Dr. Daniel Classic 44 – Arztroman. Marie Francoise
aufgetreten?
Entschlossen stand er auf. »Ich rufe Dr. Leitner an.«
Es dauerte nicht lange, bis sich der neue Steinhausener Kinderarzt meldete.
»Herr Kollege, hier Daniel. Es tut mir leid, wenn ich Sie zu Hause stören muß, aber ich habe da ein Kind mit hohem Fieber, Hals- und Kopfschmerzen.«
»Kein Problem«, meinte Dr. Markus Leitner spontan. »Schließlich bin ich ja Kinderarzt geworden, um in solchen Fällen zu helfen. Ist der kleine Patient bei Ihnen oben?«
»Nein, im Pfarrhaus.«
Wenn Dr. Leitner darüber erstaunt war, so wußte er es geschickt zu verbergen.
»Ich komme sofort«, erklärte er nur und war auch tatsächlich schon wenig später zur Stelle. In knappen Worten informierte Dr. Daniel ihn über die unglücklichen Familienverhältnisse der Kleinen und gab damit auch eine Erklärung für Anna-Lenas Anwesenheit im Pfarrhaus.
»Möglicherweise ist das alles nur eine Reaktion auf die Hochzeit ihrer Mutter«, meinte Dr. Leitner. »Aber das werden wir gleich herausfinden.«
Er betrat das Wohnzimmer, grüßte Pfarrer Wenninger und Gerdi Schuster mit einem freundlichen Lächeln und wandte sich dann dem kranken Kind zu.
»Hallo, Anna-Lena, ich bin der neue Doc«, erklärte er und setzte sich spontan auf die Kante des Sofas. »In meiner Praxis hätte ich ganz tolle Spielsachen. Da wäre unser Kennenlernen sicher fröhlicher verlaufen, aber das holen wir dann später noch nach.«
»Ja, Herr Doktor«, flüsterte Anna-Lena.
Dr. Leitner schüttelte den Kopf. »Nein, mein Schätzchen, ich bin nicht der Herr Doktor. Ich heiße Markus. So, und jetzt wollen wir mal sehen, was dir fehlt. Du mußt keine Angst haben, Kleines, ich werde dir nicht weh tun. Als erstes drehst du dich mal zur Seite, dann sehen wir nach, wie hoch dein Fieber ist.«
Anna-Lena gehorchte, doch dann liefen plötzlich Tränen über ihr Gesichtchen.
»Na, na, so dicke Tränen wegen ein bißchen Fiebermessen?« fragte Dr. Leitner. »Das ist doch nun wirklich nicht so schlimm.«
Anna-Lena schüttelte den Kopf. »Deswegen weine ich ja auch nicht. Ich möchte doch nur heim zu meiner Mutti.«
Markus und Dr. Daniel tauschten einen langen Blick, dann streichelte der Kinderarzt über Anna-Lenas heiße Wange.
»Sobald deine Mutti wieder zu Hause ist, darfst du heim, ja?« meinte er. »In der Zwischenzeit müssen wir uns aber anders behelfen.« Er schwieg einen Moment. »Den Dr. Daniel kennst du doch schon lange, nicht wahr?« Er wartete Anna-Lenas zaghaftes Nicken ab, dann fuhr er fort: »Glaubst du, es wird leichter, wenn er deine Hand hält?«
Wieder nickte Anna-Lena, und Dr. Daniel ging sofort neben ihr in die Hocke, ergriff ihre glühendheiße Hand und streichelte sie zärtlich.
»Na, siehst du, mein Schätzchen«, erklärte Dr. Leitner. »Jetzt kriegen wir das alles in den Griff.« Er holte ein steril verpacktes Holzspatel aus seiner Tasche. »Nun machst du deinen Mund mal ganz weit auf, Anna-Lena, damit ich einen Abstrich nehmen kann. Das tut auch gar nicht weh. Es kann nur sein, daß du ein bißchen würgen mußt, aber es ist dann gleich vorbei.«
Die Abstrichuntersuchung, die Dr. Leitner sofort vornahm, ergab tatsächlich, daß sich Anna-Lena mit Scharlach angesteckt hatte.
»Es war gut, daß Sie mich gleich angerufen haben, Herr Kollege«, urteilte Markus.
»Robert«, verbesserte Dr. Daniel. »In einem so kleinen Ort wie Steinhausen sollte man auch unter Kollegen nicht ganz so förmlich sein.«
Dr. Leitner lächelte. »Dieser Meinung bin ich eigentlich auch.« Er zögerte, dann fügte er hinzu: »Wolfgang hat mir übrigens schon eine Menge über Sie erzählt.«
»Und Sie haben ihm hoffentlich nur die Hälfte geglaubt«, ergänzte Dr. Daniel.
»Ich weiß nicht«, entgegnete Dr. Leitner, während er in seiner Tasche nach einem passenden Medikament für Anna-Lena suchte. »Was er gesagt hat, klang durchweg sehr glaubhaft, und nun, da ich Sie endlich mal näher kennengelernt habe, denke ich, daß er da keineswegs übertrieben hat.« Jetzt holte er eine schmale, längliche Packung hervor und wandte sich Gerdi Schuster zu. »Leider habe ich den Saft nicht mehr bei mir, den ich Scharlachkindern normalerweise verschreibe. Dieses Wochenende wurden meine Vorräte ziemlich geplündert, weil doch einige Scharlachfälle aufgetreten sind. Geben Sie Anna-Lena ab morgen früh dreimal täglich ein Zäpfchen – so lange, bis die Packung aufgebraucht ist. Sie wird sich zwar morgen abend schon wieder besser fühlen, trotzdem darf die Behandlung nicht abgebrochen werden.« Er öffnete die Packung und entnahm ihr ein Zäpfchen. »Das erste bekommt sie jetzt gleich von mir.«
Wieder setzte er sich zu Anna-Lena auf das Sofa und bat sie, sich zur Seite zu drehen. Und während er sie in einem kurzen Gespräch ablenkte, führte er ihr rasch und geschickt das Zäpfchen ein.
»Au«, jammerte Anna-Lena leise.
»Nein, mein Schätzchen, das tut doch überhaupt nicht weh«, wehrte Dr. Leitner ab. »Anfangs ist nur der Druck ein bißchen unangenehm, aber das hört gleich auf.« Sanft streichelte er über ihr Haar. »Du wirst jetzt schön schlafen, und morgen fühlst du dich bestimmt schon besser.« Er lächelte sie an. »Am Mittwochfrüh besuchst du mich dann in meiner Praxis, einverstanden?«
Anna-Lena nickte schwach. »Ja, Herr Doktor… Markus.«
»Fein, mein Schätzchen.« Er winkte ihr noch zu, dann verließ er zusammen mit Dr. Daniel, Gerdi und Pfarrer Wenninger das Wohnzimmer.
»Ein süßes Mädel«, urteilte Dr. Leitner, und dabei huschte ein Hauch von Melancholie über sein Gesicht, was Dr. Daniel sofort bemerkte. Doch er kannte den jungen Arzt nicht gut genug, um sich eine diesbezügliche Frage zu erlauben.
»Herr Doktor«, meldete sich Gerdi zu Wort. »Ich… ich weiß nicht, ob ich das kann… ich meine, wenn sich Anna-Lena gegen diese Zäpfchen wehrt… oder wenn sie ihr sogar weh tun…«
Dr. Leitner lächelte. »Die tun ihr mit Sicherheit nicht weh. Sie sind der Kleinen nur etwas unangenehm.« Dann wurde er wieder ernst. »Sie dürfen sich da nicht erweichen lassen. Anna-Lena muß das Medikament bekommen, denn mit den Spätschäden, die durch Scharlach verursacht werden können, ist nicht zu spaßen.«
Gerdie seufzte abgrundtief, woraufhin sich Dr. Daniel einmischte.
»Wissen Sie was, Gerdi, ich nehme Anna-Lena mit zu mir«, schlug er vor. »Rufen Sie Beate morgen früh an, und sagen Sie ihr, daß die Kleine Scharlach hat. Ich bin sicher, daß sie viel zuviel Angst vor der Ansteckung hat, als daß sie darauf bestehen würde, Anna-Lena zu sich zu holen.«
»Die ist doch nur froh, wenn sie die Kleine los ist«, grummelte Gerdi.
Dr. Daniel nickte. »So sehe ich das leider auch. Also, Gerdi, ich nehme Anna-Lena mit und behalte sie bei mir oben, bis sie gesund ist.«
Dankbar stimmte Gerdi diesem Vorschlag zu. Sie hätte es nicht übers Herz gebracht, der Kleinen gegen ihren Willen ein Medikament zu verabreichen, das sie ablehnte.
Als sich Dr. Leitner dann endgültig verabschiedet hatte, kehrte Dr. Daniel ins Wohnzimmer des Pfarrers zurück, wickelte die jetzt schlafende Anna-Lena in eine Decke und trug sie zu seinem Auto. Wenig später lag sie in Dr. Daniels Gästezimmer, ohne von ihrem Umzug etwas mitbekommen zu haben.
Voller Mitleid sah Dr. Daniel auf das Mädchen hinunter, und dabei war es ihm wieder unbegreiflich, wie Beate es schaffte, zu diesem liebenswerten Kind überhaupt keine Beziehung aufzubauen.
*
Der Morgen im Hause Daniel verlief ein wenig stressiger als sonst. Unmittelbar nach dem Duschen betrat Dr. Daniel das Gästezimmer und sah, daß Anna-Lena aufgewacht war.
»Na, Kleines, wie fühlst du dich?« wollte er wissen.
»Mein Hals tut noch immer weh«, erklärte sie, dann sah