Animus. Astrid Schwikardi

Animus - Astrid Schwikardi


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      Schweigend sah Mark dabei zu, wie Natalie Heidkamp die Beine ihrer Mutter auf die Couchlehne legte und ihr über das Gesicht streichelte. Er fühlte sich wie bestellt und nicht abgeholt. Zu seiner Verwunderung brachte Dahlmanns Tochter sogar Verständnis für ihn auf. Mit einem Lächeln auf den Lippen sah sie ihn an. „Es ist nicht Ihre Schuld, Herr Birkholz. Meine Mutter kollabiert in letzter Zeit öfters. Die Trennung von meinem Vater setzt ihr wahrscheinlich mehr zu, als sie sich selbst eingestehen möchte.“

      Er betrachtete die Frau, die seit wenigen Minuten auf dem Sofa lag und zu schlafen schien.

      „Ich glaube, es ist besser, wenn Sie jetzt gehen.“

      Mark nickte zwar, doch hatte er nicht im Geringsten vor zu gehen, zumal er das Gefühl nicht loswurde, dass die Tochter ihm etwas verheimlichte. Allein deshalb würde er bleiben. So lange, bis er herausgefunden hatte, was genau sie ihnen verschwieg. Nachdenklich musterte er Natalie Heidkamp. Danach wanderte sein Blick zu Christine Dahlmann. Er traute seiner Wahrnehmung kaum, als er sah, wie sie in Windeseile ihre Augen wieder schloss. Eine gewisse Ungläubigkeit rührte sich in ihm, und er versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. Stattdessen richtete er seine Aufmerksamkeit auf einen Beistelltisch und schielte unauffällig zur Mutter, die jetzt langsam die Augen wieder öffnete.

      „Und Sie wissen nicht, was zwischen Ihren Eltern vorgefallen ist?“

      Natalie Heidkamp wirkte nervös. Unruhig trat sie von einem Bein aufs andere, bedachte ihre Mutter mit einem flüchtigen Blick, ehe sie sich Mark bis auf wenige Zentimeter näherte. „Ich habe ihr versprochen, nichts zu sagen. Selbst mein Mann weiß nichts davon“, flüsterte sie ihm ins Ohr.

      Er nickte mit verständnisvoller Miene. Die Tochter schien zu überlegen und fügte dann hinzu: „Vor ein paar Monaten hat meine Mutter etwas erfahren, was ihr den Boden unter den Füßen weggezogen hat. Sie hat es die ganze Zeit für sich behalten, bis sie es mir schließlich vor ein paar Wochen anvertraut hat.“

      „Von was genau reden Sie?“, wollte Mark wissen.

      Die Tochter zog ihn in den Flur und schaute um die Ecke. „Damit das klar ist: Alles, was ich Ihnen jetzt erzähle, wissen Sie nicht von mir. Nur für den Fall, dass meine Mutter fragt.“

      Er deutete ein Kopfnicken an.

      „Vor über dreißig Jahren hatte mein Vater eine Affäre. Und die muss wohl nicht so glimpflich abgelaufen sein wie die anderen, die danach kamen“, rückte sie mit der Sprache raus.

      Mit einem nachdenklichen Gesichtsausdruck sah er sie an. „Ihr Vater hat ein uneheliches Kind?“

      Natalie Heidkamp nickte kaum merkbar. „So wie es aussieht, werde ich mir wohl oder übel mein Erbe mit einem unbekannten Mann teilen müssen.“

      „Nannte Ihre Mutter auch einen Namen?“

      Sie seufzte. „Herr Birkholz, meiner Mutter ist die Familie heilig. Fast ihr halbes Leben hat sie mir eine intakte Familie vorgespielt und hat wahrscheinlich bis zum Schluss gehofft, dass mein Vater endlich zur Vernunft kommt und mit seinen ständigen Affären aufhört.“

      „Aber ein uneheliches Kind war dann zu viel für sie“, stellte Mark fest.

      „Sieht zumindest so aus. Und nur für den Fall, dass meine Mutter fragt: Überlegen Sie sich schon mal eine gute Ausrede, wie Sie an den Namen des Mannes gekommen sind.“

      „Sie haben mein Wort.“

      „Er heißt Daniel Hofberg und ist ein erfolgreicher Bauingenieur hier in Köln.“

      Es war bereits dunkel, als Maja und Mark zurück zum Polizeipräsidium fuhren. Mark wollte sich dort mit seinem Kollegen Stefan Rauhaus treffen und mit ihm zum Anwesen der Dahlmanns fahren. Von Natalie Heidkamp hatte er den Haustürschlüssel zum Wohnhaus ihrer Eltern erhalten, nachdem er sie darum gebeten hatte, mit ihm zum Anwesen zu fahren. Aus fadenscheinigen Gründen hatte sie allerdings abgelehnt.

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      In unmittelbarer Nähe des Präsidiums hielt Mark an und stellte den Motor ab. Er sprach mit Maja noch über die Geschehnisse im Haus der Heidkamps und überlegte gerade, wie sie nun am besten vorgehen sollten, als Maja plötzlich ungeduldig wurde und mehrmals auf die Uhr sah. Er hatte den Eindruck, als wenn sie etwas sagen wollte, doch stattdessen öffnete sie die Wagentür und stieg aus.

      „Maja?“

      Ihr Kopf schnellte in seine Richtung. Fragend sah sie ihn an.

      „Wolltest du noch was sagen?“

      „Ich? Nein. Wobei … Doch eigentlich schon, aber ich weiß nicht, wie das bei dir ankommt.“

      „Was meinst du?“

      „Ich hatte so eine blöde Idee.“

      „Und die wäre?“

      „Es ist so … Eigentlich wollte ich am Samstag mit einer Freundin ins Theater gehen, allerdings ist sie gestern spontan in den Urlaub geflogen …“

      Ein breites Lächeln legte sich über seinen Mund.

      „Du brauchst gar nicht so dämlich zu grinsen. Ich wusste gleich, dass das eine Schnapsidee ist.“

      „Nein. Überhaupt nicht. Ich liebe Theater“, schwindelte er.

      „Wirklich? Das hätte ich jetzt nicht gedacht. Willst du denn nicht wissen, in welches Stück wir gehen?“

      Er schüttelte seinen Kopf. „Ich lass mich überraschen.“

      „Alles klar. Dann am Samstag um sechs bei mir?“

      „Samstag. Sechs Uhr. Ich bin da.“

      „Schön. Dann bis Samstag.“

      „Ich freu mich“, rief er ihr hinterher, aber die Beifahrertür war bereits ins Schloss gefallen.

      Keine Minute nachdem sie ausgestiegen war, riss Stefan die Tür auf und warf sich auf den Beifahrersitz. Sein breites Grinsen sagte mehr als tausend Worte. Schweigend startete Mark den Wagen und fuhr los.

       Kapitel 10

      Eingehüllt in eine viel zu große Regenjacke lief der sechsjährige Georgie Denbrough mit seinem Papierboot die Treppe hinunter und eilte zur Straße. Den ganzen Tag über hatte es wie aus Kübeln geregnet. In den Straßenrinnen hatte sich das Wasser gesammelt und war zu kleinen reißenden Bächen geworden. Georgie setzte sein Boot ab und schaute ihm gebannt nach, als es stadteinwärts mitgerissen wurde. Lachend rannte er hinterher, während das Schiff unter einer Straßenabsperrung hindurch fuhr. Viel zu spät bemerkte er die Holzlatte, knallte mit der Stirn dagegen und stürzte zu Boden. In Windeseile raffte er sich wieder auf und starrte entsetzt zum Abfluss, auf den sein Boot geradewegs zusteuerte. Sekunden darauf war es verschwunden.

      Georgie schrie, eilte zu der Stelle, an der er sein Boot zuletzt gesehen hatte, und blickte in ein schwarzes Loch. Sekundenlang war da nur Dunkelheit, bis plötzlich wie aus dem Nichts ein unheimliches Clownsgesicht auftauchte. Erschrocken wich Georgie zurück.

      Mit weit aufgerissenen Augen schauten Helena Moor und Daria Warnke zur Kinoleinwand, wo der kleine Georgie gerade von Pennywise hinab in die Tiefe gezogen wurde. Vor Anspannung kaute Helena an ihren Haaren, während sich Daria ein Stück Eiskonfekt in den Mund schob. Die Szene endete, und entspannt lehnten sich die beiden Frauen in ihre Kinositze. Dabei fielen Helenas Haare über die Lehne.

      Wie hypnotisiert fixierte der Mann, der in der Reihe hinter ihnen saß, Helenas dunkle Lockenpracht. Mit der Zunge befeuchtete er sich die Lippen und wiegte den Kopf hin und her. Nichts wünschte er sich sehnlicher als das Ende des Films. Vom ersten Moment an, als er sie an der Kinokasse gesehen hatte, wusste er, dass sie füreinander bestimmt waren. Aus welchem Grund hätte Gott sie sonst zusammengeführt?

      Ihre Bewegungen


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