Der neue Sonnenwinkel Box 2 – Familienroman. Michaela Dornberg
bitter.
Warum sagte sie jetzt nichts, fragte er sich und wurde immer unruhiger. Max zerrte nervös an seinem Hemdkragen. Auf sie hatte er all seine Hoffnung gesetzt, wie es eigentlich immer gewesen war. Wenn jemand, dann konnte Roberta die Kuh vom Eis holen.
»Roberta, ich …, nun, äh …, ich war ziemlich unfair dir gegenüber. Tut mir leid. Ich bin bereit, mit dir zu teilen. Mehr noch, du kannst den Großteil von allem haben. Stell deine Forderungen. Ich tue alles, wenn du nur zurückkommst, um die Praxis vor dem Ruin zu bewahren, sie zu retten. Nur du kannst das, und vielleicht …, nun, vielleicht wird es ja auch noch mal etwas mit uns. Ich habe dir ja schon gesagt, dass es dumm war, sich scheiden zu lassen. Wir waren ein so tolles Team. Ich verspreche dir auch, nicht mehr über die Dörfer zu ziehen.«
Es war unglaublich, Roberta hatte das Gefühl, in einem grottenschlechten Film zu sein. Sie hielt sich gequält die Ohren zu.
»Max, sag nichts mehr«, sagte sie schließlich, »mache es bitte nicht noch peinlicher. Es geht doch überhaupt nicht um mich. Du willst deine Haut retten, und dafür ist dir jedes Mittel recht. Zu spät, Max. Das war früher einmal so, dass ich immer für all deine Eskapaden hergehalten habe. Wir sind geschieden, ich habe weder mit dir noch mit der Praxis etwas zu tun, die du um jeden Preis haben wolltest. Und was uns beide betrifft …, dich möchte ich nicht einmal geschenkt haben, und alles, was du in deiner Gier an dich gerissen hast, behalte es. Ich brauche es nicht. Ich komme hier sehr gut zurecht, und ich bin glücklich hier. Bitte, tue mir einen Gefallen und geh, und komme bitte nicht noch einmal einfach hierher. Ich möchte nicht eine einstweilige Verfügung gegen dich erwirken lassen.«
Er starrte sie an.
»Das … das würdest du tun …? Gegen … gegen deinen Mann?«, stammelte er.
Er war so jämmerlich, dass er einem beinahe leidtun konnte. An so etwas dachte sie allerdings nur ganz kurz. Er hatte sie zu sehr verletzt, er hatte sein Ding gemacht, ohne Rücksicht auf Verluste. Sie war ihm nichts schuldig.
»Exmann«, sagte sie betont, »wir haben nichts mehr miteinander zu tun, und jetzt bitte ich dich zu gehen. Du hast mir den Abend verdorben.«
Er konnte es nicht glauben. Es ging nicht nur um seine Existenz, sondern sein Ego vertrug eine solche Abfuhr nicht. Er war schließlich Doktor Max Steinfeld!
Er versuchte es erneut, zog alle Register.
Roberta stand, weil sie es nicht länger ertragen konnte, einfach auf.
»Max, wenn du magst, trink dein Glas leer, und dann möchte ich dich gern, sehr gern sogar, hinauslassen.«
Sie sah so entschlossen aus, ihre Stimme hatte so emotionslos geklungen, dass er überhaupt keine andere Wahl hatte.
Wütend stand er auf.
»Du wirst sehen, was du davon hast«, drohte er, doch das prallte an ihr ab. Auch das gehörte zu ihm, wenn er nicht erreichte, was er wollte, dann wurde er unsachlich, drohte er.
Sie antwortete nicht, ging durchs Wohnzimmer, hinaus in die Diele, und dort öffnete sie die Haustür.
Wenn Blicke töten könnten, dann wäre sie jetzt eine Leiche. Wenn es nach ihr gegangen wäre, dann hätte sie sich jetzt sogar noch von ihm verabschiedet, doch dazu kam es nicht.
Er stürmte an ihr vorbei, und sie hörte, ganz deutlich vernehmbar, wie er sagte: »Du dusselige Langweilerin, was bildest du dir eigentlich ein? Was glaubst du, wer du bist? Noch mal fällt kein Mann auf dich herein.«
Er rannte durch den Vorgarten, riss das Tor auf, schmiss es hinter sich zu, dann lief er über die Straße zu seinem Auto, und wenig später brauste er davon.
Roberta war wie gelähmt.
Es dauerte eine ganze Weile, ehe sie wieder in der Lage war ins Haus zurückzugehen.
Sie fühlte sich traurig. Doch es waren nicht seine Worte, die dafür verantwortlich waren. Nein, ungute Gefühle kamen in ihr hoch. Und sie musste sich erneut die Frage stellen, wie sie auf diesen Mann hereinfallen konnte. Und, wenn sie ehrlich war, dann schmerzte es sie schon sehr, dass ihr Lebenswerk in die Brüche ging.
Es hätte ein so schöner Abend werden sollen, der auch verheißungsvoll angefangen hatte.
Max hatte es ihr verdorben. Eigentlich dürfte sie sich darüber nicht wundern, weil es schließlich nicht das erste Mal war.
*
Bambi Auerbach saß an ihrem Schreibtisch und kritzelte in ihrem Heft herum. Eigentlich sollte sie ihre Hausaufgaben machen, aber sie konnte sich einfach nicht konzentrieren.
Dabei ging es um Physik, und das war eines ihrer Lieblingsfächer.
Es hatte keinen Sinn. Sie konnte sich nicht konzentrieren. Sie stand auf, rannte aus ihrem Zimmer, rannte hinaus in den Garten, und dann kletterte sie auf das Baumhaus hinauf, das ihre Eltern für sie und Hannes hatten bauen lassen, nachdem sie in den Sonnenwinkel gezogen waren.
Ein Baumhaus …
Das war ihr Traum gewesen, und es waren ganz wundervolle Zeiten gewesen, die sie dort mit Hannes verbracht hatte.
Tränen liefen über ihr Gesicht, als sie sich in eine Ecke kauerte.
Sie hatte es verdrängt, doch jetzt war es so weit, in ein paar Tagen würde Hannes abreisen. Nach Australien. Weiter ging es ja wohl nicht. Dabei war er doch gerade erst wiedergekommen. Beinahe ein Jahr war er unterwegs gewesen. Reichte das denn nicht? Es konnte doch nirgendwo so schön sein wie im Sonnenwinkel.
Es war schrecklich gewesen, dass er so lange unterwegs gewesen war, sie hatten Angst um ihn gehabt, weil auf einmal der Kontakt abgebrochen war, und dann stand er vor ihnen, gesund, munter, voller Tatendrang. Und sie war so glücklich gewesen, ihren Hannes wiederzusehen, um den ihre Freundinnen sie glühend beneideten. Er sah aber auch gut aus mit seinen langen Haaren, dem Bart, dem verwegenen Gesichtsausdruck. Wie ein Pirat, wie ein Eroberer.
Jetzt musste sie richtig weinen.
Wie konnte denn jemand, der ein Abitur mit einer glatten Eins gemacht hatte, im fernen Australien als Surf- und Tauchlehrer arbeiten?
Bambi gab sich ganz ihrem Jammer hin, und als unten Luna bellte, weil sie bespielt werden wollte, reagierte Bambi nicht. Und das bedeutete etwas. Sie und Luna gehörten zusammen, und es war beinahe so wie damals mit ihrem Jonny. Aber jetzt hätte sie nicht einmal Jonny gebraucht, wenn der noch lebte. Sie wollte nur allein und traurig sein.
Sie war so in ihren Schmerz versunken, dass sie überhaupt nicht mitbekam, wie jemand zu ihr hochgeklettert kam, sich ihr näherte.
Erst als eine Hand ihre Schulter berührte, sich jemand neben sie setzte, zuckte sie zusammen.
Es war Hannes.
Ihn so nahe zu haben, zu wissen, dass es in Kürze vorbei sein würde, löste einen erneuten Tränenstrom in ihr aus.
Hannes zog seine kleine Schwester an sich.
»Hey, Prinzessin, was ist los, warum weinst du?«
Sie antwortete nicht.
Und er ließ nicht locker.
»Bambi, wir haben uns immer alles gesagt, und es macht mich traurig, wenn das jetzt nicht mehr so sein soll.«
Hannes durfte nicht traurig sein, es reichte doch schon, dass sie es war.
»Ich …, ich möchte nicht, dass du nach Australien fliegst, das ist so weit, und du warst doch schon so lange weg. Warum studierst du nicht hier in der Nähe?«
Was sollte er dazu noch sagen? Darüber hatten sie bereits mehr als nur einmal geredet. Und es ging nicht in ihren Kopf hinein, weil sie sich nicht vorstellen konnte, dass Menschen anderswo als im Sonnenwinkel leben konnten. Er sagte erst einmal nichts, und prompt kam von ihr: »Oder liebst du uns nicht mehr? Die Mami den Papi, die Omi, den Opi …, die Ricky, den Jörg, die …«
Ehe sie jetzt anfing, auch noch seine Nichten und Neffen aufzuzählen, unterbrach er