MAUSOLEUM 2069. Rick Jones
unendliche Weite golden funkelnder Lichtpunkte zeigte, ein wahrhaft ehrfurchtgebietender Anblick.
»Das verschlägt einem wirklich die Sprache«, staunte die elysische Senatorin Andrea Hines, während sie hinaufschaute.
»Für siebenhundertfünfzigtausend Elysium-Dollar«, entgegnete ihr Kollege Newel, »sollte es das auch tun.« Dann lachte er, als habe er gerade etwas unheimlich Witziges zum Besten gegeben.
Die Senatorin verdrehte die Augen, bevor sie von der Seite an Michelin herantrat. »Mr. President?«
Er wandte sich ihr zu, bemühte sich um ein falsches Lächeln und streckte seine Hand nach ihr aus. »Senatorin Hines. Ich freue mich sehr, Sie wiederzusehen. Zu dumm, dass es sich nicht unter angenehmeren Umständen ergeben hat.«
»Mr. President, wenn Sie erlauben: Mein Gesetzesvorschlag an den Senat bezüglich …«
Er fiel ihr sofort ins Wort, indem er eine Hand hob und abwinkte. »Hören Sie bitte auf«, verlangte er. »Dies ist weder die richtige Zeit noch der passende Ort, um politische Fragen zu erörtern. Hier findet gleich eine Begräbniszeremonie statt.«
»Mr. President, ich versuche schon seit einem halben Jahr, Ihr Büro zu erreichen. Ich hinterlasse Nachrichten …«
»Senatorin Hines, ich muss doch sehr bitten; aus gebührendem Respekt gegenüber Gouverneurin Anderson …«
»Ehrlich gesagt, Mr. President kannte ich sie gar nicht. Wir haben nie miteinander gesprochen. Doch es scheint vonnöten zu sein, dass ich zu solchen Mitteln greife, um eine Audienz bei Ihnen erhalten zu können. Wir müssen über …«
»Wir müssen gar nichts, Senatorin … nicht, wenn es eine Messe zu halten gilt.« Als sich Michelin umdrehte und gehen wollte, versuchte sie, ihm zu folgen, doch einer seiner Leibwächter, ein großer, stämmiger Kerl, hinderte sie daran, indem er sich ihr in den Weg stellte. Sein Gesichtsausdruck genügte, um ihren Zorn sofort zu dämpfen.
»Ich bedauere diesen Vorfall, Vater«, sagte Michelin, nachdem er sich am Grab der Gouverneurin eingefunden hatte. »Es gibt Menschen, die einfach keinen Respekt haben. Wirklich unerhört.«
Vater Gardenzia nickte kaum merklich, während er im Book of Common Prayer blätterte. Trotz seiner schmächtigen Statur haftete dem Priester etwas Unbeugsames an. Er war denjenigen, die Trost suchten, nicht nur ein guter Zuhörer, sondern auch in der Lage, Heuchler im Schoß der Kirche auszulesen, weil er genau wusste, dass manche es nicht vermochten, Gott in ihrem Herzen zu finden. Michelin zählte zu diesem Schlag, das spürte der Vater im tiefsten Kern seiner Seele. »Wir können beginnen, sobald Sie bereit sind, Mr. President.«
»Natürlich, sehr gern.«
Die Anwesenden versammelten sich daraufhin um das Grab, als der Schlitten über der Öffnung in Position ging. Von dort aus stieg er langsam in den Sarkophag hinab, dessen Maße er genau ausfüllte. Schließlich kam er am Innenboden auf.
Lisa Millette, die Tochter der Gouverneurin, brach plötzlich in unbeherrschtes, heftiges Schluchzen aus, was Michelin zu einer Leidensmiene bewog … einer Fassade elender Bekümmerung.
Eric, der ein wenig abseitsstand, schnalzte leise mit der Zunge und schüttelte angewidert den Kopf. Der Präsident war immer noch ein verachtenswerter Mann. Neben ihm stand John Eldridge, den der Besatzungschef nicht kannte, ein unauffällig wirkender Zeitgenosse, der gerade die Hände vor sich faltete. Wenigstens zollte er der Toten durch sein Betragen Hochachtung, wohingegen Michelin während der Rede des Geistlichen andauernd auf seine Uhr schaute.
»… In sicherer Hoffnung und Gewissheit der Auferstehung zum ewigen Leben durch unseren Herrn Jesus Christus, senden wir Gott dem Allmächtigen unsere Schwester Michelle Anderson, indem wir ihren Leib zu Grabe tragen. Erde zu Erde, Asche zu Asche, Staub zu Staub. Der Herr segne und behüte sie, der Herr möge ihr sein Antlitz zuwenden und ihrer gnädig sein und ihr Frieden schenken. Amen.«
»Amen«, wisperte Michelin und bekreuzigte sich, obwohl ums Verderben kein Funke Frömmigkeit in seinen Knochen steckte.
Dies war der Moment, in dem sich alles zu verändern begann.
Kapitel 15
Obwohl sie absolut geräuschlos durch den Raum zog, war sie manchen Fluch und anderen Segen. Für die Toten wurde sie zum Engel der Wiederauferstehung; denjenigen gegenüber, die am Leben geblieben waren, erwies sie sich als Dämon ohne konkrete Gestalt oder Form.
Sie sah gutartig und hübsch aus mit ihren kaleidoskopisch changierenden Farben und Mustern, war ständiger Veränderung unterworfen und nahm stets neue Töne an.
Neben den Ausläufern, die Ranken glichen, die sich in die Leere ringsherum ausstreckten, tat sich ein einzelner Fortsatz besonders hervor, ein sage und schreibe zehntausend Meilen langer Trieb aus Staub, der die Umgebung abtastete.
Dann gelangte sie in den Einzugskreis des dritten Planeten. Winde, die von der Sonne herrührten, lenkten die Masse allmählich von ihrem Kurs ab und auf den Oriongürtel zu. Vor diesem Richtungswechsel jedoch war sie schon über die terrestrischen Flachländer gejagt. Der kosmische Staub hatte die Erde und all ihre Satelliten gestreift.
Die Apokalypse brach letzten Endes aus.
***
Der Goldglanz der Sterne über der Kuppel des Observatoriums, den man soeben noch hatte bewundern können, war nun nicht mehr zu sehen. Eine Staubwolke hatte ihn ausgeblendet, versteckt hinter einem grünen Nebel voller elektrischer Lichtblitze, die gedämpft darin aufloderten.
Aus der Entfernung betrachtet, war sie von erhabener Schönheit, doch sah man genauer hin, stellte sich ein Eindruck dräuenden Unheils ein … zutiefst bedrohlich, da die Wolke wie vor Zorn brodelte und flackerte, sodass man befürchten könnte, erschlagen zu werden.
»Alles in Ordnung!«, rief Eric von seinem Platz aus. »Die Formation ist harmlos! Sie wird vorbeiziehen!«
Dahingehend täuschte er sich jedoch erheblich, denn sie war alles andere als harmlos.
Die Geosphären außerhalb des Mausoleums gerieten zusehends aus dem Gleichgewicht und knisternde, blaue Flammen strahlten spinnwebenfein von ihnen ab … elektrische Energie, welche die inneren Komponenten der Kugeln verschmorte. Einige barsten einfach, als seien ihre Hüllen nicht stabiler als Eierschalen, wohingegen andere mehr und mehr Ausfälle verzeichneten, bis sie vollends versagten.
Daraufhin begann das Schiff nach steuerbord zu kippen, während die Geosphären abdrifteten, und schon bewegte es sich von der Erde fort immer tiefer ins All.
Die Metallplatten des Rumpfs fingen an zu knarren, weil sich die Nahtstellen plötzlich spannten. Darüber bedeckte die Staubmasse die Kuppel, sodass Schatten auf die Besucher fielen. Die Lampen gingen abwechselnd an und aus, bevor sie endgültig den Geist aufgaben. Dies aktivierte die Notversorgung, deren rote Birnen ein schwaches Licht spendeten, und die Luft wurde statisch aufgeladen, was dazu führte, dass sich die Härchen auf der Haut der Menschen aufrichteten.
Als die gesamte Anlage umzukippen drohte, wollte jeder zu einem Geländer greifen, das nicht vorhanden war, also verloren sie alle ihr Gleichgewicht, bevor sich das Mausoleum wiederaufrichtete und dazu überging, gleichmäßig durch den Raum zu schweben.
Die blaugraue Wolke, die violett geädert war, blinkte nun grell auf.
Geschrei brach aus.
Doch dann entspannte sich die Lage langsam wieder, während der kosmische Staub weiter und weiter in den Raum entschwand, von den Sonnenwinden in eine neue Richtung getrieben.
Die Ränder der Masse dünnten zu hauchdünnen Kommata aus Rauch und Staub aus und wurden so durchsichtig, dass man die Sterne und entlegene Galaxien als glitzernde Punkte dahinter ausmachen konnte.
Dann war die Wolke fort und zog weiter zu neuen, fernen Gestaden des Universums.
Sie hatte jedoch getan, wozu sie bestimmt war: Sie hatte Leben geschenkt.