Verschollen am Mount McKinley / Die Wölfe vom Rock Creek. Christopher Ross

Verschollen am Mount McKinley / Die Wölfe vom Rock Creek - Christopher Ross


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hatte er sich jedoch besser gehalten, als sie befürchtet hatte. Er stand sogar relativ sicher auf seinen Schneeschuhen und hielt sich streng an die Anweisungen der Rangerin. Anscheinend hatte er lange geübt.

      Sie fing einen Blick von Carol auf und ging zu ihm. Offenbar befürchtete die Rangerin, er könnte Angst haben und die Wanderung ebenso gefährden wie Kati Wilcott. In den Bergen wäre es zu spät zum Umkehren, und einen Hubschrauber rief man nur, wenn Lebensgefahr bestand oder ein Teilnehmer spurlos verschwunden war. »Ich frage mich immer noch, was jemand aus Chicago dazu bewegt, auf Schneeschuhen in die Wildnis zu wandern«, unterbrach Julie seine Gedanken. »Nur wegen der Bücher Ihres Vaters?«

      Jacobsen lächelte flüchtig, wurde aber gleich wieder ernst. »Mein Vater war ein begeisterter Bergsteiger, und wenn er mir abends eine Geschichte erzählte, dann handelte sie meist von Alaska. Ich wusste schon vom Mount McKinley, bevor ich vom Mount Everest oder Nanga Parbat hörte. Schon damals entschloss ich mich, mir den Berg aus der Nähe anzusehen, aber irgendwie kam es nie dazu. Das College, die Karriere … ich arbeite in einer großen Werbeagentur. Erst als ich …« Er hielt mitten im Satz inne, als hätte er Angst, ein Geheimnis zu verraten. »Erst jetzt hat es geklappt. Der Berg … der Mount McKinley …« Er wirkte plötzlich unsicher. »… dieser Berg … er wirkt so unnahbar … man könnte Angst vor ihm bekommen … ich möchte nicht wissen, wie viel Leid einige Menschen an diesen eisigen Wänden erfahren mussten.«

      »Und dennoch ist er wunderschön, finden Sie nicht auch?« Sie blickte auf den Berg, der inzwischen fast vollkommen in den Wolken verschwunden war. »Auch wenn man ihn kaum zu sehen bekommt.« Sie blickte Jacobsen an. »Ihr Vater war Bergsteiger, sagen Sie? War er jemals am Mount McKinley?«

      Jacobsen antwortete nicht. Er war mit seinen Gedanken schon wieder ganz woanders und schien nicht einmal zu merken, dass Julie neben ihm stand. In seinen Augen war wieder jene Entschlossenheit zu sehen, die sie schon in der Lodge bemerkt hatte. Was war nur mit ihm los? Wie konnte man von einem Berg so besessen sein, wenn man aus einer Großstadt kam und kein Bergsteiger war?

      Sie ging zu Carol und half ihr, den Gaskocher zusammenzupacken. Die Linakers unterhielten sich leise, anscheinend über die Clarke-Brüder, wenn man nach den amüsierten Blicken ging, die sie ihnen zuwarfen. Gary und Chris standen bereits vor dem Felsvorsprung und wären wohl am liebsten sofort losmarschiert, so ungeduldig blickten sie in den Dunst über den Bäumen. Josh saß auf seinem Backpack und blickte nachdenklich in seinen Becher.

      »Ein komischer Kauz«, flüsterte Julie der Rangerin zu. »Sein Vater hat ihm vom Mount McKinley erzählt, seitdem ist er besessen von dem Berg. Vielleicht bereut er, kein Bergsteiger wie sein Vater geworden zu sein.« Sie warf einen verstohlenen Blick auf Jacobsen, der immer noch auf den Mount McKinley starrte. »Aber Angst hat er nicht, und auf Schneeschuhen kommt er ganz gut zurecht.« Sie lächelte. »Für einen Mann aus Chicago, meine ich.«

      »Sein Vater war Bergsteiger?« Carol runzelte die Stirn.

      »Er ist früh gestorben. Ein Unfall.«

      »Jacobsen … irgendwie kommt mir der Name bekannt vor.«

      Nachdem sie den Gaskocher im Backpack verstaut hatten, marschierten sie weiter. Vor ihnen lagen zerklüftete Bergtäler, die sich teilweise tief in die Ausläufer der Alaska Range gegraben hatten und einigen Nebenflüssen des McKinley Rivers folgten, die in dem Schnee und dem Eis kaum zu sehen waren. Steile Felswände und schräg abfallende Hänge verhinderten, dass das wenige Licht, das im Winter über den Horizont kroch, in den Abgrund drang.

      Der schmale Jagdtrail, der unter der tiefen Schneedecke nur zu erahnen war, führte dicht an der Felswand entlang und über einige verschneite Hügel nach Süden. Carol war unzählige Male über den Trail gewandert, im Winter wie im Sommer, und wusste genau, wo er verlief. »Kein Grund zur Sorge«, rief sie den Teilnehmern zu, »solange Sie dicht hinter mir bleiben, kann gar nichts passieren. Der Trail ist breit genug, sonst hätten wir eine andere Route genommen. Sobald wir über die Hügel sind, geht es in eines der Täler hinab.«

      Julie ging wieder am Schluss und hatte diesmal die Linakers vor sich. Carol hatte darauf geachtet, dass Jacobsen und die Clarke-Brüder in der Mitte liefen, wo sie besser geschützt waren. Josh lief hinter der Rangerin, ein gelungener Schachzug, um ihn daran zu hindern, auf diesem gefährlichen Teilstück mit Julie zu reden. Eine Unterhaltung hätte sie beide nur abgelenkt, das musste auch Julie zugeben. Warum tust du nicht einfach das, was du dir vorgenommen hast, erinnerte sie sich an ihren Schwur, Josh Alexander wie jeden anderen Wanderer zu behandeln und alle Gefühle außen vor zu lassen. Wenn das so einfach wäre, fiel es ihr im selben Atemzug ein, doch ihr Wunsch, auf Dauer bei den Rangern im Denali National Park zu arbeiten, war groß und erleichterte ihr die Entscheidung. Wenn ihm so viel an ihr lag, konnte er sie auch an ihrem freien Tag besuchen oder nach Feierabend mit ihr sprechen.

      »Ranger!«, rief Gary, als sie die Hügel erreichten, und Carol sie über den verschneiten Hang zu führen begann. »Warum kürzen wir nicht quer über den Hang ab? Ist doch viel kürzer, und den Tiefschnee schaffen wir locker!«

      Noch bevor Carol antwortete, scherte er aus der Gruppe aus, dicht gefolgt von seinem jüngeren Bruder, und stapfte über den steilen Hang davon. »Sehen Sie? So sparen wir uns mindestens eine halbe Meile! Ist ganz einfach!«

      »Zurück! Sofort zurück!«, rief Carol entsetzt.

      Die beiden jungen Männer lachten nur, wollten der Rangerin wohl zeigen, dass sie sich auch ohne Führerin in den Bergen zurechtfanden, doch schon im nächsten Augenblick verging ihnen das Lachen, und Entsetzen zeigte sich in ihren Augen. Mit einem leisen Knacken brach der Schnee unter ihnen weg, und sie verloren das Gleichgewicht. Die abrutschenden Schneemassen rissen die beiden den Hang hinab und begruben sie unter dem wirbelnden Weiß.

      Julie war genauso entsetzt wie die anderen, fing sich aber relativ schnell, ließ ihren Backpack fallen und folgte Carol, die keine Sekunde gezögert hatte und sich bereits auf dem Hang befand. Mit seitlichen Schritten stieg die Rangerin zu den Schneemassen hinab, die sich vor drei verkrüppelten Schwarzfichten angehäuft hatten. »Bleiben Sie, wo Sie sind!«, rief sie den anderen zu. »Julie … du auch! Ich schaffe das auch allein. Ruf die Zentrale, sie sollen sofort einen Hubschrauber schicken! Jetzt zählt jede Sekunde, Julie!«

      Julie hatte das Funkgerät bereits in der Hand, als die Entwarnung kam. Gary und Chris gruben sich zwischen den Schwarzfichten aus den Schneemassen und zogen sich lachend an den Stämmen hoch. »Das war wohl nichts!«, rief Gary so fröhlich, als hätte er gerade einen besonders gelungenen Sprung mit seinem Snowboard hinter sich. »Das hätte bei den Meisterschaften nicht mal für den letzten Platz gereicht.« Er klopfte den Schnee von seinem Skianzug. »Warum schauen Sie denn so streng, Ranger? Ist doch nichts passiert.«

      »Nichts passiert, sagen Sie?« Carol war außer sich vor Wut. »Sie hätten tot sein können! Wenn die Bäume nicht gewesen wären, lägen Sie jetzt vielleicht da unten in der Schlucht!« Sie deutete in den dunklen Abgrund hinab.

      Gary ließ sich nicht einschüchtern. »So steil ist der Hang doch gar nicht. Da sind wir vom Snowboarden ganz andere Sachen gewöhnt, stimmt’s?«

      »Und das bisschen Schnee hat uns auch nichts ausgemacht«, unterstützte ihn sein Bruder. »So was passiert uns beim Training öfter. Kein Problem.«

      »Kein Problem?« Die Rangerin beruhigte sich nur mühsam, malte sich wohl aus, wie die Schlagzeilen ausgesehen hätten, wenn die beiden Snowboarder tatsächlich in die Schlucht gestürzt wären. »Park Rangerin verschuldet den Tod zweier junger Snowboarder.« Selbst wenn sie keine Schuld getroffen hätte, wäre ihre Karriere beendet gewesen, und man hätte sie sofort entlassen. »Als erfahrene Wintersportler sollten Sie eigentlich besser wissen, dass man in den Bergen kein unnötiges Risiko eingeht. Sind Sie verletzt?«

      »Alles noch dran, Ranger«, erwiderte Gary.

      »Nichts passiert«, stimmte ihm Chris zu.

      »Wenn Sie sich noch das Geringste zuschulden kommen lassen, schicke ich Sie nach Hause!«, warnte Carol. »Haben Sie mich verstanden? Oder ich breche die Wanderung ab, und Sie können sich auf saftige Schadenersatzforderungen gefasst machen. Bleiben Sie hinter mir, dann


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