Trust me, Vögelchen!. Sara-Maria Lukas
Ich weiß, dass so was nur einvernehmlich läuft.“
„Ich sehe dir aber an, dass du Angst hast. Warum gibst du es nicht zu? Wenn wir darüber reden, wirst du beruhigt sein.“
„Ich muss nicht beruhigt werden und ich will nicht reden!“
Ian seufzt. „Dann hör mir wenigstens zu. SM findet ausschließlich einvernehmlich und nach ausgiebigen Gesprächen über Vorlieben und No-Gos statt. Es macht mich an, ich würde aber niemals …“
„Das weiß ich! Ich sagte doch, ich weiß, dass es nur einvernehmlich läuft. War’s das?“
Er runzelt die Stirn, und sie leckt sich nervös über die trockenen Lippen, während sie wild mit der Hand herumfuchtelt. „Hör zu, ich bin kein naives Kleinkind. Ich weiß das alles, ich habe keine Angst vor dir und ich will von diesem Thema nichts hören! Es kann doch nicht so schwer sein, das zu kapieren.“
Sie drängt sich gegen seinen Arm. „Und jetzt lass mich durch!“
*
Irritiert tritt Ian zur Seite und sie rennt an ihm vorbei. Ihre Reaktion ist total überzogen und unverständlich.
„Hey, ich wollte doch bloß …“
„Nein. Ein für alle Mal, kein Wort mehr über dieses Thema.“
Er nickt langsam. „Okay. Schon gut. Ich will nur nicht, dass du Angst vor mir hast.“
„Ich habe keine Angst vor dir.“ Sie atmet so tief durch, dass sich ihr Brustkorb deutlich sichtbar hebt und wieder senkt, wodurch sein Blick zwangsläufig auf ihre Brüste gelenkt wird.
„Ich habe wirklich keine Angst vor dir. Es ist alles in Ordnung. Ich bin nur müde und muss schlafen. Fühl dich einfach wie zu Hause.“
Sie dreht sich um, verschwindet in ihrem Schlafzimmer, kommt eine Minute später mit einem Pyjama in der Hand wieder heraus und flüchtet ins Bad.
Seufzend lässt er sich auf die Couch fallen und checkt sein Handy.
Als die Badezimmertür wieder aufgeht, sieht er auf. Annabell trägt nun einen Pyjama und einen Morgenmantel darüber. Sie zögert, als ob sie einen inneren Kampf ausfechten würde, und hastet Sekunden später zur Wohnungstür. Ohne ihn anzusehen, steckt sie den Schlüssel ins Schloss, schließt auf, schließt ab, rüttelt an der Klinke, zieht den Schlüssel wieder heraus und hängt den Bund an den Haken.
„Schlaf gut“, sagt sie leise, als sie an ihm vorbeigeht.
Er nickt. „Du auch. Gute Nacht.“
„Gute Nacht.“
Kapitel 5
Am nächsten Tag bekommt Ian nicht viel von Annabell zu sehen. Sie macht ihren Job, und er verbringt den Tag damit, am Set herumzuspazieren, mit Kameraleuten zu plaudern und Leute zu fotografieren.
Ab und zu sieht er sie von weitem zwischen Regietisch, Kameraleuten und Schauspielern hin und her flitzen. Irgendetwas fasziniert ihn an dieser seltsamen Frau. Er kriegt sie nicht aus dem Kopf. Ian ist nicht der Typ Mann, der sich gern mit schwierigen Menschen abgibt, im Gegenteil. Er ist Single, weil er den lockeren und unkomplizierten Umgang mit devoten und masochistischen Frauen mag, die selbstbewusst zu ihren Neigungen stehen und es genießen, sie auszuleben. Doch Geier-Belli hat etwas an sich, das ihn reizt und neugierig macht. Er will unbedingt wissen, warum sie so missgelaunt auf ihn reagiert.
Sie trägt heute eine helle, dünne Hose, flache Sneakers und eine weite, bunte Bluse mit langen Flatterärmeln. Vielleicht kann sie die Sonne nicht gut ab und bedeckt deswegen so viel Haut? Die glatten, blonden Haare hat sie zu einem festen Zopf am Hinterkopf zusammengebunden und ihre meerblauen Augen versteckt sie hinter einer Sonnenbrille. An ihrem linken Ohr hängt ein Bluetooth-Headset, das mit ihrem Handy verbunden ist. Den ganzen Tag hetzt sie zwischen dem Regisseur, den Kameraleuten, den Garderoben der Schauspieler und dem Verpflegungswagen hin und her. Sie trägt ein Klemmbrett mit Notizen und das Handy mit sich herum und benutzt beides abwechselnd. Und immer wieder zieht sie ein kleines Fläschchen mit Desinfektionsspray aus der Hosentasche und sprüht ihre Handflächen damit ein.
Wenn ihre Tage immer so ausgefüllt sind, wird sie ihn bei seinem Job nicht unterstützen können.
Ihre überzogene Reaktion auf das Thema BDSM hat ihn erst recht neugierig gemacht, und er wäre kein echter Carter, wenn er nicht den Drang verspüren würde, das Mysterium Annabell zu ergründen.
Am frühen Nachmittag sitzt er auf einem klapprigen Stuhl auf der Terrasse der prächtigen Villa, die Schauplatz des Films ist, und sieht von Weitem zu, wie eine Szene im parkähnlichen Garten abgedreht wird. Sage de Mystin, die Amerikanerin mit französischen adeligen Vorfahren und momentaner Star in L.A., hat schon zum dritten Mal ihren Text vermurkst. Aber sie meckert über ihren Partner, der sie angeblich durcheinanderbringt, weil er ihr die falschen Stichworte gibt. Eingebildete Ziege. Als Ian sie um ein Interview gebeten hat, hat sie ihn abgekanzelt wie einen Fahrstuhlboy, der die verkehrte Taste gedrückt hat.
Sein Handy vibriert in der Gesäßtasche seiner Jeans und er nimmt den Anruf an. Es ist Tim Spenger von Yellow Light.
„Hi, Ian, ich wollte nur kurz hören, ob bei dir alles klar geht.“
„Wenn man davon absieht, dass ich erst ab heute Abend ein Hotelzimmer habe und meine Ansprechpartnerin hier so im Stress ist, dass ich sie kaum zu Gesicht bekomme, ist alles bestens.“
„Kein Zimmer?“
„Es wurde erst für heute reserviert. Vermutlich habt ihr die Zeitverschiebung vergessen. L.A. ist acht Stunden hintendran im Vergleich zu Hamburg.“
„Oh Fuck, das hat eine Praktikantin verbockt. Die buchen bei uns solche Reisen. Tut mir leid.“
„Hab’s überlebt.“
„Und was ist mit deiner Ansprechpartnerin?“
„Sie ist hier die Produktionsassistentin. Sie soll für mich Interview- und Fototermine mit den Darstellern und dem Regisseur vereinbaren, aber dazu kommt sie nicht, weil sie dafür keine Zeit hat.“
„Okay, ich spreche mit der Produktionsfirma. Die haben uns schließlich eingeladen, weil ihnen die Werbung in Deutschland so wichtig ist. Wenn die Produktionsassistentin keine Zeit hat, müssen sie jemand anders für dich aktivieren.“
Ian trinkt einen Schluck Kaffee aus seinem To-Go-Becher und beobachtet Annabell, wie sie neben einem der Beleuchter steht und mit dem Finger auf dem Klemmbrett hin und her fährt. Sie scheint ihm einen Szenenaufbau zu erklären.
„Sag ihnen, sie sollen einen Ersatz für Annabells Job finden, damit sie für mich Zeit hat.“
Tim lacht. „Annabell heißt sie also. Ist wohl jung und hübsch, die Produktionsassistentin, was?“
„Das auch, aber sie ist vor allem, soweit ich das heute mitbekomme, im ganzen Team sehr beliebt und wird mir leichter Türen öffnen als ein schüchterner Praktikant.“
„Verstehe. Ich rede mit der Produktionsfirma.“
„Mach das. Und, Tim, ein Mietwagen wäre sinnvoll, dann kann ich nebenbei ein paar Streetstorys mitbringen, wenn ich schon in L.A. bin. Das hier ist meine zweite Heimat und ich habe hier noch ganz interessante Kontakte.“
„Super. Der Wagen ist genehmigt. Ich reserviere ihn gleich übers Internet und schicke dir die Bestätigung aufs Handy.“
*
Schon wieder brummt das Smartphone unter ihrem Arm. Genervt legt Annabell das Klemmbrett zur Seite und sieht auf das Display. Es ist das Büro. Seufzend meldet sie sich.
„Ken, was ist denn? Ich habe keine Zeit, Trevor hat nach mir gerufen.“
„Ab