Trust me, Vögelchen!. Sara-Maria Lukas
du etwa jetzt noch?“
„Am Set haben wir keine festen Arbeitszeiten, das weißt du doch.“
Sandy seufzt. „Schade, ich dachte, wir treffen uns mal wieder auf einen Cocktail am Strand.“
„Ist mit Mike Schluss?“
„Wie kommst du darauf?“
Annabell verdreht die Augen. „Du meldest dich grundsätzlich nur bei mir, wenn du jemanden zum Ausheulen brauchst.“
„Der Mistkerl hat mich betrogen.“
Trevor hat seine Besprechung beendet und kehrt zu seinem Tisch zurück.
„Süße, ich rufe dich an, wenn ich Zeit habe, dann kannst du mir alles erzählen, okay?“, murmelt Annabell hektisch.
Sandy stöhnt theatralisch. „Okay.“
Annabell drückt den Anruf weg. Typisch ihre kleine Schwester. Wieso fällt Sandy immer wieder auf Typen herein, die sie dann doch nur verarschen? Warum kann sie nicht mal solo bleiben, bis einer kommt, der nicht so ein Fiesling ist? Nein, sie muss sich stets dem Erstbesten an den Hals werfen. Dabei stehen die Männer bei ihr Schlange, und sie könnte sich die Zeit nehmen, einen Typen erst näher kennenzulernen, bevor sie mit ihm ins Bett steigt, aber das macht sie nicht. Sobald einer nett lächelt, schmilzt sie verliebt dahin und vergisst, dass sie auch ein Gehirn zum Denken hat.
Sandy hat dieses gewissen Etwas, das Männer anzieht wie stinkendes Fleisch die Fliegen, doch wenn eine Frau so einfach zu haben ist, darf sie sich nicht wundern, wenn sie auch schnell wieder fallen gelassen wird.
Trevor hat es sich mit der Kameraposition doch wieder anders überlegt, er dreht noch mal um und ruft die Männer erneut zu sich. Annabell nutzt die Zeit und reinigt mit dem Spray schnell noch mal ihre Finger. Wer weiß, wann sie wieder die Gelegenheit dazu hat, und es gibt für sie nichts Widerlicheres als klebrige Finger.
Das Handy brummt erneut. Das wird Annie sein. Annabell sieht auf das Display. Nein, es ist Ken von der Produktionsfirma. Der hat ihr gerade noch gefehlt. Sie tippt auf die grüne Taste und drückt das Headset wieder in die optimale Position, um ihn gut hören zu können. „Hi, Ken!“
„Hi, Annabell, Darling. Gehst du heute Abend mit mir aus? Wir essen, trinken Schampus und haben wilden Sex am Strand.“
„Nein.“
„Okay.“
Annabell stöhnt genervt. Meine Güte, hält der sich mal wieder für lustig. „Was willst du?“
„Ich soll dir Bescheid geben, dass nächste Woche eine Fotojournalistin aus Germany anreisen wird.“
Na klasse. Wann soll sie für die denn noch Zeit haben? „Was will die bei uns?“
Ken gluckst. „Fotos machen?“
„Was du nicht sagst, aber ich muss doch wissen, was genau, wen, wann und ob ich auch Interviewtermine vereinbaren soll und ob ...“
„Keine Ahnung, sie kommt von einem deutschen Kinomagazin. Mehr weiß ich nicht. Du musst eben spontan organisieren, was sie braucht. Das wird ja nicht so schwer sein. Die genauen Flugdaten bekommst du noch, ein Zimmer hat der Auftraggeber aus Germany bereits reserviert.“
„Und wie lange bleibt sie?“
„Hier steht zehn bis vierzehn Tage.“
„Geht’s nicht genauer? Ich muss doch …“
„Nö. Ciao.“ Es klickt und Ken hat das Gespräch weggedrückt, ohne sich die Mühe zu machen, ihr zuzuhören.
„Arschloch“, knurrt sie leise, während sie das Telefon zurück unter den Arm klemmt. So ein Mist! Sie wird mindestens zehn Tage lang eine Frau am Hals haben, die sich bestimmt furchtbar wichtig findet und sämtliche Tagesabläufe durcheinanderbringt. Wahrscheinlich will sie wissen, wo die Stars abends anzutreffen sind, und Annabell muss mit ihr nächtelang in den Bars rumsitzen und ihr beim Flirten zusehen. Bei der Aussicht juckt es schon wieder in ihren Armbeugen und Kniekehlen. Sie hasst das! Es gibt zwei Worte, auf die sie allergisch reagiert: Spontan ist das eine und Improvisieren das andere. Um sich wohlzufühlen, braucht sie Pläne. Ablaufpläne, auf die sie sich verlassen kann. Tief in ihrem Brustkorb spürt sie die herannahenden Wellen einer Panikattacke. Oh nein! Tief atmen und die Aufmerksamkeit auf einen Gegenstand richten. Die Kamera. Okay. Die Kamera steht auf einem stabilen Stativ. Einatmen. Ausatmen. Die Kamera ist schwarz. Einatmen. Ausatmen. Ein rotes Kabel hängt daran. Einatmen. Ausatmen.
Das Handy vibriert. Diesmal ist es eine WhatsApp von Annie. Das Kleid ist fertig. Endlich mal eine gute Nachricht. Annabell läuft los in Richtung des Containerbüros an der Straße, in dem sämtliche Kostüme aufbewahrt werden und in dem Annie auf einem kleinen Tisch ihre Nähmaschine stehen hat. Eins … zwei … drei … Annabell starrt vor sich auf den Boden und atmet bewusst bei jedem Schritt. Vier … fünf … sechs … es sind siebenundsechzig Schritte bis zum Container, und der Aufruhr in ihrem Brustkorb beruhigt sich, während sie zählt.
Aufatmend lächelt sie Annie an, als die ihr den Fummel entgegenhält.
Kapitel 2
Eine fröhliche Melodie vor sich hin pfeifend, steuert Ian den alten VW-Bus über die schmale Zufahrt auf den Hof und parkt vor seinem Atelier.
Hier ist alles wie immer. Außer dem Singen der Vögel und den Lauten der Tiere vom Hof herrscht Stille. Ein leichter Wind weht und macht die sommerlichen Temperaturen erträglich.
Er liebt dieses ganz besondere Klima, das es nur hier in Norddeutschland gibt. Selbst bei größter Hitze ist die Luft frisch und klar.
Auf der Weide grasen Cats Gnadenbrotpferde, im Obstgarten laufen die Schafe und Hühner durcheinander. Rosie, Jasons Allerliebste, ist dabei, eine Tür zu streichen, und Porky trottet heran, weil er das Auto kennt und ihn begrüßen will.
Es ist erst zehn Uhr. Ian hat den Wecker um drei Uhr klingeln lassen und ist um vier Uhr losgefahren. Die Mühe hat sich gelohnt, der Termin ist gut gelaufen. Seine Models und er haben den Sonnenaufgang über den zu dieser frühen Tageszeit fast menschenleeren Straßen der Stadt genutzt, was eine tolle Atmosphäre für die Fotosession schaffte.
„Na, alter Junge.“ Ian tätschelt Porkys Nacken, nachdem er die Autotür geöffnet hat und der Hund seine schon angegraute Schnauze hineingesteckt hat.
Ian steigt aus, und Porky beschnuppert die Reifen des Autos, die jetzt nach Großstadt und Hafen duften, sehr interessant für ihn.
„Schon zurück?“ Jason schlendert über den Hof auf ihn zu.
Ian nickt. „Die Damen und Herren waren gut vorbereitet und alle Bilder schnell im Kasten.“ Er öffnet die hintere Tür des Vans und greift nach den beiden großen Fotokoffern mit seiner Ausrüstung.
„Was war das für ein Termin?“, fragt Jason.
„Abschlusssemester der Designerinnen an der Hamburger Uni. Sie haben mich engagiert, um ihre ersten eigenen Kreationen in einen gemeinsamen Katalog zu bringen.“
Jason grinst. „Wie viele der jungen Frauen haben dich in ihr Bettchen eingeladen?“
„Zwei – und zwei Männer. Zumindest haben sie mir ihre Handynummern zugesteckt.“
Jason seufzt. „Manchmal möchte ich deinen Job haben.“
„Seit wann stehst du auf Männer?“
„Die hätte ich dir überlassen und mich um die Frauen gekümmert.“
„Sag das nicht, wenn deine Rosie in der Nähe ist.“
„Ich werde mich hüten!“ Lachend schlendert Jason los in Richtung des offenen Scheunentores.
Das