Animus. Astrid Schwikardi

Animus - Astrid Schwikardi


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die Gäste das Feld, ohne dass es einer weiteren Aufforderung bedurfte. Mark wunderte sich über die halb vollen Gläser, die sie stehengelassen hatten. Danach fiel sein Blick auf einen Flachbildschirm, der ihm schon zu Beginn ihres Besuches ins Auge gestochen war, und zu seiner Verwunderung stieg ein Anflug von Neid in ihm hoch.

      „80-Zoller?“, fragte er und ärgerte sich über den bissigen Unterton, der in seiner Stimme mitschwang. Der Bauingenieur nickte eher beiläufig, doch er war sich sicher, dass Hofbergs Gleichgültigkeit nur gespielt war, zumal Menschen wie er von der Aufmerksamkeit ihrer Mitmenschen lebten, so schätzte er ihn zumindest ein. Und weshalb sollte er in dieser Hinsicht anders sein als sein leiblicher Vater?

      „4K“, startete Hofberg augenblicklich sein Angeber-Programm. Mark kam die Galle hoch.

      „Dafür muss ein Normalsterblicher lange schuften“, schaltete sich Stefan ins Gespräch ein.

      Hofberg winkte ab. „In ein paar Jahren sind die Dinger für jeden erschwinglich. Aber Sie wollten mit mir bestimmt nicht über Flachbildschirme plaudern. Weshalb sind Sie hier?“

      „Wir haben erfahren, dass Thomas Dahlmann Ihr leiblicher Vater ist.“

      Dahlmanns Sohn rümpfte verächtlich die Nase. „Mein leiblicher Vater, von dem meine Mutter jahrelang behauptet hat, dass er bei einem Unfall ums Leben gekommen ist. Aber reden wir nicht um den heißen Brei herum. Was wollen Sie von mir?“

      „Ihr Vater ist seit zwei Tagen spurlos verschwunden. Sie wissen nicht zufällig, wo er sich aufhält?“

      „Ich?“, fragte Hofberg ungläubig und fing zeitgleich an zu lachen. „Seit Jahren wird mir vorgegaukelt, dass mein Vater tot ist. Dass ich somit der falsche Ansprechpartner bin, müsste Ihnen doch klar sein …“

      „Wann haben Sie ihn das letzte Mal gesehen?“

      „Vor ein paar Tagen.“

      „Wann genau?“

      Er schien kurz zu überlegen. „Montag müsste das gewesen sein.“

      „Also kurz bevor er verschwand. Und wo haben Sie ihn getroffen?“

      „Hier. In meinem Haus. Er wollte reden.“

      „Worüber?“

      „Über mich … über mein Leben …“

      Daniel Hofberg ging zum Kühlschrank, nahm zwei Kühlsteine aus dem Gefrierfach und legte sie in ein flaches Schwenkglas, das er vorhin auf der Arbeitsfläche abgestellt hatte.

      „Sie auch?“, fragte er und deutete auf eine Flasche Whisky Lagavulin. Die Polizeibeamten lehnten dankend ab, während Hofberg den edlen Tropfen in das Glas schüttete. Mark betrachtete die tiefbraune Flüssigkeit, die über die kalten Steine floss, bis das Glas zur Hälfte gefüllt war.

      „Wir müssten auch mit Ihrer Mutter sprechen. Wann erreichen wir sie am besten?“

      Hofberg trank einen Schluck und schnalzte mit der Zunge. „Wenn sie nicht in einem Friseursalon abhängt, was sie kaum zu dieser Uhrzeit tun wird, werden Sie sie wahrscheinlich zu Hause antreffen. Grüngürtelstraße. Ecke Auenweg. Sie können das Haus kaum verfehlen.“

      Mark beäugte den Bauingenieur und je länger er das tat, desto mehr fühlte er sich genervt von der übertriebenen Selbstsicherheit, die Hofberg an den Tag legte. Er stand breitbeinig, mit geradem Rücken, vor ihnen und hielt sein Whiskyglas am oberen Rand fest, während er seine andere Hand in seiner Jeans vergrub. Als er sie wieder herauszog, ballte er sie kaum wahrnehmbar zu einer Faust.

      „Wie läuft es eigentlich in der Baubranche momentan?“

      Hofberg nippte erneut an seinem Whisky. „Kommt drauf an, von welcher Seite der Medaille man es betrachtet.“

      Er deutete auf Hofbergs geballte Faust. „Von welcher Seite betrachten Sie es?“

      Blitzartig öffnete er seine Hand. „Wie würden Sie sich fühlen, wenn Sie vor ein paar Wochen erfahren hätten, dass sich ihr tot geglaubter Vater bester Gesundheit erfreut? Noch dazu war ich der Letzte, der ihn vor seinem Verschwinden gesehen hat.“

      Mark traute seinen Ohren kaum. „Wir haben mit keinem Wort erwähnt, dass Sie derjenige waren, der Ihren Vater als letztes gesehen hat.“

      „Nicht? So hatte ich Sie aber verstanden“, entgegnete der Sohn abgeklärt und sah ihn aus kalten Augen an. Er erwiderte Hofbergs Blick, und je länger er ihn fixierte, desto unsympathischer wurde er ihm.

      „Wir werden uns jetzt verabschieden, doch rechnen Sie damit, dass wir in den nächsten Tagen wiederkommen. Wahrscheinlich schneller, als Ihnen recht ist.“

      Der Bauingenieur stellte sein Glas ab und grinste herablassend. „War das etwa eine Drohung?“

      „Sehen Sie es, wie Sie wollen.“

      Mark deutete einen Gruß an und wollte gerade den Weg zum Ausgang einschlagen, als ihm eine Fotocollage ins Auge stach. Abrupt blieb er stehen und betrachtete die Bilder. Faszinierende Urlaubskulissen von verschneiten Berggipfeln und steilen Felsklippen, die hinter Daniel Hofberg und seinen Freunden emporragten. Marks Aufmerksamkeit galt einer jungen Frau mit hellen, gelockten Haaren und strahlend weißen Zähnen. Sie lachte einen Mann an, der einen Mehlwurm über seiner herausgestreckten Zunge baumeln ließ.

      „Schöne Fotos.“

      „Das fand mein Vater auch. Ihm schien vor allem das hier zu gefallen.“ Hofberg deutete auf das Bild, das Mark kurz zuvor ins Auge gestochen war.

      „Haben Sie mit ihm über die Bilder gesprochen?“

      „Gesprochen ist zuviel gesagt. Ich will es mal so sagen: Mir ist nicht entgangen, dass es ihm ein Foto ganz besonders angetan hatte. Ständig hat er es angesehen, aber nur dann, wenn er davon ausging, dass ich es nicht mitbekommen würde.“

      „Sind die Leute auf dem Bild Freunde von Ihnen?“

      „Komisch. Genau dieselbe Frage hat mir mein Vater auch gestellt. Den Mann haben Sie eben kennengelernt. Das ist Sebastian Meinert. Er hat sich in den letzten Jahren kaum verändert, was leider nicht jeder von sich behaupten kann.“

      „Und wer ist die Frau?“

      „Das ist Emily.“

      „Emily? Und wie weiter?“

      „Das weiß ich nicht mehr. Die haben wir damals im Urlaub kennengelernt.“

      Sie stellten dem Bauingenieur noch die ein oder andere Frage, doch Mark wurde das Gefühl nicht los, dass Hofberg ausweichend antwortete. Nach zehn Minuten verabschiedeten sie sich, ließen ihn aber wissen, dass er jederzeit mit einem weiteren Besuch rechnen musste.

       Kapitel 13 Freitag, 24. November

      Das hartnäckige Klingeln seines Weckers riss Mark am darauffolgenden Morgen aus dem Tiefschlaf. Benommen langte er zur Nachtkommode und stellte ihn aus. Gähnend kratzte er sich am Hals und blinzelte aus verklebten Augen auf die Uhr. In Zeitlupe kroch er aus dem Bett und schlenderte schlaftrunken in die Küche. Er öffnete den Kühlschrank, doch außer Butter, einer halb vollen Tüte Milch, einer geöffneten Verpackung Kochschinken, etwas Käse und zwei Joghurtbechern herrschte gähnende Leere. Er nahm zwei Scheiben Toastbrot aus der angebrochenen Tüte und steckte sie in den Toaster. Butter, Schinken, Käse und Milch stellte er auf den Tisch. Sein Blick fiel auf die über zwölf Jahre alten Ermittlungsakten, die er gestern Nacht in Dahlmanns Büro unter einem Stapel von Unterlagen gefunden hatte. Bis tief in die Nacht hatte er sie aufmerksam gelesen, und mittlerweile war er davon überzeugt, dass sie etwas mit Dahlmanns Verschwinden zu tun hatten. Was genau, wusste er nicht, dafür musste er erst noch mit seinem Kollegen Walter Gries sprechen, der damals mit Dahlmann die Ermittlungen zu dem Vermisstenfall ‚Emily Voss‘ geleitet hatte. Neugierig schlug er eine Akte auf und begann zu lesen. Zeitgleich vernahm er ein lautes Klicken. Eilig bereitete er sich einen Schinken-Käse-Toast zu, machte sich Kaffee und setzte sich. Er biss von seinem


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