Dr. Daniel Classic 44 – Arztroman. Marie Francoise
ein paar Tage zu mir kommst – genauer gesagt, bis du wieder gesund bist, aber das wird schon sehr bald der Fall sein.« Während er gesprochen hatte, hatte er ein Zäpfchen aus der Verpackung genommen. »So, Kleines, jetzt drehst du dich bitte schön zur Seite.«
»Nein!« erwiderte Anna-Lena und begann zu weinen. »Ich will das nicht mehr! Es tut weh!«
»Nein, Anna-Lena, es tut nicht weh, aber es muß wirklich sein«, erklärte Dr. Daniel, obwohl es ihm schwerfiel, angesichts dieser bitteren Tränen hart zu bleiben. »Du willst doch wieder gesund werden, oder?«
Heftig schüttelte Anna-Lena den Kopf.
»Probleme, Papa?« fragte sein Sohn Stefan von der Tür her.
»Sieht so aus«, antwortete Dr. Daniel und wies mit einer flüchtigen Kopfbewegung zu dem Medikament, das er Anna-Lena gerade verabreichen wollte.
Stefan lächelte. »Akute Ablehnungshaltung. Keine Sorge, Papa, das kommt in der Klinik laufend vor – und nicht nur bei Kindern. Bei so einem kleinen Zwerg ist das Problem allerdings leicht zu beheben.« Damit nahm er Anna-Lena auf die Arme und hielt sie fest, bis Dr. Daniel ihr das Zäpfchen eingeführt hatte.
Anna-Lena schluchzte herzzerreißend, was bei Dr. Daniel dazu führte, daß er beinahe so etwas wie ein schlechtes Gewissen bekam, und die Rechtfertigung, daß die Kleine das Medikament bekommen mußte, nützte in diesem Fall leider auch nicht viel. Stefan bemerkte natürlich, was mit seinem Vater los war, und grinste.
»Erinnerst du dich noch, wie ich in diesem Alter gebrüllt habe, wenn du mit Zäpfchen angekommen bist?« fragte er. »Bei mir warst du in dieser Beziehung übrigens nicht so mitfühlend.«
Dr. Daniel betrachtete die kleine Anna-Lena, die jetzt wieder eingeschlafen war.
»Ja, weißt du, Stefan, mit zwei kleinen Kindern war ich etwas mehr in Übung – doch jetzt…– in meiner Praxis werde ich normalerweise doch mit anderen Fällen konfrontiert.«
»Das glaube ich gern«, stimmte Stefan zu, dann warf er dem schlafenden Mädchen einen kurzen Blick zu. »Wieso ist sie überhaupt hier?«
Dr. Daniel seufzte, dann schilderte er seinem Sohn, was am Abend zuvor geschehen war.
»Diese Beate ist kalt wie Eis«, urteilte Stefan. »Eigentlich verdient sie es gar nicht, ein so süßes Kind wie Anna-Lena zu haben.«
Bei diesen Worten fiel Dr. Daniel wieder der melancholische Ausdruck auf Dr. Leitners Gesicht ein, und er beschloß, mit Wolfgang darüber zu sprechen. Immerhin waren die beiden einmal zusammen zur Schule gegangen, und nach Dr. Leitners Bemerkungen zu schließen, mußten sie schon begonnen haben, ihre damalige Freundschaft wieder aufleben zu lassen.
»Mußt du heute nicht zum Dienst?« wollte Dr. Daniel jetzt von seinem Sohn wissen.
Stefan grinste. »Auch ein Assistenzarzt hat gelegentlich mal einen freien Tag.« Dann legte er seinem Vater eine Hand auf die Schulter. »Geh du ruhig in deine Praxis, Papa. Ich kümmere mich schon um Anna-Lena.«
Erstaunt sah Dr. Daniel ihn an. »Was ist los mit dir, mein Sohn? Erwachen in dir vielleicht schon Vatergefühle?«
Im selben Moment schlug Stefans vorher sehr friedliche Stimmung ins Gegenteil um.
»Also, weißt du, Papa«, entgegnete er energisch. »Wenn man sich um ein krankes Kind kümmert, muß man nicht unbedingt gleich selbst welche haben wollen. Immerhin gehört das ja auch zu meinem Beruf, aber wenn du noch öfter solche Andeutungen machst, dann werde ich es mir wohl doch noch genauer überlegen müssen, bevor ich dir meine Hilfe anbiete.«
»Gnade, Stefan!« flehte Dr. Daniel. »So war’s doch nicht gemeint.«
»Dann sag es bitte nächstes Mal auch nicht so«, erwiderte Stefan, und erst jetzt erkannte Dr. Daniel, daß sein Sohn die vorangegangenen Worte tatsächlich ernst gemeint hatte.
»Hör mal, Stefan, seit wann reagierst du so überempfindlich?« hakte Dr. Daniel nach. »Ist etwas nicht in Ordnung?«
»Papa, tu mir einen Gefallen und mach, daß du in deine Praxis kommst«, erklärte Stefan, und obwohl er sich dabei um einen scherzenden Ton bemühte, erkannte Dr. Daniel doch die versteckte Aggressivität, die hinter seinen Worten stand. »Du gehst mir im Moment ein bißchen auf die Nerven.«
»Das will ich natürlich nicht«, meinte Dr. Daniel und wandte sich zur Tür, doch dort drehte er sich noch einmal um. »Ich verlasse mich darauf, daß du zu mir kommst, wenn du mit einem Problem nicht mehr allein fertig wirst.«
Stefan nickte nur, dann wandte er seinem Vater demonstrativ den Rücken zu und kümmerte sich fast fieberhaft um die kleine Anna-Lena. Nur mit Mühe konnte Dr. Daniel einen Seufzer unterdrücken. Anscheinend kamen auch innerhalb der Familie mal wieder gewisse Schwierigkeiten auf ihn zu.
»Mein großer Bruder ist zur Zeit nur schwer zu verkraften«, meinte Karina, die einen Teil des Streitgesprächs zwischen Vater und Sohn mitbekommen hatte.
»Weißt du denn, was mit ihm los ist?« hakte Dr. Daniel nach.
Bedauernd schüttelte Karina den Kopf. »Leider nicht, aber rein gefühlsmäßig würde ich annehmen, daß ein weibliches Wesen dahintersteckt. Stefan hat keinen Appetit, ist furchtbar launisch und geht meistens schon vor neun Uhr abends zu Bett. Das kann eigentlich nur Liebeskummer sein.«
Dr. Daniel erwiderte nichts darauf, weil für seine Begriffe auch eine Krankheit hinter Stefans Verhalten stecken konnte. Allerdings hoffte er dennoch, daß seine Tochter recht hatte. Mit Liebeskummer war Stefan noch immer fertig geworden – auch wenn es gelegentlich sehr schmerzlich für ihn gewesen war.
*
Unmittelbar nach der Vormittagssprechstunde lief Dr. Daniel rasch in seine Wohnung hinauf, um nach Anna-Lena zu sehen, doch seine Sorge war unbegründet. Stefan kümmerte sich beispielhaft um das kleine Mädchen.
»Allmählich scheint sie einzusehen, daß sie um die Zäpfchen doch nicht herumkommt«, meinte Stefan. »Mittags war es schon gar nicht mehr so problematisch. Ihre Temperatur ist übrigens auch schon gesunken.«
»Ans Fiebermessen habe ich heute früh gar nicht mehr gedacht«, fiel es Dr. Daniel ein, dann legte er seinem Sohn eine Hand auf die Schulter. »Danke, daß du mir da ein bißchen hilfst.«
»Schon gut, Papa. Ich weiß ja, was du immer um die Ohren hast.«
Stefans Einsicht verleitete Dr. Daniel beinahe dazu, noch einmal das Thema vom Morgen aufzugreifen, doch dann ließ er es lieber bleiben. Er wollte nicht wieder eine Mißstimmung heraufbeschwören. Statt dessen verabschiedete er sich von Stefan und fuhr rasch zur Waldsee-Klinik.
Er hatte die Eingangshalle gerade betreten, als ihm die junge Krankenpflegehelferin Darinka Stöber entgegenkam.
»Guten Tag, Herr Dr. Daniel«, grüßte sie freundlich, zögerte einen Moment und fuhr dann fort: »Ich bin froh, daß ich Ihnen gerade begegne.«
Väterlich legte Dr. Daniel einen Arm um ihre Schultern. »Na, Darinka, was hast du denn auf dem Herzen?«
Das junge Mädchen atmete tief durch. »Wissen Sie, es ist… ich möchte mit Bianca zusammenziehen, aber meine Großeltern… die sind doch in allem ein bißchen altmodisch. Sie denken immer, ich müßte erst heiraten, bevor ich von zu Hause ausziehen darf.«
Dr. Daniel nickte. Er kannte das Ehepaar Stöber zur Genüge um zu wissen, daß Darinka gelegentlich einen ziemlich schweren Stand hatte. Das Mädchen hatte schon als Kind Mutter und Vater verloren und war bei den Großeltern aufgewachsen. Als sie zum ersten Mal in Dr. Daniels Praxis gekommen war, war sie zwölf Jahre alt gewesen und hatte voller Angst gesteckt, weil sie der festen Meinung gewesen war, sterben zu müssen. Sie hatte ihre erste Regelblutung bekommen ohne zu wissen, weshalb sie plötzlich so viel Blut verlor. Dr. Daniel hatte damals sehr behutsam Aufklärung betrieben und dabei noch einiges ans Tageslicht befördert, was das Mädchen über kurz oder lang zur Außenseiterin gemacht hätte, wenn es nicht abgestellt worden wäre.
Das Ehepaar