Nur ein Viertel Elfenblut. Wolf Awert

Nur ein Viertel Elfenblut - Wolf Awert


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Das merkwürdige Unbehagen hatte nicht weichen wollen. Lufthauch war sich sicher, dass er dieses Gefühl schon einmal und vor gar nicht so langer Zeit gehabt hatte, konnte sich aber nicht erinnern, wo und wann das gewesen war. Sumpfwasser ließ ihm auch nicht die Zeit, dieser Gedankenspur nachzugehen.

      „Der Viertelelfe darf unter keinen Umständen etwas passieren, hörst du? Sollte doch etwas Unerwartetes geschehen, musst du handeln, selbst auf die Gefahr hin, dass sie dich dann bemerkt. Ihre Sicherheit steht über allem.“

      Lufthauch sah winzige Schweißperlen auf der Oberlippe des alten Mannes. „Sie ist ein Dreiviertelmensch“, sagte er.

      „Na, na, Viertelelfe klingt doch viel netter. Das macht sie zu einer von uns, was sie in gewisser Weise ja auch ist.“

      „Warum lasst Ihr sie nicht einfach durch einen unserer Wehrhüter bewachen?“

      Sumpfwasser hörte auf die Korbkugel. Der junge Mann fühlte sich jetzt sicher. Gut so. „Das ist leider nicht möglich“, sagte er, als wäre es wirklich keine große Sache. „Es wurde leider versäumt, sie zu markieren.“

      „Und das lässt sich nicht mehr nachholen?“

      „Selbstverständlich wäre das möglich. Nur würde es dann keinen Sinn mehr machen, sie loszuschicken.“

      Lufthauch und hob abwehrend die Hände. „Dann bin ich, befürchte ich, der falsche Mann für Euch.“

      Sumpfwasser zog eine Augenbraue hoch.

      „Einen unmarkierten Mischling nicht augenblicklich zu melden, verstößt gegen eines unserer wichtigsten Gesetze. Und ich bin der, den sie verfolgen werden, wenn etwas nicht so läuft, wie es laufen soll. Ihr habt bestimmt Verständnis dafür, dass ich Euren Auftrag ablehnen muss.“ Lufthauch war sich sicher, dass Sumpfwasser ihn auf eine Probe gestellt hatte. Aber nicht mit mir, dachte er.

      „Aber nicht doch. Die erste Frage, die gestellt würde, wäre die nach dem Verantwortlichen, der sie in den Frachter brachte, oder dem, der den Wachen befahl, wegzuschauen. Du aber bräuchtest nur zu sagen, dass du sie melden wolltest und ihr gefolgt bist, um zu erfahren, wohin sie sich begibt. Schließlich kann dir niemand nachweisen, dass du von ihrer Existenz gewusst hast.“

      „Das wäre aber eine Lüge. Wollt Ihr mich zu so einer Aussage verleiten?“

      Sumpfwasser seufzte. „Mach es nicht komplizierter, als es ist. Fangen wir von vorn an. Bei wem müsstest du sie melden?“

      „Beim nächsten Wehrhüter.“

      „Und den Gesetzesverstoß der fehlenden Markierung?“

      „Auch bei den Wehrhütern.“

      „Und wer führt die Wehrhüter an?“

      „Das seid wohl Ihr, wenn ich mich nicht täusche.“ Lufthauch kamen erste Zweifel, ob das wirklich nur eine Probe war.

      „Wo liegt denn dann die Schwierigkeit? Du könntest doch darauf hinweisen, dass du genau das getan hast.“

      „Und Ihr könntet es abstreiten. Wer sollte mir da glauben?“

      Sumpfwasser fühlte Ungeduld in sich aufsteigen. Es war immer die gleiche Schwierigkeit mit all den jungen Männern, die nicht mit den Wehrhütern zusammen aufgewachsen waren. Konnten sich einfach nicht vorstellen, dass es einen Alltag gab, der bewältigt werden musste und dass dieser Alltag Regeln, Gesetze und sogar ganze Prinzipien abschliff, bis niemand sie mehr erkennen konnte. Ein letzter Versuch: „Niemand wird behaupten, dass du das wissen konntest.“

      „Ich bin ein Waldläufer, ein Fährtenleser, Kundschafter. Ich begleite Jagdtrupps auf ihren Patrouillen. Ich brauche nur zehn Schritte in einen Wald hineinzugehen, und selbst Ihr hättet Schwierigkeiten, mir da zu folgen. Aber eine Viertelelfe in einem Frachter zu begleiten, ist, als wolltet Ihr einen weißen Wolf in einem Wildschweinrudel verstecken. Das ist völlig unmöglich.“

      „Vorhin warst du noch der Meinung, dass alles ganz einfach wäre. Du wirst sehen, dass es möglich ist und lernen, wie man es möglich macht. Betrachte es einfach als Teil deiner Ausbildung.“

      „Aber ich bin ausgebildet. Ich bin ein Altjäger.“

      „Von denen wir mehr haben als Bucheckern unter einer Buche in einem Mastjahr. Einen Altjäger brauche ich nicht, und deshalb bist du auch ab sofort kein Jäger mehr. Wer braucht in einer Angelegenheit, von der das Schicksal unseres ganzen Volkes abhängt, einen Altjäger?“ Sumpfwassers Stimme kam leise, gelassen, war nicht drängend oder gar bedrohlich, und selbst das „Schicksal unseres ganzen Volkes“ kam eher selbstverständlich als verzweifelt daher. Und trotzdem schaute Lufthauch wie ein angeschossenes Tier, das noch nicht verstand, was ihn getroffen hatte.

      „Steht es wirklich so schlimm?“

      Was war das denn für eine Kinderfrage? Wie viel Hilflosigkeit doch noch in diesem Bengel steckte! Altjäger. Pah. Sumpfwasser entschloss sich für einen Wechsel seiner Strategie. Manchmal war die beste Lösung eine brutale Dosis der reinen Wahrheit. In der Politik wurde das viel zu oft vergessen. „Du kommst viel herum, Lufthauch. Warst auch außerhalb unserer Elfenwälder. Sollten dir die Zeichen entgangen sein? Halva, unsere geliebte Welt, hat angefangen, sich selbst zu zerstören. Wie schnell ihr das gelingt, weiß niemand. Und ob man eine ganze Welt davon abbringen kann, sich umzubringen, kann erst recht niemand sagen. Ich weiß noch nicht einmal, ob unser ganzes Tun und Handeln in dieser Sache überhaupt einen Sinn ergibt. Aber eines weiß ich. Ich werde mich bis zum letzten Atemzug gegen den Untergang stemmen. Mit allem, was ich habe, und allem, was ich bin.“ Und in demselben Augenblick, in dem er diese Worte aussprach, wurde ihm zur eigenen Verwunderung das Herz frei, und eine Verzweiflung verließ ihn, die ihn die ganze Zeit hinuntergedrückt hatte. Zum ersten Mal ausgesprochen zu haben, was ihn seit langer Zeit wie eine kaum zu bewältigende Last zu Boden drückte, gab ihm neue Kraft. Nein, er würde nicht weichen. Er nicht.

      „Aber wenn ich kein Jäger bin, wer bin ich denn dann?“

      Sumpfwasser lächelte. Das war ja schnell gegangen. Von der Zerstörung der Welt zurück zu sich selbst. Er hatte ihn. Etwas Unterstützung, etwas Vertrauen und eine Spur Strenge. „Eine gute Frage in dieser schweren Zeit“, sagte er. „Obwohl ich glaube, dass du bei einigem Nachdenken die Antwort auch selbst finden könntest, wenn du dir die Zeit dazu gönnst. Du hast ja sehr schnell und völlig richtig erkannt, dass wir durch die fehlende Markierung der Viertelelfe ein Verbrechen begangen haben. Aber solche Dinge sind harmlos, solange niemand davon erfährt. Solche Dinge gehören zu den kleinen Geheimnissen unseres Handwerks. Und du bist nun ein Teil dieses kleinen Geheimnisses.“

      „Ja, nur …“

      „Als Teil dieses kleinen Geheimnisses bist du ein Geheimnisträger, als Geheimnisträger gehörst du im weitesten Sinn zum Elfenrat oder seinem Hüter, also mir, mindestens aber zu den Wehrhütern im Allgemeinen. Und das ist es auch schon. Selbstverständlich musst du deine Eidesformel noch sprechen. Erinnere mich daran, dass wir das noch erledigen, bevor du gehst. Gibt es noch etwas, das du wissen möchtest?“

      „Ja, erlaubt mir bitte noch zwei Fragen: Warum seid Ihr ein solches Risiko eingegangen, jemanden anzusprechen, den Ihr nicht kanntet, und von ihm zu erwarten, dass er sich auf so etwas einlässt? Und vor allem, warum habt Ihr es höchstpersönlich auf Euch genommen, diesen Auftrag zu erteilen, anstatt das zu delegieren und auf diese Art saubere Hände zu behalten?“

      Sumpfwasser lächelte. Das waren zwei gute Fragen. Aber die hättest du früher stellen müssen, mein Junge. „Du bist mir empfohlen worden“, sagte er.

      „Von wem?“

      „Von Truppführerin Bork. Diese Frau kennt ihre Leute, und ich vertraue ihrem Urteil blind.“

      Jetzt fiel es Lufthauch wieder ein. Er hatte Bork vor nicht allzu langer Zeit auf einer Patrouille begleitet, auf der sie einen Elfen unreinen Blutes gefangen genommen hatten. Auch da hatte er dieses Gefühl gehabt, dass sie ihn eigentlich gar nicht gebraucht hätten. Genau wie jetzt für die Begleitung einer Viertelelfe.


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