Der neue Sonnenwinkel Box 2 – Familienroman. Michaela Dornberg
verbracht haben. Und an meiner Liebe wird sich auch nichts ändern, wenn ich in Australien bin. Ich bin noch so jung, und studieren kann ich immer noch. Aber die Chance, diesen Job zu machen, die bekomme ich so schnell nicht wieder. Mein Kumpel hat den Laden von seinem Onkel geerbt, und nun wollen wir etwas daraus machen. Diese Tauch- und Surfschule liegt an einem der schönsten Plätze der Welt. Ich habe dir doch gesagt, dass du mich jederzeit besuchen kannst. Australien wird dir gefallen.«
Sie wischte sich über die Augen.
»Kann ja sein, aber es ist trotzdem nirgendwo so schön wie im Sonnenwinkel. Wir haben auch an vielen schönen Plätzen Urlaub gemacht, aber ich war immer froh, wenn wir dann wieder zu Hause waren.«
Ja, das stimmte, Bambi war genau das, was man einen Nesthocker nannte.
Er versuchte, sie zu beruhigen, was allerdings nicht einfach war.
»Hannes, es ist schlimm, dass ausgerechnet du gehst, weil ich dich am liebsten habe. Du bist so anders als Jörg und Ricky und als ich. Man könnte ja fast glauben, dass du kein Auerbach bist so wie ich und die beiden.«
Gut, dass Bambi nicht sah, wie Hannes zusammenzuckte.
Er und kein Auerbach, das war er, durch und durch.
Aber Bambi …
Wenn die wüsste!
Er fand es unverantwortlich von seinen Eltern, dass sie es ihr noch immer nicht gesagt hatten, dass sie adoptiert war.
Bambi fühlte sich so sehr als eine Auerbach, und das war sie ja für alle auch. Ganz tief in ihren Herzen liebten sie Bambi, alle. Und es war ihre kleine Schwester, das bedeutete jedoch nicht, dass sie nicht die Wahrheit erfahren durfte. Im Gegenteil, sie hatte ein Recht darauf!
Er musste mit seinen Eltern sprechen, ehe ihnen irgendwann alles um die Ohren flog.
Er war nicht in der Lage, ihr jetzt etwas Unverbindliches zu sagen. Das musste er glücklicherweise auch nicht, denn Bambi warf sich in seine Arme und sagte lachend: »Natürlich bist du ein Auerbach, Hannes. Das war eben ein Spaß. Man muss uns zwei nur ansehen, dann sieht man, dass wir Geschwister sind. Und wir ähneln uns auch vom Charakter her am meisten. Bei dir ist nur anders, dass du so reiselustig bist. Aber vielleicht hast du das ja von Opi. Der verreist auch so gern.«
Hannes strich seiner Schwester, und das war sie für ihn ja auch, über die Locken, ehe er mit heiserer Stimme sagte: »Bambi, wir sollten jetzt hinunter und zu Mama in die Küche gehen. Ich weiß nämlich zufällig, dass sie meine Lieblingskekse gebacken hat. Und die magst du doch auch.«
»Die mit der Schokolade?«, wollte Bambi wissen, und als Hannes das bestätigte, vergaß Bambi ihren Schmerz, weil sie eine große Naschkatze war.
Gemeinsam kletterten sie vom Baumhaus herunter, das so viele wundervolle Erinnerungen barg, die ihnen niemand nehmen konnte.
Das Baumhaus stand für eine glückliche Kindheit, und es war schon toll, wenn man so etwas sagen konnte.
Unten angekommen, legte Hannes einen Arm um Bambis Schulter, und dann gingen sie gemeinsam auf das Haus zu.
Luna folgte ihnen, sie war beleidigt, weil sie diesmal nicht im Mittelpunkt stand.
Inge Auerbach holte gerade das zweite Blech mit nicht nur wunderbar aussehenden, sondern auch köstlich duftenden Keksen aus dem Backofen, als Hannes und Bambi einträchtig zu ihr in die Küche kamen.
Seit Hannes von seiner Weltreise zurück war, kochte Inge nicht nur all seine Lieblingsgerichte, nein, sie hatte die Kuchen gebacken, die er gern mochte und jetzt die Kekse, gewissermaßen als Abschiedsgeschenk.
Abschiedsgeschenk, das klang ganz furchtbar, und dennoch war es so. Hannes würde den Sonnenwinkel wieder verlassen.
Natürlich wusste Inge, dass sie durch all das, was sie tat, nichts verändern konnte. Wenn das so einfach wäre, würde sie Tag und Nacht backen und kochen, um ihren Sohn zum Bleiben zu bewegen.
Australien …
Surf- und Tauchlehrer …
Daran zu denken, dass das das zukünftige Leben ihres Sohnes sein würde, war für sie unerträglich. Man hatte doch für seine Kinder Träume, und Inge konnte sich nicht vorstellen, dass eine Mutter von so etwas träumte.
Sie und Werner hatten wirklich alles getan, um Hannes zur Vernunft zu bringen. Er hatte so viele Möglichkeiten, er konnte sogar ein Stipendium an der Columbia Universität in New York haben. Andere würden sich die Finger danach lecken, aber er schlug es in den Wind.
Vielleicht hätten sie ihn nach seinem Abitur nicht auf die Weltreise gehen lassen dürfen. Das hatte ihn irgendwie verdorben für ein normales, bürgerliches Leben.
Sie konnte nichts tun, Hannes war volljährig.
Aber in gewisser Weise war er dann doch noch ein Kind, denn wie er sich jetzt auf die Kekse stürzte und die in sich hineinstopfte, das war nun ganz und gar nicht erwachsen.
»Boooh, sind die lecker«, rief er mit vollem Mund. »Mama, du bist die Größte.«
Das ging natürlich herunter wie Öl, doch es machte sie auch ein wenig traurig, weil sie so etwas lange Zeit nicht mehr erleben würde. Hannes war derjenige von ihren Kindern, der seine Begeisterung am deutlichsten zeigen konnte. Das würde sie vermissen, auch sein Lachen, seinen Witz.
Am liebsten hätte Inge jetzt angefangen zu weinen und musste sich gewaltsam zusammenreißen, es nicht zu tun.
Sie vermisste Hannes jetzt schon, dabei war er noch nicht einmal weg.
Da beide Kakao haben wollten, kochte sie den rasch, und sie verkniff sich, für sich selbst einen Kaffee zu kochen. Sie war aufgeregt genug.
Schließlich genossen Bambi und Hannes ihren Kakao, und sie langten auch bei den Keksen ordentlich zu, aber eine Unterhaltung wollte so recht nicht aufkommen. Inge sah, dass Bambi geweint hatte, und sie konnte sich schon denken weswegen. Bambi litt am meisten unter der Situation. Als Kinder waren sie unzertrennlich gewesen. Und wie glücklich war Bambi gewesen, als ihr geliebter Bruder zurückgekommen war.
Aber was war mit Hannes los?
Der machte einen nachdenklichen Eindruck, sah sie hier und da an.
Wollte er ihr etwas sagen?
Etwa, dass er es sich anders überlegt hatte?
Sie musste es wissen.
»Bambi, wenn du willst, kannst du den Großeltern ein paar Kekse bringen«, sagte sie, und diese Idee griff Bambi begeistert auf. Ihr Kakaobecher war leer, es passten keine Kekse mehr in sie hinein, und sie wusste, dass die Großeltern sich sehr freuen würden.
Sie füllte eine Schale mit Keksen, rief: »Bis später«, dann trollte sie sich, und Luna, wie konnte es anders sein, lief ihr hinterher. Nicht ganz uneigennützig, sie hoffte darauf, dass vielleicht ein Keks für sie abfallen würde. Labradore sind ganz liebenswerte Hunde, aber sie haben eine Eigenschaft: … Sie sind unglaublich verfressen.
Als Inge sicher sein konnte, dass Bambi das Haus verlassen hatte, um nach nebenan zu gehen, wandte sie sich ihrem Sohn zu, der noch immer am Tisch saß und von den Keksen einfach nicht genug bekommen konnte.
»Ist etwas, Hannes?«, erkundigte Inge sich und schaute ihren Sohn voller Wohlgefallen an. Er war schon ein toller Typ, ihr Jüngster.
Hannes legte seinen angebissenen Keks weg, dann nickte er und sagte: »Ja, Mama, da ist etwas, etwas was mich sehr beunruhigt.«
Und dann erzählte er seiner Mutter, was sich im Baumhaus ereignet hatte.
»Sie identifiziert sich so sehr damit, eine Auerbach zu sein, sie sieht Ähnlichkeiten, wo keine sind. Je länger ihr schweigt, umso schlimmer wird es für sie, die Wahrheit zu erfahren und damit, dass sie keine Auerbach ist. Mama, ihr habt uns dazu erzogen, offen und ehrlich zu sein, immer die Wahrheit zu sagen, auch wenn sie nicht angenehm ist. Warum eiert ihr bei Bambi so herum? Ich bete zu Gott, dass sie es nicht von anderer Seite erfährt, dass …«