Der neue Sonnenwinkel Jubiläumsbox 3 – Familienroman. Michaela Dornberg

Der neue Sonnenwinkel Jubiläumsbox 3 – Familienroman - Michaela Dornberg


Скачать книгу
muss sich zwischendurch auch mal stärken.«

      Die Zwillinge kamen aus dem Haus gerannt, blieben vor ihnen stehen, musterten Leonie neugierig. Dann erkundigten sie sich gleichzeitig, wie im Duett: »Bist du eine Freundin von Manuel, so wie Bambi, die jetzt in Australien wohnt?«

      Leonie wurde vor lauter Verlegenheit rot, doch Sandra Münster rettete die Situation.

      »Seid nicht so neugierig, Kinder, sondern steigt ins Auto, sonst kommen wir zu spät.«

      Die Zwillinge gehorchten, und Manuel führte Leonie ins Haus. Die sah sich interessiert um. Es war alles wunderschön, beinahe so schön wie ihr Prinzessinnenzimmer.

      Das Zimmer von Manuel lag im ersten Stock, und es war recht groß. Es war schön, doch das nahm Leonie bewusst überhaupt nicht richtig war. Wie magisch angezogen steuerte Leonie auf ein Klavier zu, das an einer Wand stand.

      Ehe sie eine Bemerkung machen konnte, sagte Manuel: »Das Klavier gehörte meiner richtigen Mutter. Die konnte ganz toll Klavierspielen. Papa hat das Klavier behalten, und er meint, dass es mir gehören soll. Dass meine Mama es so gewollt hätte.«

      Leonie war ganz aufgeregt.

      »Und spielst du Klavier?«, wollte sie wissen.

      Manuel lachte.

      »Leider nein, ich habe null Talent, und meine Klavierlehrerin, die ich anfangs hatte, hat resigniert aufgegeben und mir geraten, es mit einem anderen Instrument zu versuchen.«

      »Und, hast du?«

      Sein Lachen verstärkte sich.

      »Nö, man muss nicht alles können. Ich höre gern Musik, aber selber machen muss ich sie nicht.«

      Leonie hörte kaum zu. Sie war einfach zu fasziniert von dem Klavier, strich behutsam über das schwarze Ebenholz, dann erkundigte sie sich: »Darf ich?«

      Als er nickte, schlug sie den Deckel auf, setzte sich auf den Drehstuhl, dann betrachtete sie beinahe hingerissen die weißen und die schwarzen Tasten, ehe sie sie beinahe zärtlich mit den Fingern berührte. Und dann geschah etwas, was ihr nicht bewusst wurde, sie begann zu spielen. Erst drückte sie zögerlich die eine oder andere Taste, dann formten ihre Finger eine Melodie. Als ihr das bewusst wurde, hielt sie erschrocken inne.

      Was war da jetzt geschehen?

      »Warum spielst du nicht weiter. Es klang schön. Wie lange hast du schon Klavierunterricht?«

      Leonie war wie versteinert.

      Sie schluckte.

      Sie hatte einen ganz trockenen Hals, und es dauerte eine ganze Weile, ehe sie Manuel erzählen konnte, dass sie noch nie zuvor ein Klavier gesehen hatte, geschweige denn, eines von ihr berührt worden war.

      Sie war erschüttert, war voller Nichtbegreifen, doch Manuel nahm es locker.

      »Dann bist du ein Naturtalent, so was wie ein Genie. Ich denke, du solltest Unterricht nehmen, wenn du willst, dann leihe ich dir sogar mein Klavier. Ich glaube, es ist ein ziemlich gutes, ist von Bechstein. Und mein Papa hätte ganz bestimmt nichts dagegen.«

      Es war ein tolles, ein so großherziges Angebot, doch das bekam Leonie nicht richtig mit.

      Sie wirkte entrückt, sie war fasziniert, sie war wie gelähmt, sie war innerlich aufgewühlt!

      Als müsse sie sich selbst überzeugen, dass sie das gerade nicht geträumt hatte, berührte sie ­erneut die Tasten, zunächst stumm, dann ging alles wie von selbst.

      Was sie spielte, war nicht meisterlich. Sie spielte wie jemand mit einem guten musikalischem Gespür.

      Aber wieso konnte sie das?

      Sie war durcheinander und brach mitten in dem Lied ab, stand abrupt auf.

      »Wir sollten jetzt Mathe lernen. Deswegen bin ich hier«, sagte sie, und das war so etwas wie Selbstschutz. Wäre es nach ihr gegangen, hätte sie noch Stunden am Klavier verbringen können.

      Sie war innerlich so aufgeregt, dass es eine ganze Weile dauerte, bis sie Manuel folgen konnte, der wirklich sehr gut erklären konnte. Und zum Glück begriff sie auch, worum es ging.

      »Wir machen eine Pause«, sagte Manuel schließlich, und sie machten sich beide über die Schokomilch und die wirklich leckeren Kekse her, die seine Stiefmutter für sie hingestellt hatte.

      Während sie aß, blickte Leonie verlangend in Richtung Klavier. Wie gern wäre sie jetzt aufgestanden und hätte es noch einmal versucht.

      Aber das ging nicht. Deswegen war sie nicht hier, und sie musste selbst erst einmal verarbeiten, was da geschehen war.

      Schade, dass ihre Mami das nicht mitbekommen hatte. Die würde wahrscheinlich vor lauter Stolz platzen. Ihre Mami freute sich immer, wenn ihr etwas gelang, wenn sie gute Noten schrieb, wenn sie eine Fremdsprache schnell lernte.

      Klavierspielen …

      Ihre Mami musste es erfahren, schnell.

      »Sollen wir weitermachen?«, erkundigte sie sich, dabei hatten sie ihre Schokomilch noch nicht einmal ausgetrunken, und der Teller mit den Keksen war längst noch nicht geleert.

      »Wie du willst«, sagte Manuel, der Leonie nicht so richtig verstehen konnte. Früher, als Bambi zu ihnen gekommen war, hatte es auch immer etwas Leckeres gegeben, aber die war nicht aufgestanden, ehe alles aufgegessen war. Die beiden Mädchen waren schon ganz verschieden. Er mochte sie beide, nun ja, ein bisschen mehr vielleicht Bambi, die jetzt Pam genannt werden wollte. Doch das lag gewiss daran, dass sie ihre ganze Kindheit gemeinsam verbracht hatten. Da kannte man sich halt anders.

      Sie lernten noch eine Weile, und Leonie bemühte sich sehr, sich zu konzentrieren. Sie war ein kluges Mädchen, und sie begriff schnell. Deswegen brach sie seine Nachhilfe beizeiten ab.

      »Willst du noch mal Klavierspielen?«, erkundigte er sich. »Fänd ich cool.«

      Sie hätte es gern getan, aber in ihrem Herzen stritten zwei Seelen. Auf der einen das nicht erklärbare Verlangen, sich an das Klavier zu setzen und zu spielen, und dann der Wunsch, ihrer Mami diese unglaubliche Geschichte zu erzählen. Die würde Augen machen, und vielleicht war sie damit einverstanden, dass sie Unterricht bekam.

      »Ein andermal, Manuel, danke. Jetzt möchte ich lieber nach Hause.«

      Als er sie nach Hause bringen wollte, lehnte sie auch das ab. Sie mochte Manuel, sie unterhielt sich gern mit ihm. Doch sie musste jetzt allein sein, über alles nachdenken, was sie innerlich so sehr berührte. Es war ja nicht nur das mit dem Klavier, nein, da war noch eine ganz unstillbare Sehnsucht, und sie musste sich zusammenreißen, dass sie jetzt nicht anfing zu weinen.

      »Na ja, den Berg hinunter, das ist leichter«, grinste er.

      »Sehen wir uns morgen früh am Bus?«

      Sie schüttelte den Kopf.

      »Geht nicht, bei uns fällt die erste Stunde aus, die Biologielehrerin ist krank.«

      Das gefiel ihm nicht, doch da war nichts zu machen. »Schade, dann fahren wir eben zusammen nach Hause. Du hast doch auch zur sechsten Stunde aus, oder?«

      Das bestätigte Leonie, dann bedankte sie sich noch einmal, und ehe sie sein Zimmer verließ, verkniff sie es sich, sich noch einmal ans Klavier zu setzen, aber sie strich wenigstens behutsam über das schwarze Holz, dabei verspürte sie ein Gefühl, das Schmerz und Freude zugleich bedeutete.

      Vielleicht hätte sie vor lauter Ergriffenheit nun doch angefangen zu weinen, hätte Manuel sie nicht abgelenkt.

      Er brachte sie noch bis zu ihrem Fahrrad, und dann gab er ihr noch ein paar Anweisungen. So waren wohl alle Jungen, die mussten einfach wichtig sein.

      »Leonie, der Berg ist ziemlich steil. Unterschätze das nicht, und tritt auf die Rücktrittbremse, wenn es zu schnell wird. Versprichst du mir das?«

      Am liebsten hätte sie ihm gesagt, dass er nervte.

      »Ich verspreche


Скачать книгу