Der neue Sonnenwinkel Box 2 – Familienroman. Michaela Dornberg
Inhalt
Ein Scherbenhaufen im Paradies …
Danke für mein Leben, Roberta!
Es sollte ein geruhsamer, entspannter Abend werden. Das hatte die junge Ärztin Doktor Roberta Steinfeld sich bereits am Morgen vorgenommen. Und bislang sah es sehr gut aus, war alles perfekt gelaufen, angefangen von dem köstlichen Essen, das Alma für sie zubereitet hatte, eines ihrer Lieblingsgerichte Ochsenbrust mit Meerrettichsauce, dazu Wirsinggemüse und Bratkartoffeln.
Ihre Freundin Nicki sagte dann immer, dass es zum Niederknien sei. Das würde Roberta glatt unterschreiben.
Alma war ein Schatz, und Roberta konnte dem Himmel immer wieder danken, dass Alma Hermann auf ihren Weg gekommen war.
Das hatte wirklich so sein müssen. Alma schmiss ihren Haushalt nicht nur perfekt, sie war außerdem ein liebenswerter, sehr umgänglicher Mensch, und sie konnte einfach alles, ganz egal, ob in Haus oder Garten.
Roberta hatte es ja nicht so mit den Wundern, den Vorbestimmungen, den Zeichen. Dafür war ihre Freundin Nicki zuständig.
Doch dass sie damals einen Umweg genommen und Alma, obdach- und mittellos im Wald gefunden hatte, genau zu der Zeit, als in ihrem Haus alles über ihr zusammengebrochen war, dass war …, nun ja, schon sehr ungewöhnlich gewesen.
Es hatte einfach so kommen müssen. Und für beide war es eine Win-Win-Situation gewesen. Beide hatten sie ihre Probleme mit einem Schlag gelöst.
Jetzt hatte es sich Roberta auf ihrer Couch gemütlich gemacht. In eine feine camelfarbene Cashmeredecke eingehüllt, lauschte sie entspannender Musik und ließ ihre Gedanken wandern.
Sie war im Sonnenwinkel angekommen, mehr noch, sie war glücklich hier, anerkannt, beliebt. Sie hatte Freunde gefunden, und ihre Praxis florierte so gut, dass sie nicht alle Patienten annehmen konnte, die zu ihr wollten.
Wenn sie an ihre Anfänge dachte …
Als ihr alter Studienfreund Enno Riedel ihr die Praxis angeboten hatte, weil er mit seiner Familie nach Philadelphia auswandern wollte, hatte sie, ohne lange zu überlegen, zugegriffen. Ihr Leben lag damals in Scherben, sie hatte eine hässliche Scheidung hinter sich, bei der sie viele Federn lassen musste. Max hatte skrupellos beinahe alles an sich gerissen, sogar die große gut gehende Arztpraxis, die von ihr aufgebaut worden war und in der er nur hier und da aufgetreten war, um sich als Halbgott in Weiß zu präsentieren. Gearbeitet hatte sie, während er das von ihr verdiente Geld mit vollen Händen, zusammen mit seinen ständig wechselnden Gespielinnen, ausgegeben hatte. Wie dumm sie doch gewesen war, das so viele Jahre hinzunehmen. Er hatte sich ja wirklich an jede gut aussehende Frau herangemacht, die bei drei nicht auf den Bäumen war, und da hatte er selbst nicht vor Patientinnen halt gemacht. Ach Max, sie wollte nicht mehr an ihn denken, und wenn sie es tat, dann nicht mehr voller Schmerz, sondern voller Nichtbegreifen, wie es möglich gewesen war, auf diesen Blender hereinzufallen. Warum nur hatte sie ausgerechnet ihn genommen? Weil er sie als Erster gefragt hatte? Sie hatte an eine gute kameradschaftliche Gemeinschaft gedacht, er hatte sie offensichtlich als die gesehen, die das Geld nach Hause brachte.
Vorbei, warum dachte sie denn ausgerechnet jetzt an ihren Ex?
Weil das Ende mit ihm ihr Anfang hier im Sonnenwinkel gewesen war?
Vermutlich.
Anfangs hatte sie ja schon ihre Zweifel gehabt, ob dieser Schritt, hierher zu kommen, der richtige gewesen war, denn es waren keine Patienten gekommen, weil die dem guten Doktor Riedel nachtrauerten.
Das hatte zum Glück nicht lange gedauert, und sehr geholfen hatte ihr dabei, dass zufällig im Bild festgehalten worden war, wie sie einem kleinen Kind das Leben rettete.
Kaum zu glauben, wie lange das nun schon wieder her war. Auf jeden Fall war das der Durchbruch gewesen. Und von da an war es nur noch bergauf gegangen, und sie hatte es niemals bereut, sich hier niedergelassen zu haben.
Nun, ganz so stimmte das nicht.
Ihre Gedanken wanderten zu Kay Holl, wenn sie an den dachte, tat es immer noch ein wenig weh, auch wenn ihr längst klar war, dass es mit ihnen nichts geworden wäre.
Kay, dieser unverschämt gut aussehende, vollkommen in sich ruhende Mann, der alles hinter sich gelassen hatte, eine glänzende Karriere, sein altes etabliertes Leben, um ein freies, selbstbestimmtes Leben führen zu können. Im Sommer mit dem Bootsverleih am See, in der übrigen Zeit dort, wohin es ihn zog.
Er war ein Aussteiger, allerdings einer mit genügend Geld im Rücken.
Obwohl er jünger war als sie, hatte sie sich sofort in ihn verliebt, und auch ihm war es nicht anders ergangen. Und als sie in dieser unglaublichen Nacht voller Magie mit ihm geschlafen hatte …
Roberta seufzte, trank einen Schluck von dem köstlichen Rotwein.
Es war unbeschreiblich gewesen, und dennoch hatte sie sich davongeschlichen und ihm ein paar Zeilen hinterlassen. Dafür schämte sie sich noch immer. Sie hätte mit ihm reden sollen, doch dazu war sie zu feige gewesen, und jetzt war eh alles zu spät, denn Kay war gegangen, hatte den Bootsverleih einfach abgeschlossen, und auch wenn sie wusste, dass er sie ebenfalls liebe, hatte sie nichts mehr davon. Sein Brief, den er ihr zurückgelassen hatte, war schon ganz zerknittert.
Wenn sie daran dachte, wie vollkommen fertig sie gewesen war, diese Zeit mochte sie nicht noch einmal durchleben. Und jetzt sagte sie sich, dass es richtig gewesen war. Das mit ihr und Kay hatte ganz einfach keine Basis, und wenn die nicht stimmte, dann konnte man das auch nicht mit aller Liebe der Welt ausgleichen.
Sie liebte ihren Beruf über alles, und sie liebte auch ihr geordnetes, etabliertes Leben. Auch als Studentin hatte sie ihre Urlaube lieber geplant, statt einfach loszufahren.
Kay würde sie immer in ihrem Herzen behalten als eine wundervolle Erinnerung, beinahe als einen Traum.
Auch wenn es eine schmerzhafte Erfahrung gewesen war, so wusste sie jetzt auf jeden Fall, dass es sie wirklich gab, die ganz große Liebe …
Sie seufzte erneut.
Auch wenn es nicht für immer gewesen war, ein wenig länger hätte es schon dauern können.
Doch wären die weiteren Treffen ebenfalls so magisch gewesen?
Sie trank erneut einen kleinen Schluck Wein, dann kuschelte sich in ihre Decke ein, schloss die Augen.
Kay …
Sie sah ihn vor sich, hörte sein unbekümmertes Lachen.
Sie glaubte, seine Berührungen zu spüren, seine unglaubliche Nähe.
Ein forderndes Klingeln an ihrer Haustür ließ sie zusammenzucken und in die Wirklichkeit zurückfinden.
Wer mochte das sein?
Das Klingeln ignorieren, das ging nicht. Bei ihr brannte Licht, man konnte sehen, dass sie zu Hause war. Außerdem …, sie war Ärztin, es konnte ein Notfall sein, auch wenn sie nach dem Ärzteplan keinen Notdienst hatte.
Und da Alma nicht da war, sie hatte heute Proben beim Gospelchor musste sie selbst die Tür öffnen. Außerdem wäre Alma um diese Zeit längst in ihrer eigenen Wohnung, die sich im Seitentrakt des Hauses befand, was natürlich auch sehr vorteilhaft war.
Ein