Von der politischen Berufung der Philosophie. Donatella Di Cesare

Von der politischen Berufung der Philosophie - Donatella Di Cesare


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mit glasklarer Evidenz ausleuchtet. Es gibt nichts mehr – oder fast nichts –, was die universale Vernunft nicht enthüllte, nicht freilegte. So will es der Triumph des Ausdrücklichen über das Verborgene, der Sieg der Gegenwart über die Abwesenheit. Das, was nicht mehr oder noch nicht ist, sinkt dank der dumpfen Ontologie, die jede Alterität exorziert, zu einem reinen Nicht-Sein herab.

      Im Rahmen eines erneuerten prometheischen Unterfangens wird versucht, das immerwährende Licht des Jenseits einzufangen, um es im Diesseits in eine beständige Illumination zu übersetzen, die – ohne je zu entflammen und ohne zu erlöschen – stets dieselbe gleichbleibende Stärke bewahrt. Es handelt sich um eine entschiedene, sich als endgültig setzende Erwiderung auf den pavor nocturnus, der über Jahrhunderte hinweg die Weltgeschichte aufgerüttelt hat. Besser eine Lichtnarkose als Präventivmaßnahme gegen die unmittelbar bevorstehende Apokalypse. In der Offenbarung des Johannes heißt es: »Und die Stadt bedarf keiner Sonne noch des Mondes, dass sie ihr scheinen […]. Und ihre Tore werden nicht verschlossen des Tages; denn da wird keine Nacht sein« (Offenbarung 21,23–25). Der Kampf gegen die verborgenen Mächte erreicht mit der neuzeitlichen Aufklärung seinen Höhepunkt. Danach aber erhält er eine Auszeit, als die ersten Romantiker – anstatt sie anzuklagen – den Verlust der Nacht beklagen. In seinen Hymnen wird sie von Novalis zur »heiligen, unaussprechlichen, geheimnisvollen Nacht«14 erklärt. Sie wird zur festen Verbündeten jener Innerlichkeit, die andernfalls zu verschwinden droht. Der Marsch hebt danach jedoch mit beschleunigtem Rhythmus wieder an und wird jetzt von der Wissenschaft angeführt und von der Technik unterstützt, die der Dunkelheit den totalen Krieg erklären. Die metaphysischen Lichter nehmen konkrete Formen an und verwandeln sich in elektrische Installationen. Die Stadt, die von einem positiven Denken taghell erleuchtet wird, das einen pragmatischen Lebensstil verbürgen soll, kann die Nacht getrost vergessen oder besser: sie eingedenk der romantischen Mahnung zurückgewinnen, um ihre Restbestände der Psychoanalyse zu überantworten. Die Überwindung der Nacht verfügt und ratifiziert den Sieg des Tages, der danach strebt, sich zu verewigen und seinen Rhythmus in den Zeitläuften zu verstetigen.

      Was hätte Heraklit wohl zu diesem metaphysischen Illusionismus gesagt, der die Nacht zum Tag macht, die Gegensätze aufhebt und den Pulsschlag und Rhythmus des antiken Kreislaufs von Schlaf und Wachen auslöscht? Sein Missfallen wäre gewiss gewesen. Selbst in seiner Furcht vor der politische Nacht, die den Kommunismus des Wachens zu zersetzen droht, hätte er das narkotische Licht mitnichten gutgeheißen, das – anstatt die Aufmerksamkeit wachzuhalten – nur Somnambulismus erzeugt. Gewiss hätte er sich kaum die Hunderte Millionen von Individuen ausmalen können, die nachts vor erleuchteten, magnetisch anziehenden Bildschirmen verharren, welche für immer ihre Vorstellungskraft beschädigen – jenes vortreffliche menschliche Vermögen, mit offenen Augen träumen und sich in den eigenen Gedanken verlieren zu können.

      Diese Art des Somnambulismus ist auch unter dem Namen 24/7 bekannt. Dabei handelt es sich um einen auf grenzenlose Produktion und schrankenlosen Konsum getrimmten Zeitbegriff, wie er vom System des Marktes durchgesetzt wurde. Er verweist auf das Nonstop einer Betriebsamkeit, die sich 24 Stunden am Stück vollzieht, an sieben Tagen von sieben. Nur aufgrund eines vorsätzlichen und höhnischen Missverständnisses bezieht man sich damit noch auf die Woche. Bei genauerem Hinsehen verleugnet das Konzept des 24/7 jeden Rhythmus, beseitigt es jede Einteilung.15 Wenn das Paradigma des Globus darauf abzielt, stets einsatzbereit zu sein, warum sollte sich die menschliche Existenz dem nicht anpassen können?

      Man unterläge einem Irrtum, würde man das Konzept des 24/7 mit dem trostlosen und immer gleichförmigen Verlauf der Moderne verwechseln, wie er zu Beginn des 20. Jahrhunderts von Lukács, Benjamin und anderen kritisiert worden ist. Denn jene Zeit wurde noch von der Agenda des Fortschritts mit der dazugehörigen Illusion des Wachstums getaktet. 24/7 hingegen ist die Zeit ohne Werden des Posthistoire, der andauernde Tag, das letzte Blendwerk des Kapitalismus. Dieses Ergebnis war im Grunde bereits in den ursprünglichen Plänen angelegt, schon von der ersten elektrischen Beleuchtung der Städte an, die Sicherheit verbürgen und Erfolg in Aussicht stellen sollte. Die hohe Lichtintensität, die sich im Supermarkt des Universums verbreitet, scheint jenes anfängliche Versprechen einzulösen. Der Kampf gegen Dunkelheit, gegen Finsternis, gegen Schatten und Geister, gegen das Geheimnisvolle und Unbekannte ist das paroxysmale Resultat einer unnachgiebigen und sich ausdehnenden Aufklärung, die einen neuen Himmel erschlossen hat: denjenigen des Desasters, auf dessen Etymologie Blanchot so nachdrücklich verwiesen hat.16 Es handelt sich um ein Firmament ohne Sterne, ohne jedwede Orientierungspunkte. Und selbst wenn es die Sterne noch gäbe, so wären sie nicht mehr sichtbar, vom niemals verlöschenden künstlichen Licht verfinstert. Unter jenem leeren Himmel operiert emsig und ununterbrochen das planetarische Einkaufszentrum, das eine endlose Mannigfaltigkeit an Angeboten ermöglicht.

      Keinerlei Hindernis scheint der endgültigen Durchsetzung des 24/7 mehr entgegenzustehen, wenn nicht die menschliche Fragilität. Der Kapitalismus ebnet jede Differenz ein: zwischen Heiligem und Profanem, Mechanischem und Organischem. Marx hatte diesen gewaltsamen Versuch, die natürlichen Schranken einzureißen, erkannt. 24/7 setzt die Grenze zwischen Licht und Dunkel, Tag und Nacht, Aktivität und Ruhe außer Kraft. Der Schlaf erscheint sodann als ein regelrechter Affront gegen die vom Markt auferlegte rastlose Betriebsamkeit, als unzulässiger Widerstand gegen die von den digitalen Netzwerken geforderte Anpassung. Auf dem Planeten, der seinen Herzschlag beschleunigt hat, indem er sich jubilierend dem Nonstop in die Arme wirft, darf unsere Existenz keine Ausnahme mehr bilden.

      Was ist demnach noch der Schlaf, jenes »aus der Welt Sein«, jenes dunkle Sichzurückziehen vom Dasein, in dem sich die Welt selbst entzieht, für eine Weile verschwindet und eine Pause einlegt? Nein, die taghell erleuchtete, lange Nacht des Kapitals kann keine Pause, keinerlei Abwesenheit zulassen. Und das umso mehr, als die Akosmie, jene zeitweise Weltflucht, zugleich eine unzulässige Flucht aus der Welt bedeutet, eine gefährliche Unterbrechung, eine Anomie der Einzelexistenz, die – auch wenn sie nur schläft – sich stillschweigend dem Gesetz des planetarischen Nonstop widersetzt.

      Völlig unannehmbar ist es, den Schlaf als ein natürliches Bedürfnis anzuerkennen – denn das hieße, die gewaltige Quantität an verlorener Zeit zu akzeptieren, unwiederbringlich in der Leere versunkene Stunden über Stunden, aus denen sich keinerlei Profit schlagen lässt. Wenn bereits alle anderen menschlichen Bedürfnisse – Hunger, Durst, Sexualtrieb und auch Liebe und Freundschaft – zu warenförmiger, kommerzialisierter Gestalt modifiziert und so angeboten wurden, musste es schließlich auch den Schlaf treffen, die letzte Grenze menschlicher Endlichkeit. In einem offenen Gegensatz zum Universum des 24/7 erscheint der Schlaf umso skandalöser, da er nicht nur die Spuren eines nahezu vormodernen Zeitalters zeigt, das längst überwunden sein müsste, sondern als in ihm die Verknüpfung des Körpers mit dem Wechsel von Licht und Dunkel aufscheint, welcher Aktivität und Ruhezeiten gliedert. Gerade diesen Wechsel trachtet der Kapitalismus zu beseitigen oder zumindest zu neutralisieren.

      Darüber hinaus wird der Schlaf in dem umfassenden transhumanistischen Projekt, das keinerlei unveränderliche natürliche Gegebenheiten mehr anerkennt, das jeden Damm als eine Herausforderung betrachtet und sogar der letzten Grenze, dem Tod, den Krieg erklärt hat, zu einer mit neuen Mitteln zu bekämpfenden Pathologie. Und das auch nur, um über noch mehr Zeit zu verfügen – über dasjenige, was der Lebensform des dritten Jahrtausends am stärksten abzugehen scheint. Der Angriff auf den Schlaf erscheint in dieser Perspektive nahezu legitim.

      Die Schlaflosigkeit ist die chronische Verfassung der Bewohner des außerzeitlichen 24/7-Universums, der Routine des Immergleichen, der hochgradig ausgeleuchteten, künstlichen Umgebung. Es handelt sich jedoch nicht um eine von aufmerksamkeitssattem Wachen bedingte Schlaflosigkeit, die auf Verantwortlichkeit ausgerichtet wäre. Sie entspringt nicht der Weigerung, in der Vergessenheit des Schlafes über die Gewalt hinwegzusehen, die die Welt erschüttert, und sie entsteht nicht – um der meisterhaften Beschreibung von Levinas zu folgen17 – aus der Beunruhigung ob der Schmerzen anderer, aus der Machtlosigkeit gegenüber dem Desaster. Der angemessene Ausdruck für diese neue Schlaflosigkeit ist der Sleep mode, der Modus eines technologischen Dispositivs, das weder Off noch On ist, weder an- noch ausgeschaltet. Dieser Modus entspricht dem Schlaf in einer vertagten oder reduzierten Form, in der die immerwährende Alarmbereitschaft Raum greift, wie


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