Der neue Sonnenwinkel 78 – Familienroman. Michaela Dornberg
Sie befand sich in einer Art Sinneskrise, wollte herausfinden, wer sie eigentlich ist.«
Rosmarie sah ihren Sohn an, als habe er gerade in einer ihr völlig fremden Sprache zu ihr gesprochen.
»Mama, Stella hatte sich in Jörg verguckt, seit sie ihn zum ersten Male gesehen hatte. Und ihr ganzes Streben lag damals darin, ihn zu bekommen. Wir wissen, dass es eine ganze Weile gedauert hat, bis ihr Ziel endlich erreicht war. Sie hat das Glück von Ricky und mir gesehen, und so etwas wollte sie auch haben.«
Es war schwer für Rosmarie, diese Worte richtig einzuordnen. Doch sie versuchte es.
»Fabian, korrigier mich bitte, wenn ich es falsch verstanden habe, was du da gerade gesagt hast. Das mit Ricky und dir, das war Liebe auf den ersten Blick. Ihr habt euch ineinander verliebt, ohne etwas voneinander zu wissen. Jörg ist der Bruder von Ricky, doch ich kann mich nicht erinnern, bei Stella ein Interesse an ihm bemerkt zu haben. Hat sie ihn nur genommen, oder besser gesagt, ihn dahingebracht, sie zu nehmen, weil sie auch jemanden von den Auerbachs haben wollte?«
»Mama, bitte zerbrich dir darüber nicht den Kopf. Es ist auch so müßig, die Vergangenheit hervorzuholen, wie, was, warum es so und nicht anders war. Gewiss hat sie Jörg geliebt oder zumindest bewundert. Und sie hatte ja auch ein großartiges Leben an seiner Seite, Jörg ist ein kluger, herzensguter Mann, dem seine Familie sehr am Herzen lag, bis Stella sie zerstört hat. Das ist leider so. Er hat Karriere gemacht, sie war Hausfrau, auch wenn es eine war, die Personal hatte, sich alles leisten konnte. Jörg machte Karriere, und Stella bekam, so sagte sie zumindest, Minderwertigkeitsgefühle, weil sie zwar Abitur gemacht, aber keinen Beruf gelernt hatte.«
»Fabian, das hat Ricky auch nicht, weil sie sich dafür entschieden hat, Ehefrau und Mutter zu sein. Und das ist sie mit Begeisterung, und das nimmt sie so ernst, dass sie sogar das begonnene Studium schweren Herzens wieder aufgegeben hat, weil sonst die Kinder darunter gelitten hätten. Müssen wir jetzt Angst haben, dass auch Ricky irgendwann auf die Idee kommt, sich verwirklichen zu müssen und dass sie sich die Kinder schnappt und verschwindet?«
Rosmarie hatte es ernst gemeint, doch Fabian begann bei einer derartigen Vorstellung lauthals zu lachen.
»Mama, das wird nie im Leben geschehen, Ricky und ich, unsere Kinder, das ist das größte Glück auf Erden, und das würde niemand von uns zerstören. Dafür bürge ich.« Er wurde wieder ganz ernst. »Außerdem kannst du Ricky und Stella nicht miteinander vergleichen. Sie haben sich zwar gut verstanden, doch das lag in erster Linie an Ricky, weil sie ein so besonderer Mensch ist. Stella hatte schon immer ihre Eigenheiten. Doch Schluss damit, das müssen wir jetzt nicht zerreden. Ich bin gekommen, um dir die wundervolle Neuigkeit mitzuteilen, dass Stella zurückkommen möchte, und das wollen wir gebührend würdigen. Freust du dich, Mama?«
Jetzt konnte Rosmarie nicht anders, sie musste weinen. Es war alles einfach nur schwer zu verkraften.
Wieder wollte Fabian aufstehen, um seine Mutter tröstend in seine Arme zu nehmen, als von der Haustür her ein Getöse zu vernehmen war. Missie und Beauty bellten aufgeregt, sie spürten, dass Besuch da war, und dann kamen sie auch schon in den Raum gestürzt, begrüßten Rosmarie und Fabian, gebärdeten sich dabei wie wild. Auch wenn Fabian nicht so oft zu seinen Eltern kam, spürten die beiden Hundedamen, dass er Tiere liebte, schließlich hatte er früher sogar selber seine geliebten Collies gehabt, von denen er sogar einen Pamela geschenkt hatte, als die noch ein ganz kleines Mädchen gewesen war.
Doch bei aller Liebe, als Beauty und Missie merkten, dass außer Streicheleinheiten für sie nichts zu holen war, verzogen sie sich beleidigt.
Meta betrat den Raum.
»Herr Dr. Rückert«, begrüßte sie Fabian freudig, bekam mit einem Blick mit, dass Mutter und Sohn beisammensaßen ohne ein Getränk. Das ging nun überhaupt nicht!
»Hat Ihnen denn niemand einen Kaffee angeboten?«, erkundigte sie sich beinahe entsetzt, um sofort fortzufahren: »Wenn Sie einen mögen, den werde ich Ihnen schnellstens servieren.«
»Es wäre großartig«, sagte Fabian lächelnd, der Meta gern mochte. »Und was halten Sie von einem Stück Mohnkuchen dazu?«, wollte Meta wissen. »Den habe ich gerade erst gebacken.«
»Meta, Sie wissen doch, wie gern ich Kuchen esse. Und Mohnkuchen, da kann ich nicht widerstehen.«
Es freute Meta, sie beeilte sich, in die Küche zu kommen, und Rosmarie stellte fest: »Ohne Meta wären wir völlig verloren. Stella mochte sie auch sehr. Was meinst du, Fabian, darf ich Meta erzählen, dass Stella zurückkommen wird?«
Fabian zögerte kurz.
»Ich denke schon, Mama, Meta gehört ja praktisch zur Familie, doch du solltest vorsichtshalber ein Vielleicht hinzufügen.«
Sofort wirkte Rosmarie irritiert und verunsichert.
»Du meinst, dass sie am Ende doch nicht zurückkommen wird, Fabian?«
Ihrem Gesicht war deutlich anzusehen, wie entsetzt sie war, und Fabian ärgerte sich schon über sich selbst. Hätte er das jetzt bloß nicht gesagt. Er versuchte sofort, die Wogen zu glätten.
»Mama, es ist Stellas feste Absicht, sonst wäre ich doch nicht hergekommen, um es dir zu erzählen. Auch wenn ich mit meiner Schwester sehr vertraut bin, würde ich die Hand für sie jetzt lieber nicht mehr ins Feuer legen. Sie war früher ziemlich wankelmütig, weil sie nie genau wusste, ob sie etwas wirklich wollte oder ob sie etwas nur deswegen wollte, weil alle es hatten. Inzwischen ist viel geschehen, wir haben uns aus den Augen verloren, ich weiß nicht, wie sie heute tickt.«
Rosmarie verstand, was Fabian damit andeuten wollte, und sie konnte es sich überlegen, ob sie Meta schon jetzt einweihen sollte, Heinz würde es auf jeden Fall erfahren. Und Rosmarie hoffte sehr, dass er sich ebenfalls von Herzen freuen würde oder ob er nicht mit Vorbehalten an alles herangehen wollte, weil er von Stella zutiefst enttäuscht war.
Sie musste sich darüber nicht den Kopf zerbrechen, denn erstaunlich schnell kam Meta mit dem Kaffee und dem Kuchen zurück. Die Hunde hatte sie zum Glück in der Küche gelassen.
Fabian bedankte sich, und dann konnten Mutter und Sohn den Kaffee, insbesondere den köstlichen Mohnkuchen essen, den man heutzutage kaum noch bekam und den niemand so lecker backen konnte wie Meta. Nicht einmal Ricky, und die konnte ansonsten beinahe alles.
Und sie unterhielten sich, diesmal etwas entspannter, Rosmarie bedankte sich bei Fabian. »Dass du deswegen extra in den Sonnenwinkel gekommen bist, mein Junge, ich weiß überhaupt nicht, wie ich mich dafür bei dir revanchieren kann.«
»Mama, freu dich einfach. Ich weiß doch, wie sehr du darunter gelitten hast, von Stella und den Kindern nichts mehr zu hören. Ich bin überzeugt davon, dass du jetzt ruhiger schlafen kannst. Und wir warten einfach ab. Ricky und ich haben ihr deutlich zu verstehen gegeben, dass unser Haus auch ihr Haus ist und dass sie alle bleiben können, solange sie wollen.«
»Ricky ist ein wahrer Engel«, konnte Rosmarie sich nicht verkneifen zu sagen, und Fabian bestätigte lächelnd: »Mama, das denke ich manchmal auch … Sie und die Kinder sind mein ganzes Glück.«
Er trank noch einen Schluck seines Kaffees, aß aber nicht einmal seinen Kuchen auf. Er hatte es plötzlich sehr eilig, nachdem er auf seine Armbanduhr geschaut hatte.
»Mama, ich würde gern noch bleiben, doch ich muss dringend los. Komm uns doch bald mal besuchen, dann kannst du uns erzählen, wie es in Südtirol war, kannst uns Bilder zeigen. Erholt hast du dich auf jeden Fall fantastisch, das sieht man. Du siehst großartig aus.«
Rosmarie errötete bei diesem Kompliment wie ein ganz junges Mädchen. Solche Worte aus dem Munde ihres Sohnes, die waren überhaupt nicht selbstverständlich. Es hatte ganz andere Zeiten gegeben, an die sie lieber nicht mehr erinnert werden wollte.
»Willst du nichts von dem Kuchen mitnehmen?«, erkundigte sie sich schnell. »Ricky mag Mohnkuchen doch auch sehr gern.«
Ehe Fabian diese Frage beantworten konnte, betrat Meta den Raum, mit einer großen Kuchenbox in der Hand.
»Ich