Der neue Sonnenwinkel 75 – Familienroman. Michaela Dornberg

Der neue Sonnenwinkel 75 – Familienroman - Michaela Dornberg


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was man sehr gern verdrängte, und dann holte es einen mit aller Gewalt ein.

      Adrienne schlief wieder, immer noch ein wenig ungeschickt, aber sehr vorsichtig legte Paula ihr Baby in den Stubenwagen zurück.

      »Ich weiß nicht, wie ich Ihnen danken soll«, sagte sie leise, »ich werde auf ewig in Ihrer Schuld sein.«

      Was dann folgte, war sehr, sehr emotional. Das war nicht verwunderlich. Wann erlebte man im wahren Leben schon so etwas.

      Und die kleine Adrienne, um die alles ging, die verschlief diesen wichtigen Augenblick. Es gab so vieles zu sagen, zu hinterfragen. Das ging nicht auf einmal. Vor allem war es ja auch eine Situation, mit der man im Alltag nicht ständig konfrontiert wurde, und demzufolge auch nicht wusste, wie damit umzugehen war.

      Eines stellte sich allerdings sehr schnell heraus. Roberta, Alma und Paula waren sich sehr sympathisch. Es gab viele Überlegungen erst einmal darüber, was der nächste Schritt sein sollte. Und da war es Paula, die eine Entscheidung traf, eine sehr vernünftige Entscheidung. Auch wenn sie liebendgern bei ihrer kleinen Tochter geblieben wäre, wollte sie nach Hohenborn zurückfahren, denn sie hatte immerhin einen Arbeitsplatz, auf dem sie pünktlich erscheinen musste. Und übers Knie brechen musste jetzt niemand etwas.

      Roberta wollte Paula nach Hohenborn fahren, doch das lehnte die ab.

      »Nein, Frau Doktor, das geht überhaupt nicht. Das kann ich nicht annehmen.«

      Da hatte Alma einen Vorschlag.

      »Paula, nur tagsüber fahren die Busse regelmäßig, deswegen nehmen Sie mein Auto. Das brauche ich morgen nicht, und Sie werden ja wohl morgen wieder Ihr Baby sehen wollen, nicht wahr?«

      Das bestätigte Paula sofort, was das Auto betraf, zögerte sie, und das veranlasste Alma zu der Frage: »Oder haben Sie keinen Führerschein?«

      Den besaß Paula, und so bestand Alma darauf, dass Paula den Wagen nahm.

      Es fiel Paula sichtlich schwer, ihr Baby zu verlassen, doch das Leben, ihr Alltag, mussten weitergehen. Sie verabschiedeten sich voneinander, Paulas letzte Worte waren: »Warum tun Sie das alles für mich?« Sie bekam keine Antwort darauf, weil es keine gab. Man machte manchmal einfach Sachen, die mit dem Verstand nicht zu erklären waren.

      »Bis morgen, Paula«, riefen Roberta und Alma wie aus einem Munde, und sie blieben noch an der Haustür stehen, als Paula in den kleinen Wagen einstieg und davonbrauste. Ja, das tat sie wirklich. Aber so waren sie halt, die jungen Leute.

      *

      Zum Glück schlief die kleine Adrienne noch immer, als die beiden Frauen ins Wohnzimmer zurückkamen. Auf den ersten Blick war alles so wie immer, und dennoch hatte es eine Erschütterung gegeben, die einem Erdbeben gleich kam.

      Ehe sie sich setzten, rief Alma im Brustton der Überzeugung: »Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, Frau Doktor. Aber ich brauche jetzt erst einmal einen Schnaps.«

      Das war ungewöhnlich, weil Alma allenfalls mal ein Gläschen Wein oder hier und da ein Li­körchen trank. Bei Roberta war es­ nicht anders, normalerweise, doch jetzt sagte sie: »Den brauche ich auch, Alma.«

      Roberta und Alma hatten sich hier und da schon mal darüber unterhalten, was für eine Frau die Kindesmutter wohl sein mochte. So etwas wie Paula hatten sie sich nie vorgestellt.

      Was für eine Geschichte!

      Beide hingen ihren Gedanken nach, nachdem sie am Schnaps genippt hatten. Alma ergriff zuerst das Wort. »Frau Doktor, wenn Paula doch mit einem Studium beginnen möchte, dann kann sie die kleine Adrienne doch bei uns lassen. Dann kann alles so bleiben wie bisher. Paula kann sich auf ihr Studium konzentrieren, sie weiß ihr Baby bei uns bestens aufgehoben. Damit ist allen geholfen.«

      Roberta musste erst einmal etwas trinken, doch diesmal begnügte sie sich mit Wasser.

      »Alma, Sie haben doch mitbekommen, wie sehr Paula ihr Baby liebt, wie sehr sie das, was sie getan hat, bedauert. Mit so etwas wird sie niemals einverstanden sein. Und das finde ich auch richtig. Paula und Adrienne gehören zusammen. Ich finde allerdings, dass auch dieser Adrian davon erfahren muss, dass er Vater geworden ist. Er hat ein Recht darauf, ganz gleichgültig, wie er darauf reagiert. Er muss es entscheiden dürfen.«

      Alma war enttäuscht, sie sah ihre Hoffnungen schwinden, die kleine Adrienne für immer, wenigstens für länger, behalten zu dürfen.

      »Adrienne hätte es bei uns so gut«, wagte sie einen Vorstoß, »ein solches Leben wird Paula ihr niemals bieten können.«

      Roberta zuckte die Achseln.

      »Mag sein, aber Paula ist die Mutter. Und Mutterliebe ist etwas, was wir Adrienne niemals geben können. Ich bin froh, dass wir jetzt wissen, zu wem Adrienne gehört, auch wenn mir ein wenig weh ums Herz ist. Wir wussten von Anfang an, dass die Kleine nicht für immer bei uns bleiben würde. Freuen wir uns, dass die Kindesmutter eine so sympathische junge Frau ist. Ich kann Paulas Beweggründe zwar nicht ganz verstehen, doch eines steht fest, sie hat aus ihrer Sicht heraus stets zum Kindeswohl gehandelt. Und sie wollte das Kind, sie hätte es einfacher haben können, und sie hätte angesichts ihrer Situation die Erlaubnis für einen Abbruch bekommen. Sie hat sich dagegen und für den schwereren Weg entschieden, und das müssen wir nicht nur akzeptieren, Alma, sondern ihr dafür auch Achtung zollen.«

      Konnte ja alles sein, Alma gehörte schon zu den Menschen, die durchaus ihren Verstand gebrauchen konnten, doch manchmal ließ der einen im Stich, und das ganz besonders, wenn man emotional sehr bewegt war.

      Adrienne …

      Um dieses kleine Wunder Mensch hatte sich, seit das Baby im Doktorhaus war, alles gedreht. Und für Alma stand fest, richtiger gesagt, hatte fest gestanden, dass der liebe Gott es so gewollt hatte, dass Adrienne zu ihnen kommen sollte. Na klar hatte die Frau Doktor immer wieder darauf hingewiesen, dass es nicht mehr als ein Glück auf Zeit war. Das hatte Alma einfach nicht hören wollen. Alma verehrte, bewunderte ihre Chefin, doch auch Ärztinnen konnten sich mal irren. Und nun das.

      Sie wollte sich dazu äußern, doch Adrienne machte ihr da einen Strich durch die Rechnung, sie begann zu weinen, und da ließ Alma sich durch nichts mehr aufhalten. Noch war das Baby ja bei ihnen!

      Außerdem klingelte beinahe gleichzeitig das Telefon, und da war die Frau Doktor gefragt. Es war das private Telefon, und Roberta fragte sich, wer sie wohl jetzt noch anrief. Eigentlich konnte das nur ihre Freundin Nicki sein, und so war es dann auch.

      »Was ist denn mit dir los?«, erkundigte Nicki sich sofort, kaum, dass Roberta sich gemeldet hatte. »Freude sieht anders aus. Du musst ja vor lauter Begeisterung nicht quietschen, wenn du meine Stimme hörst, doch ein bisschen Freude wäre schon angesagt, liebste Freundin.«

      Manchmal ging Roberta auf derartige Worte ein, heute war ihr wirklich nicht danach. Sie hielt sich auch nicht lange mit der Vorrede auf, sondern erzählte Nicki, was sich ereignet hatte.

      »Alma und ich wissen noch nicht so richtig, wie wir damit umgehen sollen. Es war ja absehbar. Wenn du willst, haben wir die ganze Zeit über auf einem Pulverfass gesessen, aber jetzt können wir daran fühlen, wann Paula uns die kleine Adrienne wegnehmen wird.«

      Das verstand Nicki nun überhaupt nicht.

      »Roberta, verdammte Hacke, sei froh, dass du die Verantwortung wieder los wirst. Du bist eine attraktive, junge, kluge Frau und nicht so was wie Mutter Teresa, eine Auffangstation für junge, schwangere oder anderweitig gestrauchelte Frauen. Es kann doch nicht sein, dass du dein Leben damit verbringst, für deine Patientinnen und Patienten da zu sein. Gut, das ist dein Beruf, damit verdienst du dein Geld. Aber Pia, Babette und Paula, du bist nicht der einzige Mensch auf der Welt, der sich um diese Mädchen kümmern muss. Es gibt öffentliche Einrichtungen, die dafür zuständig sind. Fang endlich wieder an zu leben, kümmere dich um dich, deine Bedürfnisse. Und ehrlich mal, es kann überhaupt nicht schaden, dass du wieder mal einen richtigen Kerl in dein Leben lässt. Die bleiben natürlich aus, wenn du weiterhin Mutter Teresa spielst.«

      Wie war Nicki denn drauf?

      »Nicki, halte


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