Der neue Sonnenwinkel Box 7 – Familienroman. Michaela Dornberg
sie ein großes Gefühl der Erleichterung.
Sie hatte keine andere Wahl gehabt, sie hatte Lars diese Zeilen schicken müssen. Fast schien es, als sei sie dazu gezwungen worden.
Nachdem das erledigt war, stieg sie in ihr Auto. Sie warf, ehe sie losfuhr, einen letzten Blick zum Himmel. Es schien, als seien die Sterne untergetaucht, und der schmale abnehmende Mond hatte sich hinter einer Wolke versteckt.
Sie fröstelte, und sie war froh, dass Nicki jetzt nicht hier war, für die das sofort wieder ein Zeichen gewesen wäre. Das war Unsinn, ein Zeichen …, wofür denn?
Roberta fuhr los, und sie redete sich ein, dass das komische Gefühl, das sie gerade beschlich, die Traurigkeit, einzig und allein mit Julia und Daniel zu tun hatte. Man wollte nichts hören von zerbrochenen Lieben, man war interessiert an Geschichten von Liebe, die den Himmel erstürmte.
Und sie und Lars …
Sie würden eine neue Seite im Buch ihrer Liebe aufschlagen, und ab da würde es keine Missverständnisse mehr geben, keine einseitigen Wünsche, nur noch ein Gefühl, in das man sich einkuscheln konnte wie in eine warme, weiche Decke.
Als sie am Doktorhaus ankam, lag alles im Dunkel. Sie ging leise ins Haus, und ehe sie sich für die Nacht fertigmachte, schlich sie auf Zehenspitzen in Philips Zimmer. Der Kleine schlief tief und fest, und er schien schön zu träumen, denn ein kleines Lächeln umspielte seine Lippen.
Sie hob sein Schlaftier vom Boden auf, legte es neben ihn, dann deckte sie ihn zu, strich über sein verstrubbeltes Haar. Dann blieb sie noch eine ganze Weile vor dem Bettchen stehen.
Es war eine Bereicherung, Philip im Haus zu haben. Aber Roberta wurde immer bewusster, welche Verantwortung es doch bedeutete, ein Kind großzuziehen, wie viel Zeit man brauchte und wie viele Jahre man zurücktreten musste mit seinen eigenen Wünschen und Bedürfnissen. Das alles musste man sich vorher sehr genau überlegen. Roberta wurde bewusst, wie blauäugig sie an alles herangegangen war. Wenn man sich für ein Kind entschied, dann war das ein langer gemeinsamer Weg. Da konnte man nicht auf der Strecke stehen bleiben, das Kind in ein Internat abschieben, es Personal überlassen. Das alles tat man nicht, wenn man ein verantwortungsbewusster Mensch war.
Sie hatte Lars mit ihren Wünschen überrannt, und sie hatte ihn überfordert.
Wie gern würde Roberta jetzt das Rad der Zeit ein wenig zurückdrehen.
Man musste dem Getreide Zeit lassen zu wachsen, man konnte nicht an den Halmen ziehen, um das Wachstum zu beschleunigen.
Sie wünschte sich noch immer Kinder, doch sie wusste jetzt, dass es keine Einmann-Show war.
Und die Dinge passierten, wenn es an der Zeit war.
Leise verließ sie das Zimmer, ging in ihre eigenen Räume, und als sie wenig später in ihrem Bett lag, dachte sie mit einem Herzen voller Liebe an Lars, ihren Mr Right, die Liebe ihres Lebens.
Sie wusste nicht, warum sie auf einmal so traurig war.
Ging es an ihr Herz, weil er gerade nicht bei ihr weilte?
Ehe sie das Licht löschte, nahm sie sein Bild in die Hand, das auf ihrem Nachttisch stand, verlor sich in das geliebte Gesicht, und dann küsste sie das Bild. Das musste sein, sie war voller Liebe.
*
Rosmarie Rückert, Teresa von Roth und Sophia von Bergen hatten sich bei Inge zum Kaffee verabredet, und das nicht ohne Hintergedanken. Niemand konnte einen so herrlichen Kuchen backen wie Inge, und letztlich hatte sie ja irgendwo auch zum Festteam gehört.
Rosmarie legte einen Stapel von Zeitungen auf den Tisch und rief: »Nur positive Berichte, und wir drei sind in jeder Zeitung abgebildet. Das war ich früher ja auch, doch jetzt habe ich ein sehr viel besseres Gefühl dabei. Früher hat man über meine Kleidung, meine Frisur geschrieben, diesmal ging es um eine Sache, und ich sag euch, Mädels, das ist ein verdammt gutes Gefühl.«
»Rosmarie, du kannst auch ganz stolz auf dich sein, du hast das Ding geschaukelt, Sophia und ich waren nur Randfiguren, ohne dich hätten wir auch niemals diese Aufmerksamkeit bekommen. Wer kannte uns zwei alte Schachteln denn schon«, gab Teresa neidlos zu.
Das wollte Rosmarie so nicht im Raum stehen lassen, obwohl sie sich schon ziemlich geschmeichelt fühlte.
Es ging eine ganze Weile hin und her, bis Inge sagte: »Nun hört auf, euch gegenseitig zu beweihräuchern. Das Fest war eine Granate, und ihr könnt alle stolz sein, nicht zu vergessen Julia Herzog, die Unglaubliches geleistet hat, und auch Heinz hat mit seiner Großzügigkeit erst einmal den Grundstock für alles gelegt. Ihr habt erreicht, was ihr wolltet. Frau Dr. Fischer hat nicht nur einen ordentlichen Batzen Geld bekommen. Ich finde, viel wichtiger ist doch, dass das Tierheim in den Mittelpunkt gerückt ist, dass man einen Aufruf gemacht hat, sich Tiere nicht zu kaufen wie ein Pfund Zucker, dass man es sich vorher gründlich überlegen soll, ob man die Verantwortung für ein Tier übernehmen will oder kann. Würde man nämlich daran denken, gäbe es nicht die überfüllten Tierheime.«
Die Damen unterhielten sich noch eine ganze Weile über das Thema, das ihnen allen am Herzen lag, und dabei ließen sie sich den von Inge gebackenen Kuchen gut schmecken. Auch der wurde sehr gelobt, und so hatten sie letztlich alle ihre Streicheleinheiten abbekommen.
Die Stimmung war gelockert, fröhlich.
Inge hätte sich am liebsten hinterher die Zunge abgebissen, denn durch ihre Frage war die Stimmung dahin.
»Rosmarie, du sitzt an der Quelle, erfährst, was sich da oben mit dem Herrensitz tut, denn wenn das in trockenen Tüchern ist, bekommst du auch deine Villa verkauft.«
Rosmarie antwortete nicht sofort, ihr war anzumerken, dass es ihr lieber gewesen wäre, Inge hätte nicht ausgerechnet jetzt gefragt.
Spannung, Erwartung breitete sich unter den Damen aus, und Inge wusste, dass jetzt etwas kommen würde, was mit einem Schlag die fröhliche Stimmung zunichtemachte.
Hätte sie doch bloß ihren Mund gehalten!
»Graf Hilgenberg hat verkauft, er hat den vollen von ihm gewünschten Kaufpreis erhalten und dabei einen ordentlichen Schnitt gemacht. Der Käufer scheint Geld ohne Ende zu haben. Das geht auch daraus hervor, dass er auf unsere ursprüngliche Forderung eingegangen ist, und wir können im Haus wohnen bleiben, bis wir etwas Neues gefunden haben. Der Notarvertrag für unser Haus liegt bereit, er muss nur noch unterschrieben werden. Und ja, dann ist für uns der Albtraum vorüber, wir sind den ›Palazzo Prozzo‹, wie unser Fabian das Haus immer verächtlich genannt hat, wirklich los geworden.«
Nach diesen Worten war es still unter den Damen. Sie vergaßen den köstlichen Kuchen, den nicht minder köstlichen Kaffee, denn auch davon verstand Inge etwas.
Es war zu erwarten gewesen, sie hatten damit gerechnet, doch dann tatsächlich die Gewissheit zu haben, das hatte eine ganz andere Dimension, und das machte sprachlos.
Sie freuten sich, dass es den Rückerts tatsächlich gelungen war, die Villa, die sie zuvor wie saures Bier mit erheblichen Abschlägen angeboten hatten, tatsächlich zu verkaufen. Wenn es das bloß wäre.
Jetzt schwebte über ihnen wie ein Damoklesschwert der andere Verkauf, der sie alle betraf.
Der Herrensitz unterhalb der Felsenburg hatte den Besitzer gewechselt, nicht nur das. Auch Graf Hilgenberg hatte zuvor gekauft, hatte Veränderungen vorgenommen, doch die waren innerhalb der vorhandenen Bausubstanz erfolgt.
Jetzt war alles anders.
Jetzt bewahrheitete sich, was vorher alle verdrängt, was sie sich inständig gewünscht hatten, dass es niemals geschehen würde …, nun würde alles abgerissen werden. Und man konnte nur von Glück reden, dass wenigstens die Ruinen der Felsenburg stehen bleiben würden. Die durfte nicht abgerissen werden, weil die unter Denkmalschutz stand. Das war ein schwacher Trost.
Die Stimmung war verdorben, und Inge entschuldigte sich.
»Es tut mir so leid«, sagte sie leise. »Ich hätte nicht davon anfangen sollen, nicht jetzt. Ich habe alles verdorben.«