Verschollen am Mount McKinley / Die Wölfe vom Rock Creek. Christopher Ross
Gespann werfen müssen.«
»Vielleicht wird unsere neue Praktikantin mit ihm fertig«, erwiderte der Superintendent. »Julie Wilson, sie ist eine begeisterte Musherin und wird sich hauptsächlich um die Hunde kümmern, unter Ihrer Anleitung natürlich. Julie, das ist Ranger Carol Schneider, sie arbeitet schon ein paar Jahre im Park.«
Julie war aufgestanden und reichte der Frau die Hand. Sie war Ende zwanzig, wirkte sehr sportlich und durchtrainiert und hatte ihre dunklen Haare zu einem Knoten gebunden. »Carol Schneider …«, überlegte Julie, »haben Sie nicht mal beim Iditarod mitgemacht? Sie waren Vierte, nicht wahr?«
»Fünfte«, verbesserte sie die Rangerin, »aber das ist eine Weile her.«
Der Superintendent erhob sich und begleitete die beiden Frauen zur Tür. »Ich wünsche Ihnen einen guten Start, Julie. Ranger Schneider wird Ihnen Ihre Unterkunft und die anderen Örtlichkeiten zeigen. Aber ich denke, Sie werden sich zuerst um Ihre Hunde kümmern wollen, nicht wahr?« Er lächelte verhalten. »Ich wollte auch mal am Iditarod teilnehmen. Leider hat es dazu nie gereicht. Aber ich weiß, wie anspruchsvoll manche Schlittenhunde sind.«
Zusammen mit der Rangerin fuhr Julie zu den Hundezwingern unterhalb der Park Headquarters. »Carol«, sagte die Rangerin unterwegs, »wir nennen uns hier alle beim Vornamen, nur beim Super machen wir eine Ausnahme.«
Die Hunde waren schon von Weitem zu hören. Als Julie die Abzweigung zu den Zwingern nahm, setzte ein vielstimmiges Jaulkonzert ein, das Julies Huskys lautstark erwiderten und wohl deutlich machen wollten, dass sie keinesfalls die Absicht hatten, im Nationalpark die zweite Geige zu spielen.
»Die merken, dass sie Konkurrenz bekommen«, sagte Carol.
Die Hundezwinger lagen in einer Mulde abseits der Park Headquarters. Es waren zwanzig feste Hütten, umgeben von einem hellen Holzzaun, einem Vorratsspeicher, wie überall in der Wildnis auf Stelzen gebaut, damit sich die wilden Tiere nicht daran vergriffen, und einem Schuppen, in dem Schlitten, Geschirre und andere Gerätschaften aufbewahrt wurden. Für Julies Huskys standen sechs leere Hütten bereit, weit genug von den anderen Hunden entfernt und schon mit den festgeschraubten Eimern, in denen das Futter gereicht wurde.
Wie jedes Mal kümmerte sich Julie zuerst um ihren Leithund. Nur wenn sie seine Führungsrolle innerhalb des Gespanns anerkannte, respektierten ihn die anderen Hunde. »Hey, Chuck!«, begrüßte sie ihn. Der Husky sprang aus seinem Verschlag und drängte sich gegen ihre Beine, ließ sich von ihr streicheln und liebkosen und brummte zufrieden, als sie seinen Kopf in beide Hände nahm und ihm einen Kuss auf den weißen Fleck drückte, der auf der Stirn sein schwarzes Fell unterbrach. »Das ist Chuck«, stellte sie ihn der Rangerin vor, »er hat in meinem Gespann das Sagen, und wenn ich nicht aufpasse, kommandiert er auch mich herum.« Sie gab ihm einen freundschaftlichen Klaps. »Ist er nicht ein Prachtkerl? Der beste Leithund südlich des Nordpols.«
Die Rangerin lachte. »Unser Skipper ist aber auch nicht ohne. Er hat sogar schon mal einen Orden bekommen, vor zwei Jahren, als er uns half, einen Vermissten in den Bergen aufzuspüren. Nur Rowdy macht uns ein wenig Kummer. Der Rabauke wird einfach nicht erwachsen. Sobald ihm etwas nicht in den Kram passt, fängt er zu bellen an und schnappt nach jedem, der ihm zu nahe kommt. Es wird allerhöchste Zeit, dass wir ihm Manieren beibringen.«
»Das kenne ich«, erwiderte Julie, während sie die anderen Hunde aus ihren Verschlägen holte und zu ihren Hütten brachte. »Curly, mein Jüngster, der mit den weißen Ohren, steht auch nicht auf Teamarbeit. Am liebsten würde er den ganzen Tag allein im Schnee herumtollen. Zum Glück hat Chuck ihn fest im Griff. Er knurrt ihn sofort an, wenn er sich nicht benimmt. Wie ein Wolf.«
Nachdem Julie ihre Hunde untergebracht und den Pick-up auf dem nahen Parkplatz abgestellt hatte, machte Carol sie mit den Hunden des Nationalparks vertraut. Je nach Temperament beschnüffelten die Hunde sie neugierig, bellten herausfordernd oder straften sie mit Nichtachtung, wie eine schlanke Husky-Dame mit schwarz-weiß geflecktem Fell. Sie wandte ihr das Hinterteil zu und schien bewusst in eine andere Richtung zu blicken, als wollte sie sagen: Was fällt dieser Zweibeinerin ein, hier unangemeldet hereinzuplatzen?
Carol hatte diese Reaktion bereits erwartet. »Darf ich vorstellen? Lady, die vornehmste Dame des Nationalparks, die weiblichen Ranger eingerechnet. Eigentlich hätten wir sie ›Prinzessin‹ taufen sollen, so wie sie sich benimmt.«
»Hi, Prinzessin«, grüßte Julie die Hündin.
Keine Reaktion.
»Ich meine natürlich, es ist mir eine außerordentliche Freude, die Bekanntschaft einer so hübschen und vornehmen Hundedame zu machen«, verbesserte sie sich. »Mit diesem Aussehen und dieser eleganten Haltung würden Sie auf jeder Hundeshow den ersten Preis gewinnen! Hab ich nicht recht, Carol?«
Carol grinste. »Ganz sicher, Julie.«
Die freundlichen Worte überzeugten die Hundedame. Zumindest für ein paar Sekunden wandte sie Julie ihr Gesicht zu und schenkte ihr einen Blick in ihre blauen Augen. Sie war tatsächlich eine ausgesprochen elegante Hündin.
Ganz im Gegensatz zu Buddy, einem kräftigen Rüden, der ihr seine blitzenden Reißzähne zeigte und sich erst beruhigte, als er Julies sanfte Stimme hörte. »So böse meinst du es doch gar nicht, Buddy. Ein kräftiger Bursche wie du hat diese Drohgebärden doch gar nicht nötig. Ich wette, du bist der kräftigste Hund hier. Ich hab auch so einen Burschen im Team. Er heißt Bronco und ist mindestens genauso stark wie du. Ich hoffe, ihr vertragt euch.«
Ihren Problemhund Rowdy brauchte Carol gar nicht vorzustellen. Bei Julies Anblick zerrte er an seiner Kette und bellte aus Leibeskräften, wie ein Wachhund, dem man zu nahe gekommen war, und wirbelte den Schnee auf, der sich vor seiner Hütte angesammelt hatte. Wie ein Irrwisch sprang er herum.
Julie blieb in respektvoller Entfernung stehen. »Du musst Rowdy sein«, sagte sie lächelnd. »Warum bist du denn so wütend? Du musst doch nicht so einen Lärm machen. Oder kannst du mich nicht leiden? Das glaube ich nicht, Rowdy. Ich kann dich nämlich ganz gut leiden. Du bist ein stattlicher Kerl und hast sicher einiges drauf. Also mach nicht solch einen Lärm, sonst erinnerst du mich noch an meine Highschool-Zeit. Da gab es einen Jungen, der war genauso wie du, immer die große Klappe. Leider hatte er sonst wenig zu bieten. Das ist bei dir anders, da bin ich ganz sicher. Du bist ein guter Hund.«
Rowdy schien sie zu verstehen und hielt tatsächlich einen Augenblick inne, dann aber bellte er noch lauter als zuvor und steckte auch einige der anderen Hunde an. Sogar ihr Bronco fühlte sich herausgefordert und bellte wild.
Carol hatte wohl so etwas erwartet. »Rowdy ist eine harte Nuss, der gibt nicht mal Ruhe, wenn ihn der Super anspannt, und der lässt sich wenig gefallen.« Sie wandte sich dem aufgebrachten Hund zu. »Und wenn du nicht gleich die Klappe hältst, gibt’s heute Abend nichts zu fressen, hast du mich verstanden? Was soll denn Julie von uns denken, wenn du so einen Lärm machst!«
Unterwegs zu den Blockhäusern der Park Headquarters, die oberhalb des Hundezwingers lagen, fügte sie beinahe entschuldigend hinzu: »Wenn wir unterwegs sind, gibt er sich etwas gesitteter. Skipper hat ihn ganz gut im Griff.«
Das Hauptquartier des Parks hatte sie bereits nach ihrer Vorstellung kennengelernt. Außer dem Hauptquartier mit den Büros und dem stattlichen Blockhaus, in dem Superintendent John W. Green mit seiner Frau wohnte, gab es eine Werkstatt und eine Tankstelle sowie eine Recreation Hall mit Fernseher, Computer, einem Pooltisch, einer kleinen Bücherei und einer Halle, in der Volleyball oder Basketball gespielt wurde. Im C-Camp teilten sich jeweils zwei Ranger ein Blockhaus mit zwei Schlafräumen und einer kleinen Küche, für die morgendliche Dusche gab es ein Shower House außerhalb des Camps, in dem auch die Waschmaschinen und Trockner untergebracht waren. Die monatliche Miete wurde vom Lohn abgezogen. »Kein Vergnügen, der Gang zum Shower House, wenn es so geschneit hat wie heute«, sagte Carol.
Carol führte Julie zu einem der Blockhäuser. »Du wohnst bei mir«, sagte sie und zeigte ihr das leere Schlafzimmer. Es war nüchtern eingerichtet, außer einem Bett gab es lediglich einen eingebauten Schrank und einen kleinen Schreibtisch, aber zumindest gab es ein Fenster, durch das man den lichten Fichtenwald und die Lichter einiger anderer Häuser sehen konnte.