp zehn Jahre lang waren sie ein glückliches Paar gewesen; beruflich wie privat. Wann immer Max an Julia dachte, tat ihm das Herz vor Sehnsucht weh. Er liebte sie und konnte sie nicht vergessen. Und sie empfand ebenso.

      Vor einigen Monaten hatte Josef Brinkmeier dann einen Zusammenbruch erlitten und war danach nicht mehr in der Lage gewesen, seine Praxis zu führen. Stur und enttäuscht vom Verhalten seines Sohnes hatte er alles aufgeben wollen, wofür er doch ein Leben lang gearbeitet hatte. Christel Brenner, die patente Sprechstundenhilfe, hatte das aber nicht einfach hingenommen. Sie war an Max herangetreten, hatte es schließlich geschafft, daß Vater und Sohn sich die Hand zur Versöhnung reichten. Und Max hatte die Pflicht, dem Vater zu helfen, über sein Lebensglück gestellt.

      Auch heute noch schmerzte ihn die Erinnerung an den Abschied von Julia. Er hatte alles versucht, sie zum Mitkommen zu bewegen. Aber ihm war eigentlich von Anfang an klar gewesen, daß er auf verlorenem Posten kämpfte. Die Missionsstation Holy Spirit, gut fünfzig Kilometer südlich der ruandischen Hauptstadt Kigali gelegen, war für Julia viel mehr Heimat geworden wie für ihn. Sie hatte dort ihre Lebensaufgabe gefunden und konnte sie nicht so einfach aufgeben. Daran hatte auch ihr Besuch in Wildenberg über Weihnachten nichts ändern können.

      Max seufzte leise, wenn er daran dachte, daß es nun auf unbestimmte Zeit für sie beide so weitergehen sollte. Eigentlich war das ein untragbarer Zustand. Aber eine Lösung fand sich nicht. Der junge Landarzt hatte eine eigene Wohnung im Doktorhaus von Wildenberg bezogen, doch die Mahlzeiten nahm er meist zusammen mit seinem Vater ein. Die alte Hauserin Afra, die für Max nach dem frühen Tod der Mutter zu einer Ersatzmutter geworden war, kochte gut und lieber für drei. Sie hatte den Mediziner, den sie von klein auf kannte, wie einen Sohn ins Herz geschlossen. Und dieses Herz, das da unter ihrer rauhen Schale schlug, das war aus purem Gold, behauptete Josef Brinkmeier...

      »Ah, Max, da bist ja. Geh nur eini, dein Vater sitzt schon am Tisch. Ist recht spät geworden heut, gelt?«

      »Die Sprechstunde hat länger gedauert als sonst. Was gibt’s denn Feines, Afra? Es duftet sehr verführerisch.«

      Die alte Hauserin lächelte geschmeichelt. »Krautwickel in einem Senfsößerl. Laß es dir schmecken, Doktor.«

      Max seufzte genüßlich. »Gott vergelt’s, Afra. Wenn ich in Afrika was vermißt habe, dann deine gute bayerische Küche.«

      Josef Brinkmeier freute sich stets, seinen Sohn zu sehen. Daß dies nicht immer so gewesen war, daran dachten die beiden Ärzte heutzutage nicht mehr. Sie hatten sich zusammengerauft und kamen gut miteinander aus. Und das war schließlich die Hauptsache.

      »Steckst im Streß, Bub? Soll ich dir ein bisserl unter die Arme greifen?« fragte der alte Landarzt, der seinem Sohn sehr ähnlich sah. »Zu der Jahreszeit werden die Leut eben öfter krank, das ist normal.«

      »Ich schaff’ es schon, keine Angst. Nachher noch die Hausbesuche, aber es ist nur ein halbes Dutzend. Ich mache mir Sorgen um den alten Filsmeier, den Herrgottsschnitzer.«

      »Den Schorschi? Der hat ein schwaches Herz, schon seit ein paar Jahren. Aber behandeln lassen wollte er sich von mir nicht. Ist ein rechter Eigenbrötler, aber ein großer Künstler.«

      »Als Schnitzer ist er ein Genie. Daß er seine Krankheit nicht ernst nehmen will, erscheint mir allerdings eher narrisch.« Max bedachte Afra mit einem anerkennenden Blick, als diese noch etwas Soße brachte. »Du hast dich selbst übertroffen, Afra!«

      »Da hörst es, Doktor. Dein Sohn weiß, wie sehr man sich über ein Lob freut, der geizt net so damit wie du«, warf sie Josef mit deutlicher Genugtuung in der Stimme vor.

      »Ich hab’ dich nur selten gelobt, damit du nicht der Todsünde der Eitelkeit erliegst«, scherzte der launig. »Was würde denn das auf Hochwürden für einen Eindruck machen?«

      Die Hauserin winkte ärgerlich ab und verließ rasch die Stube.

      Max mußte schmunzeln, sein Vater merkte an: »Ich wundere mich, daß der Schorschi dich überhaupt in sein Häusel eini gelassen hat. Durfest ihn denn untersuchen?«

      »Das schon. Aber es ist mir nur mit einer kleinen List gelungen. Weißt, Vater, die Strohmüllers wohnen doch im Nachbarhaus und kümmern sich auch ein wenig um den alten Mann. Jetzt hat der Strohmüller-Bauer mich gerufen, weil es dem Georg so schlecht ging, er sich allerweil gequält hat. Und dann hat er den Alten bei ihrer guten Nachbarschaft daran erinnert, daß es seine Pflicht ist, auch für sie da zu sein, wenn Not am Mann sei. Und das kann er ja net, wenn es ihm schlecht geht...«

      Josef mußte lachen. »Ich wußte gar nicht, daß der Strohmüller ein so ausgekochtes Schlitzohr ist.«

      »Leider hat das auf lange Sicht auch nicht sehr viel gebracht, weil der Filsmeier die Tabletten nicht nimmt, die ich ihm verschreibe. Und ein EKG hat er auch abgelehnt. Ich habe extra das tragbare Gerät zu ihm mitgenommen, doch er wollte nichts davon wissen. Ja, er ist schon ein rechter Exzentriker.«

      »Und wie willst heut vorgehen? Fährst doch zu ihm, oder?«

      »Schon. Ich werde ihn halt wie üblich untersuchen. Er müßte eigentlich ins Spital nach Berchtesgaden. Ich glaube, seine Herzprobleme wären durch einen Bypass zu lösen. Aber daran brauche ich nicht mal im Traum zu denken...«

      Tatsächlich gestaltete sich der Besuch bei Georg Filsmeier auch an diesem kalten und trüben Spätwintertag recht problematisch für den jungen Landarzt. Jedesmal, wenn Max seinen Jeep vor dem kleinen, wie verwunschen wirkenden Haus am Ortsrand von Wildenberg abstellte, fühlte er sich ein wenig in seine Kindheit zurückversetzt.

      Als Buben hatten er und sein jüngerer Bruder Lukas sich oft hierher geschlichen, um den Herrgottsschnitzer heimlich durch das Fenster in der Werkstatt zu beobachten. Freilich hatte der Filsmeier sie immer bemerkt und freundlich hereingebeten. Während Max dem schmalen Weg zum Haus folgte, der zu beiden Seiten von dichtem Buschwerk gesäumt wurde, dachte er daran, wie sie staunend und verzaubert der Entstehung der schönsten Heiligenfiguren beigewohnt hatten. Schon damals war es ihm wie ein Wunder erschienen, daß einer mit bloßen Händen und einem einfachen Schnitzmesser solche ausgeprägten Gesichtszüge ins Holz zaubern konnte. Die Figuren vom alten Filsmeier waren etwas ganz Besonderes. Und je älter er wurde, desto kunstfertiger ging er mit dem groben Rohstoff um. Schutzpatrone, Heilige und auch die Heilige Familie von seiner Hand fanden sich im ganzen Landkreis in Kirchen und Herrgottswinkeln. Sogar bis in die Schweiz hatte er seine Meisterwerke verkauft, war dabei aber immer bescheiden und gottesfürchtig geblieben.

      Dr. Brinkmeier zog am Klingelstrang und fragte sich, warum der alte Georg ausgerechnet mit seiner Gesundheit so sorglos, ja, fahrlässig umging. Bedeutete ihm sein Leben denn nichts? Das konnte der junge Landarzt sich eigentlich nicht vorstellen. Denn er wußte, daß einer mit einem besonderen Talent es dadurch meist leichter hatte, einen Sinn im Leben zu sehen. Und er wußte auch, daß der Filsmeier ein gläubiger Mensch war.

      Es dauerte eine Weile, bis sich schlurfende Schritte der Tür näherten, diese schließlich mit einem deutlich vernehmbaren Quietschen geöffnet wurde.

      Seit Georg Filsmeier verwitwet war, gab er nichts mehr auf sein Äußeres. Das schmale Gesicht mit den wachen, hellen Augen wurde von einem ausladenden, weißen Bart zur Hälfte verdeckt, das schlohweiße Haar stand dem Herrgottsschnitzer wirr vom Kopf ab. Er trug ein altes, geflicktes Hemd und Hosen, die auch schon bessere Tage gesehen hatten. Unwillig blinzelte er den Besucher an und murrte: »Doktor, was willst? Ich hab dich net gerufen und mag auch nicht untersucht werden. Mir geht es gut.«

      »Aber, Schorsch, ich muß mich wundern! Für einen gottesfürchtigen Mann gehen dir die Lügen recht leicht über


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