Trust me, Vögelchen!. Sara-Maria Lukas

Trust me, Vögelchen! - Sara-Maria Lukas


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Kerl mit blonden Haaren, die nicht so aussehen, als hätte er sie sich innerhalb der letzten Stunden gekämmt.

      Er trägt in der anderen Hand eine Reisetasche, bleibt am Durchgang zur Ankunftshalle stehen und sieht sich um. Nicht nur Annabell mustert ihn, auch zwei weitere Frauen drehen die Köpfe nach ihm um, denn er ist einer dieser Typen, auf die jede Frau abfährt. Er trägt ein schwarzes, enges T-Shirt, eine abgewetzte Jeans und Sneakers. Annabell kann den Blick nicht abwenden. Irgendetwas an ihm fasziniert sie auf fast hypnotisierende Weise.

      Plötzlich sieht er zu ihr rüber und nickt ihr zu. Erschrocken wendet sie sich ab und hält wieder nach der Fotografin Ausschau.

      Drei Minuten später steht der Typ vor ihr, und es ist ihr nicht möglich, seine Anwesenheit zu ignorieren.

      „Hi. Ich bin Ian Carter.“

      Ihr Kopf zuckt herum, und ihr Blick bleibt an einer Kette hängen, die er um den Hals trägt. Der Anhänger ist rund. In dem silbernen Rahmen, der ihn umfasst, befindet sich eine schwarze Fläche, auf der sich, als hell glänzende graue Linie, eine Triskele ausbreitet, die Ähnlichkeit mit dem chinesischen Yin-Yang-Zeichen hat.

      Das Symbol kennt sie. Mittelalterfans und Esoteriker tragen so was, aber Annabell kennt es vor allem seit vielen Jahren aus der BDSM-Szene. Man findet es im Internet auf den entsprechenden Seiten.

      Einen Moment lang ist sie völlig konfus, dann fängt sie sich, hebt den Kopf und sieht ihm ins Gesicht. Sein Kinn ist mit Bartstoppeln bedeckt, seine Lippen bilden eine geschwungene Linie und ein paar leicht wellige Haarsträhnen fallen ihm in die Stirn. Seine Haarfarbe ist ein Mix aus weizenblond mit dunkleren Strähnen, was seiner Person einen verwegenen Ausdruck verleiht. Er lächelt, während er aus braunen Augen auf sie herabsieht. Doch die freundliche Miene kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass sein Blick auf fast arrogant wirkende Weise direkt und forschend auf ihr ruht.

      Annabell runzelt die Stirn. Was will der Typ von ihr? Kennt er sie von damals? Quatsch. Die letzten Sessions hatte sie vor sieben oder acht Jahren, und sie hat sich seitdem viel zu sehr verändert, als dass sie jemand aus der Zeit erkennen könnte.

      „Hi“, grüßt sie zögernd zurück und lässt den Blick an ihm vorbei, wieder durch die Halle gleiten.

      „Warten wir auf einen weiteren Ankömmling?“ Seine Stimme ist tief und scheint die Luft zum Vibrieren zu bringen.

      „Was?“

      „Holst du nicht nur mich ab?“

      „Ich verstehe nicht …?“

      Er neigt leicht den Kopf zur Seite. „Du bist doch das Empfangskomitee, das mich ins Hotel bringen soll, oder nicht?“

      „Ähm … ich warte auf eine Redakteurin von Yellow Light aus Germany.“

      Er winkt ab. „Die kommt nicht, sie ist krank geworden. Ich bin der Ersatz.“

      „Oh.“ In Annabells Nacken kribbelt es plötzlich und sie spürt Hitze im Gesicht. „Sorry, äh … das hat mir … äh … keiner gesagt.“

      Seine Augenbrauen zucken höher. „Und ist das jetzt ein Problem?“

      „Was? Äh … nein, natürlich nicht.“

      „Dann können wir ja los.“

      „Ja.“ Sie deutet zur Tür. „Mein Auto steht draußen.“

      „Tatsächlich?“ Er grinst. „War hier drin kein Parkplatz mehr frei?“

      Annabell verdreht die Augen. „Sehr witzig.“

      Verdammt! Wo ist denn ihr Verstand geblieben? Der Typ muss sie für total bescheuert halten. Sie atmet tief durch und konzentriert sich. „Soll ich dir eine Tasche abnehmen?“

      „Danke, geht schon. Sagst du mir deinen Namen?“

      „Sorry, natürlich. Ich bin Annabell Walter, Produktionsassistentin und deine Ansprechpartnerin während deines Aufenthalts hier.“

      „Hi, Annabell. Nett, dich kennenzulernen.“ Während er ihren Namen sagt, sieht er ihr in die Augen, als wäre es nicht nur eine Floskel, sondern eine tiefsinnige, wichtige Erkenntnis. In ihrem Bauch kribbelt es ganz unten, fast im Becken, da, wo es gefährlich wird, weil es mit Erregung zu tun hat und den Verstand durcheinanderbringt.

      Sie verlassen das Terminal und er hebt den Kopf. „Ganz schön schwül bei euch.“

      „Ja, wir haben einen heißen Sommer dieses Jahr. Du sprichst sehr gut Englisch.“

      Ian fummelt eine Sonnenbrille aus seiner Reisetasche und setzt sie auf.

      „Ich bin in den USA aufgewachsen und erst vor ein paar Jahren mit meinen Brüdern nach Deutschland ausgewandert.“

      Natürlich. Sein Name ist amerikanisch, sie hätte auch selbst draufkommen können, dass er kein Deutscher ist.

      Er atmet deutlich sichtbar tief durch. „Gutes Gefühl, mal wieder Heimatluft zu schnuppern.“

      Als sie das Auto erreichen, öffnet Annabell den Kofferraum und Ian verstaut sein Gepäck. Dann steigen sie ein.

      Während sie den Motor startet, bekommt sie bereits Platzangst. Die Nähe des fremden Mannes macht ihr zu schaffen. Sie greift zu ihrer Sonnenbrille, die wie immer über dem Rückspiegel hängt, und setzt sie auf. Dann sprüht sie noch kurz ihre Hände ein und verreibt das Desinfektionszeug, bevor sie losfährt. Seinen Seitenblick ignoriert sie dabei. Es geht ihn gar nichts an, was sie mit ihren Händen macht.

      Der Typ ist für ihr kleines Auto einfach viel zu groß. Sie startet den Motor, fährt rückwärts aus der Parklücke und bremst, um in den Vorwärtsgang zu schalten. Zählen … ruhig atmen und zählen … eins … zwei … drei … einatmen … vier … fünf … sechs … ausatmen … sieben … acht … neun … einatmen … zehn … elf … zwölf … ausatmen. Ihr Puls normalisiert sich. Erleichtert fährt sie an und das Auto macht einen kleinen Ruck, weil sie versehentlich zu viel Gas gibt. Mist. Ob ihm was aufgefallen ist?

      Sie wirft einen schnellen Blick zur Seite. Ian mustert sie. Durch die dunkle Brille kann sie seine Augen nicht sehen, aber der spöttisch verzogene Mund ist aussagekräftig genug. Arroganter Arsch.

      „Alles okay mit dir?“, fragt er.

      „Natürlich.“

      „Dann ist es ja gut. Wohin fahren wir?“

      „Wir drehen zurzeit in einer Strandvilla am Venice Beach und dein Hotel ist ganz in der Nähe. Ich bringe dich jetzt hin, damit du dich nach dem langen Flug ausruhen kannst. Morgen früh um sechs Uhr ist Drehbeginn. Ich hole dich um fünf Uhr dreißig ab, wenn das für dich okay ist.“

      *

      Ian seufzt. „Klar, ich liebe es, mitten in der Nacht aufzustehen.“

      Sie runzelt die Stirn. „Ich habe den Drehplan nicht geschrieben.“

      „Das weiß ich doch.“ Die kleine Annabell scheint ein Problem mit ihm zu haben. Sie ist bei der Begrüßung schon nicht gerade freundlich gewesen, und seit sie im Auto sitzen, ist ihre Gereiztheit nicht mehr zu übersehen.

      Eigentlich hat sie ein nettes Gesicht, doch sie zieht die Stirn kraus und presst die Lippen fest zusammen, wenn sie ihm nicht gerade auf eine Frage antworten muss.

      Ihr Blick zuckt hin und her, und wenn ihn nicht alles täuscht, hat sie sich erschrocken, als sie den Anhänger seiner Kette gesehen hat, den Cat ihm zum letzten Geburtstag geschenkt hat.

      Vielleicht ist sie auch einfach nur müde. Dunkle Ränder unter ihren Augen zeugen von Erschöpfung. Der Job als Produktionsassistentin ist mit Sicherheit kein Zuckerschlecken, und Trevor Quentin hat nicht den Ruf, ein geduldiger, freundlicher Mensch zu sein. Was soll’s? Ihr Job, ihr Problem, nicht seins.

      Ian


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