Butler Parker 105 – Kriminalroman. Günter Dönges
getragen hatte – war groß und breitschultrig. Er wirkte ein wenig beschränkt. Der zweite Mann hingegen behagte Kathy überhaupt nicht. Er war mittelgroß, schlank und litt noch eindeu-tig unter dem Kniestoß, den sie ihm versetzt hatte. Seine Augen rissen ihr die Kleider vom Leib, waren in ununterbrochener Bewegung und gehörten einem Menschen, der mit Sicherheit ein Sadist war.
*
„Ihre Ruhe möchte ich haben, Mr. Parker.“
Lady Agathas Stimme grollte verärgert. Sie hatte sich hinter ihrem Butler aufgebaut und räusperte sich nachdrücklich.
„Mylady?“ Parker wandte sich höflich um und wußte, was ihm blühte. Agatha Simpson hatte sich in der Zwischenzeit umgekleidet und machte einen äußerst unternehmungslustigen Eindruck. Sie trug ein derbes Tweed-Kostüm, flache Wanderschuhe und einen Hut, der an den Südwester eines Segelschiffkapitäns erin-nerte. An ihrem linken Handgelenk baumelte der Pompadour, diesmal allerdings handelte es sich um eine wettersichere Ausführung. Der Pompadour war ein Lederbeutel, der neben Myladys „Glücksbringer“ noch einige andere nützliche Utensilien enthielt.
„Worauf warten Sie noch?“ grollte die Detektivin.
„Mylady haben bestimmte Pläne?“
„Wir werden nach Kathy suchen“, ordnete die walkürenhafte Dame energisch an. „Ich erwarte, daß wir in weniger als drei Minuten losfahren können.“
„Wie Mylady wünschen.“ Widerspruch war sinnlos, das wußte der Butler seit geraumer Zeit. Wenn Lady Agatha sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, war sie auch nicht mehr von einem Kampfpanzer zu bremsen. Parker griff nach seinem schwarzen, knielangen Covercoat, der im Vorflur an der Garderobe hing, setzte die schwarze Melone auf und versorgte sich mit seinem altväterlich gebundenen Universal-Regenschirm. Nach insgesamt zwei Minuten saß er am Steuer seines hochbeinigen Monstrums, während Mylady im Fond des ehemaligen Londoner Taxis Platz genommen hatte. Sie machte einen äußerst zufriedenen Eindruck, denn endlich gab es für sie etwas zu tun. Vielleicht war sie aber auch nur erleichtert, daß sie nicht mehr vor der Schreibmaschine zu sitzen brauchte.
Die Fahrt durch das dunkle, regenüberflutete London war erstaunlich problemlos, der Verkehr geradezu harmlos. Schon nach einer halben Stunde hatten sie die Ausfallstraße Nr. 30 erreicht.
„Wollen Sie an einem Wettrennen für Schnecken teilnehmen, Mr. Parker“, erkundigte Lady Agatha sich vorwurfsvoll, „oder soll ich das Steuer übernehmen?“
Josuah Parker bekam fast so etwas wie einen elektrischen Schlag, als Mylady diese Ankündigung vom Stapel ließ. Er kannte die einmalige Fahrkunst der unternehmungslustigen Dame. Dennoch war er der An-sicht, auf die schlechte Sicht der Straßenverhältnisse hinweisen zu müssen. Er machte auf die Gefahren des Aquaplaning aufmerksam und deutete an, man könne unter Umständen von der Straße fliegen.
„Ich denke, Sie haben Ihr Pilotenexamen“, war Myladys grollende Antwort. „Verschonen Sie mich mit diesen unwesentlichen Kleinigkeiten, ich bitte mir etwas mehr Tempo aus, Mr. Parker!“
Bruchteile von Sekunden später wurde Lady Agatha sehr nachdrücklich in ihren Sitz zurückgeworfen, denn Parker hatte wunschgemäß Gas gegeben.
*
Pete Malbert war ein Stromer, Trinker und Schnorrer.
Der Mann, etwa 50 Jahre alt und klein, hatte ein gedunsenes Gesicht und eine rote Schnapsnase. Pete schlug sich mehr schlecht als recht durchs Leben, machte lange Finger, wo die Gelegenheit sich bot, hatte schon ein paar Jahre gesessen und war im Grunde harmlos.
In diesen Minuten fühlte er sich prächtig.
Er hatte sich eigentlich schon seit langem gewünscht, wieder mal am Steuer eines Wagens sitzen zu kön-nen. Der letzte Versuch war böse für ihn ausgegangen und hatte ihn ein halbes Jahr Gefängnis gekostet, doch das lag inzwischen schön gut ein Jahr zurück.
Er war bis auf die Haut durchnäßt und dampfte aus allen Poren. Er hatte die Wagenheizung des Mini-Cooper voll aufgedreht, das Radio eingeschaltet und fuhr in Richtung London. Den Mini-Cooper hatte er sich „entliehen“, wie er es ausgedrückt hätte. In der Handtasche, die auf dem Beifahrersitz lag, hatte er 20 Pfund entdeckt und sofort eingesteckt, ganz zu schweigen von den Münzen. Er verfügte über ein Vermö-gen und war bereit, es in London so schnell wie möglich durchzubringen. Er gierte nach Bier und Whisky.
Pete Malbert hatte den Unfall bis ins letzte Detail genau mitbekommen, doch schon halb wieder verges-sen. Daran war eine Flasche Wermut schuld, deren Inhalt durch seine Adern kreiste. Diese Flasche hatte er unter dem Bogen einer schmalen Bachbrücke geleert.
Die 20 Pfund waren wichtiger als der ganze Unfall.
Pete fingerte nach den Scheinen in seiner linken Rocktasche und steuerte den Mini-Cooper über die leere, kurvenreiche Straße. Er gratulierte sich zu seinem Glück, diesen Wagen oben auf der Straße entdeckt zu haben. Die langen Meilen bis nach London waren für ihn keine Strecke mehr. Er hatte sich vorgenommen, den Wagen gleich an der Peripherie der Stadt sehenzulassen. Ärger mit der Polizei wollte er nicht haben. Er kannte sich da aus.
Sein Fahrstil war nicht besonders gut.
Der Wermut hatte die Schärfe seines Blicks leicht gestört, der Alkohol beflügelte ihn, in sanften Schlan-genlinien zu fahren. Dennoch war Pete heiter und vergnügt, bis plötzlich aus einer Kurve die grellen Licht-finger voll aufgedrehter Scheinwerfer hervorstachen.
Pete Malbert reagierte prompt falsch.
Er kurbelte am Steuerrad, als müsse er einen schweren Raddampfer bewegen, kam von der Straße ab und schlitterte auf eine weite Wiese, nicht ohne vorher noch einen soliden Weidezaun in Stücke zu fahren.
Nach dieser Anstrengung legte Pete Malbert sich mit seinem Oberkörper über das Steuerrad und schlief ein. Er hatte sich nichts getan, doch er war plötzlich sehr müde.
*
„Wo steckt Burt Lister?“ fragte der Mann mit dem beiläufigen Ton eines Partyteilnehmers. Seine kleinen, flinken Augen glitten über Kathy, die verständnislos den Kopf schüttelte.
„Ich kenne keinen Lister“, erwiderte sie wahrheitsgemäß. „Sie müssen mich verwechseln. Ich bin doch nur runter zum Wagen gelaufen, um der Insassen zu helfen.“
„Haben wir uns da nicht ’ne prima Märchentante eingefangen?“ Der Mittelgroße mit den wieselflinken Augen wandte sich an seinen breitschultrigen Partner und lächelte dünn. Dann widmete er sich wieder Ka-thy, kam näher und beugte sich über sie. „Wohin wollte Lister, Süße? Wenn du scharf drauf bist, kitzel’ ich das auch aus dir raus. Es soll mir ein Vergnügen sein.“
Zur Unterstreichung seiner Worte holte er ein Rasiermesser aus der Ziertuchtasche seines Jacketts und klappte es auf. Er prüfte die Schneide sorgfältig mit seinem Fingernagel.
Während dieser Prozedur verzog der Breitschultrige sein Gesicht. Er machte einen durchaus angewiderten Eindruck und schien mit den Methoden seines Partners überhaupt nicht einverstanden zu sein.
Kathy überlegte blitzschnell.
Sie wirkte nach außen hin zwar wie ein scheues Reh, war in Wirklichkeit aber eine junge Frau, die sich ihrer Haut zu wehren wußte. Sie hatte in der Vergangenheit schon manches Abenteuer durchgestanden und wußte, wie man sich in einem solchen Fall verhalten mußte.
Die beiden Entführer verwechselten sie offensichtlich.
Es war sinnlos, ihnen das Gegenteil einreden zu wollen, sie hätten ihr doch kein Wort geglaubt Also muß-te sich Kathy Porter einiges einfallen lassen.
„Wir … wir wollten nach Staines“, schwindelte sie munter drauflos und wich ängstlich vor dem Rasier-messer zurück. „Burt wollte mir sein neues Cottage zeigen.“
„Ach nee!“ Der Schlanke war ehrlich überrascht.
„Und wo genau?“ warf der Breitschultrige ein.
„Das weiß ich nicht es sollte ja eine Überraschung werden“, redete Kathy unbekümmert