Butler Parker 128 – Kriminalroman. Günter Dönges
als Augenzeugin.«
»Darf man mehr erfahren, Miß Porter?« Parker schaltete die Zusatzanlage ein, damit Mylady mithören konnte.
»Hier wurde ein Supermarkt überfallen«, berichtete Kathy Porter. »Die Täter haben rund fünfzehntausend Pfund erbeutet und während der Flucht einen Angestellten niedergeschossen. Der Mann liegt mit einer bösen Verletzung im Hospital.«
Agatha Simpson war inzwischen aufgestanden.
Sie griff nach der Karaffe und tat noch etwas für ihren Kreislauf. Sie kam auf Parker zu und ließ sich den Hörer geben.
»Sind die Täter erkannt worden, Kindchen?« fragte sie.
»Es waren zwei Männer, Mylady«, gab Kathy Porter zurück. »Guten Morgen, Mylady!«
»Keine Nebensächlichkeiten«, sagte die Detektivin. »Ich habe doch richtig gehört, nicht wahr? Ein Supermarkt ist ausgeraubt worden?«
»Von zwei Tätern, die weiße Kittel trugen, Mylady. Sie kamen ganz dicht an mir vorbei, aber ich konnte nichts machen, sie trugen Maschinenpistolen.«
»Kommen Sie erst wieder zurück, wenn Sie alles wissen«, drängte Agatha Simpson. »Ich brauche jede Einzelheit. Es handelt sich nämlich um einen neuen Fall.«
»Mylady sind an diesem Überfall interessiert?«
»Und ob, Kindchen, und ob! Sie werden Augen machen, wenn Sie erfahren, was sich hier zugetragen hat. Mir kommt da gerade ein Gedanke. Kehren Sie nicht hierher zurück ins Haus, nehmen Sie die kleine Zweitwohnung! Man braucht nicht zu wissen, daß wir zusammenarbeiten.«
»In Ordnung, Mylady«, gab Kathy burschikos zurück. Sie wußte, wie sie sich zu verhalten hatte. »Demnach bin ich dann also schon seit Wochen nicht mehr bei Ihnen.«
»Richtig, Kindchen. Sie haben wieder mal silberne Löffel gestohlen oder Schecks gefälscht. Sie kennen ja Ihre Rolle. Würden Sie die beiden Subjekte wiedererkennen?«
»Natürlich, Mylady. Einer von ihnen kam mir sogar bekannt vor. Ich muß ihn schon mal in London gesehen haben.«
»Sehr schön, Kindchen, sehr schön.« Agatha Simpson glühte vor Eifer. Ihr Kreislauf war sichtlich in Bewegung geraten. »Tun Sie Ihr Bestes, aber bringen Sie sich nicht unnötig in Gefahr!«
Agatha Simpson legte auf und wandte sich ihrem Butler zu, dessen Gesicht verschlossen und unbeweglich wie eine Maske war.
»Ihnen paßt mal wieder einiges nicht, wie?« fragte sie spöttisch.
»Eine Kritik an Myladys Maßnahmen steht meiner bescheidenen Wenigkeit nicht zu«, erwiderte Parker würdevoll.
»Verstehen Sie denn nicht?« Agatha Simpson war bester Laune. »Wir haben es mit einer Großbande zu tun! Diesem McWarden werde ich mal zeigen, wie man einen Kriminalfall löst!«
*
Kathy Porter, fünfundzwanzig, mittelgroß und schlank, war eine pikante Erscheinung, die man nicht übersah.
Normalerweise erinnerte sie an ein etwas scheues Reh, doch dies täuschte. Sie schlüpfte ganz nach Belieben in jede Frauenrolle und war wandlungsfähig wie ein Chamäleon. Sie brauchte nur wenige Hilfsmittel, um sich zu verändern.
Sie war eine mehr als gelehrige Schülerin des Butlers. Erfahren in allen Künsten der Selbstverteidigung, scheute sie kaum ein kalkulierbares Risiko. Wenn es sein mußte, verwandelte sie sich in eine Pantherkatze. Judo, Karate und Kendo beherrschte sie erstklassig, darüber hinaus kannte sie sich aber auch in vielen Tricks aus, die ein gewisser Josuah Parker ihr beigebracht hatte. Sie konnte ein billiges Mädchen des horizontalen Gewerbes vortäuschen, um wenig später als arrogant-gelangweilte Dame der Gesellschaft aufzutreten. Zwischen diesen beiden Polen beherrschte sie jede erforderliche Nuance.
Im Moment war sie die normale Kathy Porter, also das zurückhaltende, ein wenig scheu aussehende Reh. Sie hatte die Telefonzelle verlassen, von wo aus sie Lady Simpson angerufen hatte. Kathy Porter trug einen Trenchcoat, flache Schuhe und eine Schultertasche. Sie schien nicht zu ahnen, wie pikant sie selbst in dieser einfachen Aufmachung aussah.
Sie war hier in Brighton, um die Geschäftsbücher einer karitativen Organisation zu überprüfen. Diese Organisation hatte sich an eine von Myladys Stiftungen gewandt und um finanzielle Hilfe gebeten. Agatha Simpson gab zwar reichlich und gern, doch sie wollte wissen, wie ihr Geld verwendet wurde. Da Kathy eine bilanzsichere Buchhalterin war, war sie übers Wochenende ans Meer gefahren.
Das Gespräch mit ihrer älteren Dame hatte sie amüsiert. Lady Simpson war also wieder mal auf der Spur eines Verbrechens. Kathy Porter kannte das. Die Detektivin witterte stets und überall geheimnisvolle Zusammenhänge. Und sie träumte davon, eines Tages einen Kriminal-Bestseller zu schreiben. Sie wollte eine gewisse Agatha Christie in den Schatten stellen und der Welt zeigen, wie ein echter Kriminalroman aussah.
Kathy Porter schaute auf ihre Uhr.
Sie hatte noch Zeit, bis sie zur Polizeistation gehen konnte. Sie war um elf Uhr mit den Beamten verabredet. Kathy schlenderte hinunter zur Seepromenade und ließ sich den frischen Wind um die Nase wehen. Sie hatte das kurze Gespräch mit Agatha Simpson schon wieder vergessen.
Sie schaute kurz zur Seite, als neben ihr ein mittelgroßer Mann erschien, der etwa vierzig Jahre alt war. Er hatte ein rosiges Gesicht, trug eine Sonnenbrille und schnaufte ein wenig.
»Fein, daß ich Sie treffe«, sagte er und lächelte.
»Sie verwechseln mich bestimmt«, erwiderte Kathy, die an nichts Böses dachte.
»Nee, ganz sicher nicht. Sie waren doch im Supermarkt, oder? Ich meine, als der Laden überfallen wurde.«
»Das ist richtig. Sind Sie von der Polizei?« Kathy Porter war hellhörig geworden, doch sie tat naiv und ahnungslos.
»Ich glaube, man wird Ihnen gleich ’ne Reihe von Fotos vorlegen, Miß«, redete der Mann freundlich weiter. »Kann sein, daß Sie da ein Gesicht aus dem Supermarkt wiedererkennen.«
»Doch, ich habe mir die Gesichter der beiden Täter genau eingeprägt«, gab Kathy übertreibend zurück. »Ich denke schon, daß ich sie wiedererkennen würde.«
»Das klingt aber gar nicht gut für Sie, Miß.«
Während er noch sprach, überholte er sie mit einem halben Schritt und baute sich so auf, daß ihr der Weg versperrt wurde.
Normalerweise hätte Kathy sich so etwas nachdrücklich verbeten, doch wie gesagt, sie war hellhörig geworden.
»Wer... wer sind Sie?« fragte sie und tat ängstlich.
»Mein Name tut nichts zur Sache, Kleines.« Er schätzte sie so ein, wie sie sich gab. Er hielt sie tatsächlich für scheu und ängstlich. »Und mein Gesicht solltest du möglichst schnell wieder vergessen. Habe ich mich klar ausgedrückt?«
»Ich... ich verstehe überhaupt nichts, was ...«
»Du weißt wahrscheinlich überhaupt nicht, wie hübsch du aussiehst«, schickte er ehrlich voraus. »Schön, das ist deine Sache, Hübsche. Aber ich kann mir nicht vorstellen, daß du gern mit Schnittnarben im Gesicht herumlaufen möchtest, oder?«
»Aber nein, wirklich nicht.« Sie sah ihn aus vor Angst weit geöffneten Augen an.
»Siehst du, Hübsche, und genau das wird dir passieren, wenn du nachher auf der Polizeistation Gesichter wiedererkennst. Ist denn jetzt der Groschen gefallen?«
»Sie meinen ...?« Kathy holte tief Luft und mimte Verstehen.
»Na also, Hübsche, ich wußte doch, daß du kapieren würdest.« Er griff in die Tasche seines leichten Regenmantels und zog ein Rasiermesser hervor. »Mit dem Ding hier, Hübsche, kann man alles in Streifen schneiden. Zum Beispiel auch Gesichter.«
»Ich... ich soll also kein Gesicht wiedererkennen?«
»’n bißchen schwer von Begriff, wie?« Er lachte fast jovial auf, um dann aber zu nicken. »Das trifft